Gleich zu Beginn gab es klare Worte: Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Schweinehaltung im Bauernverband Schleswig-Holstein (BVSH), Dietrich Pritschau, kritisierte, dass nach Jahren der Diskussion und des Hinhaltens nun mit Cem Özdemir (Grüne) offenbar ein Nichtentscheider im Bundeslandwirtschaftsministerium sitze. Inzwischen seien Entscheidungen so lange aufgeschoben worden, dass die seinerzeit gefundene Einigkeit zerbrösele, meinte der BVSH-Vizepräsident in Bezug auf die Diskussion zur Haltungskennzeichnung.
Pritschau verwies darauf, dass es neben der Haltungsstufe auf Basis der gesetzlichen Anforderungen unbedingt eine Stufe „Stallhaltung plus“ geben müsse, um die Errungenschaften der Initiative Tierwohl (ITW) zu erhalten. Dies allerdings wolle Minister Özdemir nicht.
Politische Rückendeckung für Schweinehaltung fehlt
Die Zukunft des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung (Borchert-Kommission) für mehr Tierwohl wurde in der Arbeitsgemeinschaft intensiv diskutiert. Dass es Geld aus Berlin für die Umsetzung von mehr Tierwohl geben wird, wurde angesichts ausufernder Staatsausgaben deutlich angezweifelt. Zugleich könne man aber aufgrund der deutschen Gesetzgebung der vergangenen Jahre nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Kosten erzeugen. Befürchtet wird, dass der massive Abbau der Schweinehaltung noch kein Ende gefunden hat und dies von Teilen der Politik durchaus billigend in Kauf genommen wird.
In Bezug auf die Abnehmer der Schweine wurde geklagt, dass ein wirkliches Bekenntnis zu deutschen Schweineproduktion fehle. So gebe es keine vernünftigen Angebote, Schweinefleisch deutscher Herkunft höher zu positionieren. Ernüchtert stellte ein Teilnehmer fest, dass auch die Einsortierung in Tierwohlstufen gerade angesichts ohnehin steigender Lebensmittelpreise keine verlässliche Rolle im Absatz spiele. Die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft sei gegründet worden mit dem Vorsatz, eine verbesserte Wertschöpfung innerhalb der Kette zu erreichen. Doch passiert sei bisher nichts. Stattdessen baue der Handel sein Eigenmarkensortiment aus und übe Druck auf die Preise aus.
Vorgestellt wurde ein „Weckruf“ des Arbeitskreises der Sauenhalter der norddeutschen Bauernverbände an Özdemir. Es müsse sofort gehandelt werden, um den Zusammenbruch der Sauenhaltung zu verhindern. Neben dem Erhalt der Stallhaltung mit mehr Tierwohl, aber ohne Außenklimazugang als Haltungsformstufe (ITW-Standard) wurde der Umkehr der Haltungsstufennummerierung eine Absage erteilt. Zudem müsse die Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für Fleisch verpflichtend werden und eine 5xD-Kennzeichnung ermöglichen. Tierwohlanforderungen über dem gesetzlichen Standard seien auszugleichen, um die Wertschöpfung im Land zu halten. Das Papier lenkt den Blick auf vorhandene Stallanlagen. Trotz drohender Verschärfungen im Bereich des Immissionsschutzes müssten Umbaumaßnahmen rechtlich möglich und auch förderfähig bleiben. Die Schweinehalter erkennen an, dass das Ministerium die Vorschläge des Kompetenznetzwerkes wieder aufgegriffen hat. Den Sauenhaltern gehe jedoch die Luft aus. Der Borchert-Plan müsse zeitnah umgesetzt werden. Eine weitere Verlagerung der Erzeugung ins Ausland würde dem Tierwohlgedanken nicht gerecht werden und sei daher zu verhindern.
Wettbewerbsverzerrungen kritisiert
Als „never ending story“ bezeichnete Pritschau die Umsetzung der Corona-Hilfen für die Schweinehaltung in Schleswig-Holstein. Eine kurzfristige Liquiditätshilfe, wie seinerzeit gedacht, sei es längst nicht mehr. Dennoch werde das Geld auf den Höfen dringend gebraucht. Pritschau kritisierte, man sei heute meilenweit von einer Gleichbehandlung in Deutschland entfernt, da Nachbarbundesländer im Gegensatz zu Schleswig-Holstein inzwischen erhebliche Hilfszahlungen geleistet hätten. Nach diversen Gesprächsrunden mit Beginn im Dezember des vorigen Jahres habe Wirtschaftsminister Dr. Bernd Buchholz (FDP) vor der Landtagswahl zugesagt, die Anträge in Härtefallanträge umzudeuten und schnell sowie unkompliziert zu bescheiden (siehe Ausgabe 18).
Laut BVSH-Referent Claas Petersen gibt es immer noch erhebliche Unklarheiten in Bezug auf die Umsetzung; diese will der Verband schnell klären. Sitzungstteilnehmer kritisierten, das Land habe die Tür zur Corona-Überbrückungshilfe faktisch zugeschlagen. Dabei hätte man eine Umdeutung auch nach Auszahlung der Corona-Hilfen vornehmen können. Ob eine Zustimmung des Landwirtes zur Umdeutung erforderlich ist, wird noch geklärt. Einig waren sich die Teilnehmer, dass es nach der politischen Entscheidung an der Zeit sei, endgültig Abschied von Bedenkenträgertum zu nehmen. Die prüfenden Dritten müssten die neuen Anforderungen zügig abarbeiten, die Investitionbank die gestellten Anträge genehmigen, machten die Teilnehmer Druck.
Info: Der Arbeitskreis Sauenhalter Norddeutschland (AKS) ist ein Verbund der Sauenhalter in den Landesbauernverbänden Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Westfalen-Lippe und Rheinland. Das AKS-Papier im Wortlaut:
Ein Weckruf an Cem Özdemir – Mehr realisierbares Tierwohl in Deutschland wagen!
1) Es wird positiv gesehen, dass das BMEL die Vorschläge seines Kompetenzwerks zur Nutztierstrategie wieder aufgegriffen hat. Um den Zusammenbruch der Sauenhaltung zu verhindern, muss sofort gehandelt werden!
2) Oberhalb des gesetzlichen Standards sollte eine Stufe Stallhaltung plus ausgewiesen werden, die ohne Außenklima durch kleine Umbauten im Stall möglich ist, anerkannt und gefördert wird. Andernfalls würden Betriebe, die sich im Rahmen der Initiative Tierwohl (ITW) für Tierwohl engagieren, nicht mehr gewürdigt. Bei Nichtausweisung dieser Haltungsform besteht die Gefahr, dass die hier mitwirkenden Betriebe wieder zum gesetzlichen Standard zurückkehren. Zudem werden viele Familienbetriebe aus Baurechts- und Immissionsschutzgründen, aber auch aufgrund von Förderbedingungen (AFP), nur in der vorhandenen Hülle Veränderungen vornehmen können (vgl. Ziffer 6).
3) Eine Nummerierung der verschiedenen Haltungsformen sollte nicht im Konflikt mit der Haltungsformkennzeichnung des Handels stehen – eine Ziffernreihenfolge von 0 (Bio/Premium) bis 3 (gesetzlicher Standard) würde im Nebeneinander mit der bei gutem Bekanntheitsgrad etablierten privatwirtschaftlichen Kennzeichnung von 1 (Stallhaltung) bis 4 (Premium) zu erheblicher Verwirrung unter den Verbrauchern führen. Entweder sollte die privatwirtschaftliche Ziffernreihenfolge von 1 bis 4 aufgegriffen werden oder ganz auf die Ausweisung einer alphanumerischen Ordnung verzichtet und stattdessen leicht einprägsame und verständliche Begriffe gewählt werden. Grundsätzliche Anmerkung: Bei der Eierkennzeichnung handelt es sich um eine EU-Vermarktungsnorm, die eine andere Zielsetzung verfolgt als eine Haltungskennzeichnung. Außerdem sind die Stallhaltungssysteme der Legehennenhaltung nicht 1/1 vergleichbar mit Ställen für Schweine und Rinder.
4) Die Haltungs- und Herkunftskennzeichnung muss verpflichtend für Fleisch- und Verarbeitungsprodukte sein und eine 5 mal D Kennzeichnung ermöglichen beziehungsweise voraussetzen. Sie muss sowohl die Mast als auch die Sauenhaltung umfassen.
5) Finanzierung: Ein Ergebnis der bisherigen Beratungen zur Nutztierstrategie war, dass sich der tierwohlbedingte Mehraufwand aufteilt: 20 % Investitionskosten für Um- beziehungsweise Neubauten, 80 % laufende Mehrkosten für Mehrarbeit etc.
Alle Tierwohlanforderungen der Haltungsstufen, die über den gesetzlichen Standard hinausgehen, sind finanziell auszugleichen. Sonst geht Wertschöpfung in Deutschland verloren und die Produkte, die hier weiterhin verzehrt werden, entsprechen nicht den deutschen Anforderungen. Das muss auch für die jüngsten Änderung der TSchNV, die in erster Linie die Sauenhaltung betreffen, gelten.
6) Bau- und Immissionsschutz: Gerade vor dem Hintergrund sich abzeichnender Verschärfungen im Bereich des Immissionsschutzes (siehe aktueller Vorschlag der EU-Kommission) sollten die Tierhaltungsstufen so formuliert werden, dass möglichst viele Umbaumaßnahmen in vorhandenen Ställen erfolgen können. Das Konzept muss auch in der Praxis realisiert werden können und die vorhandenen Standorte und Ställe der Schweinehaltenden, auch unter dem Aspekt der nachhaltigen Nutzung vorhandener Bausubstanzen, mitberücksichtigen (Vorteil: Ressourcenschonung, keine Flächenversiegelung, Klimaschutz)!
• Es braucht ein Gesamtpaket – mit einer Haltungs- und Herkunftskennzeichnung, einer Finanzierung der Tierwohlmaßnahmen auf den Betrieben und mit einer Anpassung des Bau- und Immissionsschutzrechts. Das Konzept muss auch in der Praxis realisiert werden können!
• Die Nutztierstrategie ist zeitnah umzusetzen. Die Sauenhalter müssen für das Deckzentrum bereits in spätestens zwei Jahren Betriebs- und Umbaukonzepte vorlegen. Hilfsweise sind die Fristen der TierSchNV anzupassen.
Seit zwei Jahren haben wir Sauenhalter versucht, die Verluste zu kompensieren. Leider geht uns mittlerweile die Luft aus. Viele Betriebe fahren im Moment vor die Wand. Schon jetzt werden nur noch ca. drei Viertel der Ferkel in Deutschland erzeugt. Wir warten dringend auf Perspektiven, die uns zum Weitermachen ermutigen.
Eine weitere Verlagerung der Erzeugung ins benachbarte Ausland würde dem Tierwohlgedanken nicht gerecht werden und ist zu verhindern.