Hanna Hansen hält 160 Mutterschafe. Die Lammzeit ist für die 32-Jährige die schönste und zugleich anstrengendste Zeit im Jahr. Auf ihrem Hof Seeland in Idstedt-Osterfeld im Kreis Schleswig-Flensburg ist sie dann fast rund um die Uhr für das Wohlergehen ihrer wolligen Vierbeiner im Einsatz.
Am Dorfrand, umgeben von Weideland und mit herrlichem Blick auf den idyllischen Idstedter See, liegt Hof Seeland. Zur Lammzeit begrüßt das hohe „Määh“ der frisch geborenen Lämmer die Hofbesucher. „Unsere Schafe leben fast das ganze Jahr über draußen mit viel Bewegung, frischer Luft, saftigem Gras und leckeren Kräutern.
In den Wochen um die Geburt, wenn sie einen extra Schutz brauchen, bringen wir sie in den Stall und scheren sie“, erzählt Hanna Hansen. Mit Ehemann Stefan kümmert sie sich mit Liebe und Hingabe um die quirligen Wollknäuel. Diese sind Kreuzungsschafe der Rassen Texel, Suffolk, Blaukopf und Swifter. Auf dem Betrieb gibt es außerdem bis zu fünf Zuchtböcke sowie zehn Wasserbüffel und vier Kreuzungen von Wagyu-Rindern.
Besondere Leidenschaft
Die besondere Leidenschaft für Schafe wurde Hanna Hansen in die Wiege gelegt. Ihre Eltern kauften Mitte der 1980er Jahre den Idstedter Aussiedelbetrieb, für den es Bedingung war, Nutztiere zu halten. So zogen die ersten zehn Schafe gleich mit auf den Hof. Vater Knut, gelernter Maurermeister, baute mit ihnen im Nebenerwerb eine Schäferei auf. Zuletzt hatte er 200 Tiere. Von Kindesbeinen an wuselten seine Töchter Hanna und Linda auf der Weide und im Stall mit herum. Sie waren bei den Geburten dabei, zogen Flaschenlämmer auf und halfen bei der Pflege.
„Es war für mich ein großes Glück, auf einem Bauernhof aufzuwachsen. Schon mit vier Jahren bekam ich von Papa mein erstes Schaf geschenkt. Es war schwarz und hatte eine weiße Nasenspitze. Ich nannte es Mausi“, schaut sie zurück. Auch heute gibt sie ihren Tieren Namen, nennt sie liebevoll Specki, Trudi oder Nischi. Rudi heißt alljährlich das dickste Flaschenlamm.
Treu an ihrer Seite ist Flip, ein altdeutscher Hütehund, der die Fercharbeit übernimmt. Das heißt, dass er für die Sortierarbeit zuständig ist und die Tiere in die Gatter treibt. Weiteres Mitglied im Team ist Border-Collie Becks, der die Koppelarbeit erledigt und die gemütlichen Grasfresser sicher in die gewünschte Richtung bringt. „Unsere Schafe weiden auf eigenen Flächen rund um den Hof und auf Flächen im Dorf. Im Winterhalbjahr sind wir auf dem Grün von benachbarten Milchviehbetrieben zu Gast“, bemerkt die junge Schäferin.
Bevor an diesem Tag um 16.30 Uhr die Fütterung auf dem Plan steht, ist noch ein wenig Zeit. Hanna Hansen gibt bei einem Rundgang Einblick in ihren Betrieb, den sie von Sommer 2013 bis 2018 zunächst noch gemeinsam mit ihrem Vater führte. Zuvor hatte sie eine Ausbildung zur Landwirtin und ein Studium der Agrarwissenschaften erfolgreich abgeschlossen. „Seit 2018 habe ich den Betrieb im Nebenerwerb gepachtet und bewirtschafte ihn mit meinem Mann Stefan.“ Ansonsten ist sie in Vollzeit als Agraringenieurin in der öffentlichen Verwaltung tätig. Ihr Mann arbeitet auf dem Milchviehbetrieb seines Cousins 30 km entfernt.
Urlaub für die Lammzeit
Während der Hauptlammzeit im März und April nehmen die beiden Urlaub. „Wir wechseln uns tagsüber und nachts mit der Überwachung der Schafe ab. So sind wir schnell da, wenn ein Notfall eintritt und ein Tier beim Lammen Geburtshilfe braucht“, erklärt sie. Daneben erhalten die zwei Unterstützung von Vater Knut und anderen Familienmitgliedern. In diesem Jahr erblickten schon etwa 200 Lämmer das Licht der Welt. „Alle sind putzmunter, kräftig und vital,“ freut sich die Züchterin. Untergebracht sind die Tiere in einer luftigen, weitläufigen Halle. Die Schafe stehen dort in verschiedenen abgetrennten Ferchen in Sammelgruppen.
Während ihr Blick durch die einzelnen Boxen schweift, zeigt Hanna Hansen plötzlich auf den Bereich, in dem die hochträchtigen Mutterschafe beieinanderstehen. In der Regel werden sie im Herbst gedeckt und gebären nach einer Tragezeit von rund 150 Tagen ein bis zwei Lämmer. „Da!“, ruft sie und macht auf ein Tier aufmerksam, das sich etwas abseits von den anderen aufhält. Sein Hinterteil ist stark angeschwollen. „Bei ihm geht es bald los“, erkennt sie fachkundig.
Ein Lamm wird meist an der Stelle geboren, die sich das Muttertier zuvor selbst ausgesucht hat. Danach zieht es mit seinem Nachwuchs in eine Einzelbucht um. Drei bis vier Tage bleiben Mütter und Lämmer darin, um eine Mutter-Lamm-Beziehung aufzubauen. Da ein Schaf nur seine eigenen Lämmer trinken lässt, ist eine intakte Bindung sehr wichtig. „Anschließend geht es in eine kleine Kindergartengruppe weiter, damit die Mütter das Wiederfinden des Nachwuchses im Herdenverbund üben können. Zwei Tage später kommen sie in eine große Gruppe mit bis zu 45 Mutterschafen samt Lämmern. Ende April geht es raus auf die Weide“, schildert Hanna Hansen den Ablauf.
Tierische Flaschenkinder
Auf die Flaschenkinder angesprochen, ist sie froh, dass es dieses Jahr bisher nur zirka 20 Stück waren. Sie sind in einer Extrabox untergebracht und versorgen sich selbst an einer „Milchbar“. „Die meisten haben schnell den Dreh raus. Die anderen führen wir ein paar Mal an die Sauger heran, dann funktioniert’s.“ Wenn es um Leben und Tod geht, wird die Küche der Hansens auch schon mal zur Intensivstation. „Dann päppeln wir das Lamm in einer Kiste auf unserem Ofen mit viel Wärme und Flaschenmilch von Hand auf, bis es zu den anderen kann.“
Im Stall wird es langsam unruhig, das stete Määh lauter. Mittlerweile ist es 16.30 Uhr, die innere Uhr der Schafe tickt genau. Sie wissen: Jetzt gibt es neben der immer verfügbaren Silage eine Extraportion Kraftfutter. Stefan Hansen füllt aus einem Silo die passende Menge ab. Danach öffnet er die Stalltüren, hinter denen sich draußen ein umzäunter Bereich mit einer langen Futterrinne anschließt. Fröhlich purzeln die kleinen Wölkchen mit ihren Geschwistern hinaus, vollführen Bocksprünge, toben übermütig, während die anderen Schafe bald in Reih und Glied am Trog stehen. Dieser Moment ist die beste Gelegenheit, die Herde zu kontrollieren. Stefan und Hanna Hansen gucken, ob alle Tiere gesund sind und ob mit den Eutern der Mutterschafe alles in Ordnung ist. Danach geht es für die Rasselbande mithilfe von Flip und Becks zurück in den Stall.
Wunderbares Schafleben
Zum Abschied präsentiert Hanna Hansen ihre zwei jüngsten Lämmchen, die gestern Abend geboren wurden. Gierig trinken die Kleinen die nährstoffreiche Biestmilch von Mama Bernadette. Sie werden ein wunderbares Leben haben, bis sie ihr Schlachtgewicht von 45 kg erreichen. „Dann verkaufen wir sie, und sie kommen ohne Stress und lange Anfahrtswege zur Weiterverarbeitung in die Landschlachterei Petersen nach Bollingstedt. Im Hofladen vermarkten wir aber neben verschiedenen Wurstwaren einen Teil unseres Lammfleisches auch selbst.“
Ihre Entscheidung mit einer Vollerwerbstätigkeit gleichzeitig Schafmama zu sein, hat Hanna Hansen bisher nie bereut. „Das ist eine so echte Arbeit im Rhythmus der Natur. Ich lebe mit und von den Tieren, die mir vertrauen. Das macht mich einfach glücklich“, resümiert sie zufrieden.