Julia Bohlens legte 2019 die Prüfung zur FFL-zertifizierten Baumkontrolleurin ab. Seitdem ist sie in der Region Hamburg und Umland im Einsatz, um Bäume auf deren Verkehrssicherheit und Gesundheit zu überprüfen.
Der historische Reinbeker Schlosspark im südlichen Schleswig-Holstein ist der ideale Ort, um in die Tätigkeit von Julia Bohlens einzutauchen. Hier gibt es viele teils jahrhundertealte Bäume. Rund 40 verschiedene Baumarten aus Europa, Asien und Nordamerika stehen in der mehrteiligen Anlage. Mit Rasenflächen umgibt sie auf drei Seiten das Renaissance-Schloss Reinbek. „Diese Bäume sind wohl die bestkontrollierten in der Umgebung“, sagt Bohlens schmunzelnd bei einem Rundgang. Schließlich fänden hier, durchgeführt durch das Hamburger Institut für Baumpflege (IfB), ständig Seminare und Prüfungen für zukünftige Baumkontrolleure statt.
Foto: Silke Bromm-Krieger
Auch Bohlens hat dort ihre FFL-Zertifizierung gemacht und bildet sich seitdem beim IfB weiter fort, um ihre fachlichen Kenntnisse zu vertiefen und auf dem neuesten Stand zu halten. Seit etlichen Jahren arbeitet die studierte Betriebswirtin im Reinbeker Baumpflegebetrieb ihres Mannes Axel in der Buchhaltung. „Als Anfragen nach Baumkontrollen bei uns immer mehr zunahmen, fragte mein Mann, ob ich Lust hätte, mich in diesen Bereich einzuarbeiten. 2019 machte ich meine Zertifizierung. Der Mix aus Büroarbeit und Draußensein in der Natur am Baum gefällt mir gut“, freut sie sich.
Ziel einer jeden Baumkontrolle sei es, potenzielle Gefahren durch Bäume zu identifizieren und zu minimieren. Dafür müssten sie gemäß geltenden Richtlinien zur Erfüllung der kommunalen Verkehrssicherungspflicht regelmäßig kontrolliert und die Ergebnisse dokumentiert werden. „Zum einen muss dies geschehen, um notwendige Pflegemaßnahmen daraus ableiten zu können, zum anderen um im Schadensfall einen Nachweis in der Hand zu halten, dass man Maßnahmen ergriffen hat, um andere Menschen oder Sachen vor möglichen Schäden zu schützen“, erklärt die Fachfrau. Diese Pflicht gelte für Kommunen und private Baumeigentümer gleichermaßen.
Das IfB sei im Auftrag der Stadt Reinbek zudem gerade dabei, zum Schutz und Erhalt des städtischen Grüns eine umfassende Ersterfassung der Straßenbäume sowie der Bäume auf öffentlichen Grünflächen durchzuführen. „Ziel ist es, Baumgrunddaten zu erfassen und so die Grundlage für ein digitales städtisches Baumkataster zu schaffen. Es wird zukünftig als Planungsgrundlage sowie als Dokumentation für notwendige Pflege-, Untersuchungs- und Sicherungsmaßnahmen dienen“, informiert sie.
Aber nun erst einmal Schluss mit grauer Theorie. Vor einer schlank und hoch gewachsenen Stieleiche (Quercus robur), die zwischen dem nahen Mühlenteich und dem Schlossgebäude frei auf dem früheren „Gesellschaftsrasen“ steht, legen wir einen Stopp ein. An ihr möchte Bohlens beispielhaft demonstrieren, wie eine Baumkontrolle abläuft.
Foto: Silke Bromm-Krieger
In einem Faltblatt des Vereins Freunde des Schlosses Reinbek gibt es Infos über diesen markanten Baumriesen. Er wurde um 1850 gepflanzt, ist also schon etwa 175 Jahre alt. An anderer Stelle findet sich der Hinweis, dass er eine stolze Höhe von zirka 27,5 m hat. Fehlt noch der Stammumfang. Bohlens greift in die Hosentasche und zieht ein Metermaß heraus. Sie legt es in 1 m Höhe um den Stamm und liest die Messung ab: „4,6 Meter.“ Die Stieleiche ist ein Naturdenkmal. Das erkennt man an dem fünfeckigen, gelben Symbolschild mit einer Schwarzen Waldohreule, das am Stamm angebracht ist. Als Naturdenkmal werden Bäume ausgewiesen, deren Schutz aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen oder landeskundlichen Gründen erforderlich ist. Ebenso fallen Bäume darunter, die wegen ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit schützenswert sind.
Bohlens geht um den Baum herum. Sie sieht sich Krone, Stamm, Stammfuß, Wurzelauflauf, Wurzelbereich und das Baumumfeld an. „Eine Baumkontrolle wird durch eine Inaugenscheinnahme vom Boden aus durchgeführt. Mit meinem Hintergrundwissen und einem gezielten Blick schaue ich mir dabei mögliche neuralgische Punkte und Auffälligkeiten an“, erläutert sie. Sie achte auf Risse oder Verfärbungen in der Rinde, abgestorbene Äste oder einen Holz zerstörenden Pilzbefall. Gelegentlich komme ein Gummihammer zum Einsatz. Er sei zum Aufspüren von Hohlräumen da. Bohlens holt ihn aus dem Rucksack und klopft damit an mehreren Stellen auf den Stamm. Am Ton, den sie dabei hört, kann sie erkennen, ob sich in seinem Innern eine Höhlung verbirgt, die ihn instabil machen könnte. Trotz einer festgestellten kleinen Höhlung ist alles okay. Sie weist auf eine Maserknolle hin, eine Zellwucherung, und auf Flechten an den Ästen. „Die Eiche ist eine effektiv abschottende Baumart, die mit Wunden gut zurechtkommt. Insgesamt ist dieses schöne Exemplar vital und gut in Schuss“, resümiert sie. In der Praxis habe sich zur Beurteilung die Einteilung in fünf Vitalitätsstufen zwischen „gesund“ und „absterbend“ bewährt, um die künftige Entwicklung eines Baumes einzuschätzen. „Diese Eiche hat eine Vitalitätsstufe zwischen zwei und drei“, meint Bohlens, gibt aber zu bedenken, dass man sich einen Baum am besten zweimal jährlich anschauen sollte, unbelaubt wie an diesem Tag und noch einmal belaubt im Sommer. Dann könne man besser beurteilen, ob die Baumkrone dicht geschlossen und ohne Löcher sei. „Für die Dokumentation der Ergebnisse meiner Baumkontrolle mache ich mir vor Ort zunächst Notizen mit Stichpunkten. Im Büro übertrage ich meinen Kontrollbericht in ein Formblatt und bewerte darin die zu erwartende Verkehrssicherheit des Baumes“, bemerkt sie.
Foto: Silke Bromm-Krieger
Während wir unseren Spaziergang fortsetzen, spricht die Naturschützerin darüber, dass besonders Altbäume eine wichtige, oft unterschätzte Rolle spielten. Sie täten so viel Gutes, seien Freunde des Menschen und wirkten positiv auf das Klimageschehen ein. „Sie sorgen für Abkühlung, Schatten, Luftreinheit und menschliches Wohlbefinden, sind Lebens- und Schutzraum für eine Vielzahl von Tieren, Sauerstoffspender, CO2-Speicher, dienen als Wasserrückhalt und bieten Sicht-, Lärm- und Windschutz“, zählt sie auf. Aber leider gebe es immer wieder Personen, die die positiven Eigenschaften vergäßen und nur die negativen betonten. „Der Baum mache Dreck, sprich Laub, er nehme das Licht weg oder er störe, höre ich manchmal als Begründung, ihn vorschnell fällen zu wollen.“ Teilweise könne man bei Schäden Maßnahmen wie den Einbau von Kronensicherungen ergreifen, um einen gesundheitlich angeschlagenen Baum zu retten und gleichzeitig Gefahren durch ihn abzuwenden.
Wir verweilen kurz an einer Winterlinde (Tilia cordata) aus Europa, die um 1850 gepflanzt wurde. An ihrem Stamm fällt eine tiefe, längliche Höhlung auf, in der sich bei näherer Betrachtung ein Pilzbefall entdecken lässt. Eine prächtige Douglasie (Pseudotsuga menziesii) aus dem westlichen Nordamerika, um 1865 gepflanzt, steht im östlichen Teil des Parks. Ihr starker Stamm ist komplett mit Efeu bewachsen, was ihrer Vitalität aber keinen Abbruch tut. Hinter dem Schloss gibt es eine Lindenallee, die sicher schon glücklichere Tage gesehen hat. So wurden die Kronen der Bäume vor langer Zeit gekappt, Gewebewucherungen sind zu erkennen, und auch die Entfernung von maroden Ästen hat sichtbare Spuren hinterlassen. Gärtner kümmern sich mit Sorgfalt um sie, denn seit 2013 steht der gesamte Schlosspark unter Denkmalschutz. Aufgrund seiner historischen, gartenkünstlerischen, städtebaulichen und die Kulturlandschaft prägenden Bedeutung wird er in Zusammenarbeit von der Stadt Reinbek und dem Kreis Stormarn mit Hingabe gepflegt und erhalten.
Für Julia Bohlens ist er mit seinem wertvollen Baumbestand nicht nur Lernstätte für die Baumkontrolle, sondern auch Erholungsspender und Kleinod. „Ich wünsche mir, dass alle Menschen Bäume als sinnvolle Lebewesen sehen, die es zu schützen und zu erhalten gilt. Eines sollten wir nicht vergessen: Der Mensch braucht die Natur, die Natur den Menschen nicht.“