Es war ein Glücksfall, dass die Provinzialregierung Schleswig-Holsteins den Forstmann Carl Emeis (1831-1911) mit der Waldbildung devastierter Heideböden beauftragte. Was das mit der interessanten Baumart der Weißtanne bei uns im Norden zu tun hat, im folgenden Artikel.
Der königlich preußische Oberförster Emeis schied 1884 aus dem Staatsdienst aus und wurde Forstdirektor der Provinzialverwaltung. Er sollte auf den mehr oder weniger baumlosen „Ödlandflächen“ im Nordwesten des Landes Eckpfeiler gegen die ständigen Sandstürme anlegen und den brachliegenden Heideflächen einen Holzertrag abringen.
Intensiv hatte er sich mit der Bedeutung der Humussäuren, der Auswaschung des Oberbodens und der Ortsteinbildung beschäftigt und dazu mehrere wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Eine gründliche Bodenbearbeitung hatte daher für ihn oberste Priorität. So ließ er die teilweise mannshohe Heide auf den armen Sandstandorten mit dem Bodenauswurf der Gräben übererden und gleichzeitig den Ortstein auf Streifen durchbrechen (Rabattenkulturen). Außer der intensiven Bodenvorbereitung war die Baumartenwahl für die ungeschützten Freiflächen eine besondere Herausforderung. Abgestimmt auf die jeweiligen Bodenverhältnisse entwickelte der Forstmann spezielle Pflanzmuster mit bis zu 15 verschiedenen Arten.
Auf die Mischung von Laub- und Nadelbaumarten legte er einen besonderen Wert. Als Schutzbaumart ließ er die Bergkiefer mit einem Anteil von rund 30 % pflanzen, sie wurde gefolgt von der Rotfichte mit rund 28 %. Laubbäume (Buche, Eiche, Birke und Erle) wurden mit rund 15 % gesetzt. Die Weißtanne (Abies alba), die er aus der Heimat seiner Frau im Bayerischen Wald kannte, beteiligte er mit rund 18 %. Ganz sicher ein Wagnis, die Weißtanne weit entfernt von ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet auf den ungeschützten Freiflächen pflanzen zu lassen. Dass dieses Experiment ein solches Erfolgsmodell werden sollte, hat er damals vermutlich nicht ahnen können. Auch wenn die Stürme der 1960er Jahre viele Altbestände geworfen haben, hat sich die Weißtanne im Bestandesgefüge behauptet und sich zu der dominierenden Nadelbaumart entwickelt.
Stufige Mischbestände zu bestaunen
Fast 3.000 ha Erstaufforstungen wurden in der Zeit von Carl Emeis im Nordwesten Schleswig-Holsteins begründet. Hieraus haben sich vielfach stufige Mischbestände entwickelt, die von Forstleuten und Waldbesitzern aus vielen Ländern immer wieder bestaunt wurden. Im Gegensatz zu den Rotfichten, die aus der ersten Waldgeneration nicht mehr vorhanden sind, überzeugen die nunmehr rund 140-jährigen Weißtannen durch Vitalität und Zuwachsfreude. Durchmesser in Brusthöhe von 70 bis 110 cm, Höhen um 30 m und eine Masse von 5 bis 8 fm sind keine Seltenheit. Die überwiegend als Saatgutbestände zugelassenen Tannen werden in der Regel jährlich beerntet und liefern zusätzlich natürliche Verjüngung.
Zweifelsohne dürfte das humide Klima im atlantischen Klimakeil mit vergleichsweise hohen Niederschlägen und einer hohen relativen Luftfeuchtigkeit das Wachstum der Tannen begünstigt haben. Dennoch gibt es in Schleswig-Holstein genügend Beispiele, dass die Weißtanne auch in anderen Wuchsgebieten unseres Landes die Mischbaumart der Zukunft unter den Nadelbäumen sein kann.
Die Weißtanne steht stabil
Mit ihrem ausgeprägten Pfahl- und Senkwurzelsystem ist die Weißtanne in der Lage, sich stabil im Boden zu verankern. Ihr Sturmrisiko ist fünfmal geringer als das der Rotfichte. Damit gilt sie als die sturmsicherste der wirtschaftlich bedeutenden Nadelbaumarten in Deutschland. Mit ihrem Wurzelsystem kann sie außerdem Wasservorräte bis zu einer Tiefe von 1,60 m erschließen. Die Trockenperioden der vergangenen Jahre hat sie deutlich besser überstanden als andere Baumarten – Eigenschaften, die sie für einen klimastabilen Zukunftswald geradezu prädestinieren.
Kein Problem mit Rotfäule
Die Weißtanne liefert ein begehrtes, qualitativ hochwertiges Holz, das sich kaum von dem der Fichte unterscheidet. Durch den kalamitätsbedingten Rückgang der Rotfichte und die damit drohende Verknappung von Nadelweißholz (zurzeit rund 75 % der Wertschöpfung von Forst-und Holzwirtschaft basieren auf die Nutzung und Verarbeitung von Nadelholz) kann die ebenso leistungsstarke Weißtanne durchaus zu einer gewissen Entlastung auf den Holzmarkt beitragen.
Die an Weißtanne gebundene Insektenfauna ist im Vergleich zu anderen Baumarten relativ unproblematisch. Ein weiterer Vorteil von Weißtanne gegenüber der Fichte ist die nicht auftretende Rotfäule. Somit kann in der Regel der ganze Stamm verwendet werden, und der finanzielle Verlust durch das Entfernen wertvoller Stammwalzen wird vermieden.
Als ausgeprägte Schattenbaumart kann sie im tiefen Schatten des Waldes keimen und als junger Baum viele Jahrzehnte ausharren. Wenn sich ein Lichtschacht öffnet, ist sie in der Lage, mit lang anhaltendem Wachstum zu reagieren. Daher ist sie eine ausgezeichnete Baumart für den Voranbau. In Verbindung mit Buchen und anderen Nadelbäumen liefert sie die Voraussetzung für stufig aufgebaute Mischbestände, die bestenfalls nach den Grundsätzen des Dauerwaldes mit unterschiedlichen Höhen, Durchmessern und Altern zu bewirtschaften sind.
Zuwendung in der „Jugendphase“ benötigt
Bei allen genannten Vorzügen ist die Weißtanne selbstverständlich kein Allheilmittel. Gerade in der „Kindheits- und Jugendphase“ benötigt sie eine besondere Zuwendung. Wer die nicht gewährleisten kann, sollte von dem Anbau der Weißtanne absehen. Ein entscheidend begrenzender Faktor sind überhöhte Schalenwildbestände. Junge Tannentriebe und -knospen sind aufgrund ihres hohen Nährstoffgehaltes und der leichten Verdaulichkeit für das Schalenwild eine unwiderstehliche Delikatesse. Im Übrigen ist das Gelingen der Emeis-Kulturen sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass es um die Jahrhundertwende in den Aufforstungsgebieten kaum Schalenwild gab.
Des Weiteren reagiert die Weißtanne äußerst empfindlich auf Spätfröste. Ausgesprochene Spätfrostlagen sollten daher bei der Etablierung der Weißtanne gemieden werden. Auch verlangt die „Königin unter den Nadelbäumen“ ein spezielles Denken im forstlichen Handeln. Sie eignet sich nicht für Reinbestände und Kahlschlagwirtschaft mit kurzen Umtriebszeiten.
Die Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft Deutschland e. V. (ANW) hat sich bereits seit 2017 mit einer „Weißtannenoffensive“ für eine bundesweite Etablierung der Weißtanne engagiert. Das Positionspapier der ANW zur Weißtanne sowie die Broschüre „Die Weißtanne – Anregungen für den Praktiker“ stehen online unter
https://anw-deutschland.de/eip/pages/weisstanne.php als Download zur Verfügung.
Im Jahre 2020 startete die ANW das Folgeprojekt „Weißtanne 2.0“. Unter anderem geht es in dieser Kampagne darum, denjenigen, die mit der Weißtanne wirtschaften und/oder diese etablieren wollen, auch vor Ort Hilfestellung zu leisten.
Unter https://anw-deutschland.de/eip/pages/regionale-ansprechpartner.php sind entsprechende Ansprechpartner zu finden. Im Süden des Landes freut sich Moritz Löffelmann (loeffelmann@kreis-rz.de) und im Norden der Verfasser über das Interesse an der Weißtanne.
Weiterhin erfolgte im Rahmen des Projektes Weißtanne 2.0 die Anlage von bundesweit 59 Dauerbeobachtungsflächen, auf denen Weißtannen aus regional bewährten Vorkommen (nach Herkunftsempfehlung) sowie eine rumänische Provenienz (Valcele Talisoara St Georg) eingebracht wurden, deren Wuchsverhalten langfristig beobachtet wird. In Schleswig-Holstein befinden sich drei Dauerbeobachtungsflächen.
Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert.