„Ein harmonisches Zusammenleben in der Familie ist immer auch eine Frage der Kommunikation“, weiß Felicitas Heyne. Die Diplom-Psychologin und Paar- und Familientherapeutin gibt Hinweise, wie man im Familienkreis die richtigen Worte findet.
Ein Montag, 7.15 Uhr. Der dreijährige Jonas (*Name geändert) sitzt gedankenverloren im Flur auf dem Boden und bindet die Schnürsenkel der dort stehenden Schuhe zusammen. Eigentlich soll er jetzt nur in seine eigenen schlüpfen. Mama Ines* will mit ihm um 7.30 Uhr im Kindergarten sein. Ihre heutige To-do-Liste auf dem Ackerbaubetrieb ist lang. „Lass das! Trödle nicht! Beeil dich! Wir müssen los“, herrscht sie den Kleinen laut an. Der schreckt hoch, schmollt und schmeißt sich hin. „Der Tag fängt ja mal wieder stressig an“, denkt Ines und zerrt ihren Sohn entnervt ins Auto.
Perspektivwechsel
Solche und ähnliche Situationen kennt Felicitas Heyne aus Schilderungen auch von Landwirtsfamilien. Im turbulenten und oftmals durchgetakteten Hof- und Familienalltag lauern manche Fallstricke, wenn es um die Kommunikation geht. Schnell ist in einer kritischen Situation oder im Affekt etwas gesagt, das man später bereut. So auch bei Ines, der ihr forscher Ton gegenüber Jonas im Nachhinein leidtat.
„Ein Perspektivwechsel, also sich in ihn hineinzufühlen und zu versuchen, die Motive für sein Handeln zu verstehen, hätte ihr geholfen, emotional etwas ‚herunterzukommen‘. Sie hätte bemerkt, dass Jonas nicht trödelte oder Blödsinn machte, weil er sie ärgern wollte, sondern dass er einfach gerade dabei war, zu spielen und die Welt zu entdecken. In seinem Alter hat er noch kein Zeitgefühl und wusste ja nicht, dass Ines es eilig hatte“, analysiert Heyne die Episode. In solch einem Augenblick sei es sinnvoll, vor einer überschnellen Reaktion einmal kurz innezuhalten und sich selbst über die Schulter zu schauen. „Ines und ihr Mann könnten ebenfalls überlegen, ob sie ihre morgendlichen Abläufe dahingehend verändern, dass der Start in den Tag für alle leichter wird“, denkt die Diplom-Psychologin laut nach. Übrigens entschuldigte sich Ines später bei Jonas und erklärte ihm, warum sie ihn am Morgen so angefahren hatte. „Kinder wissen, dass Eltern auch nur Menschen sind. Sie wollen keine perfekten, sondern liebende Eltern mit einer klaren und konsequenten Haltung“, unterstreicht die Expertin.
Einander zuhören
Mit größeren Kindern und Jugendlichen sorgten oft Diskussionen um die Mithilfe im Haushalt, die Hausaufgaben, das Zimmeraufräumen oder die Begrenzung der Social-Media-Zeit für zermürbende und belastende Familienmomente. „Wertschätzend, respektvoll und auf Augenhöhe miteinander zu reden, einander einfühlsam zuzuhören und eine andere Meinung auch einmal wertfrei stehen zu lassen, sind die Grundlagen für eine offene und konstruktive Kommunikation im Familienkreis, selbst wenn’s mal heftig kracht“, fasst Heyne zusammen. Dafür sollte man sich unbedingt Zeit und Ruhe nehmen.
Was so logisch klingt, ist in der Umsetzung leichter gesagt als getan. „Es hilft, wenn die Familienmitglieder gemeinsam einige Leitplanken und Regeln für Gespräche festlegen. Diese sollten aufgeschrieben und sichtbar für alle etwa in der Küche aufgehängt werden“, schlägt sie vor. Dabei sei es wichtig, dass jedes Familienmitglied mit seinen Äußerungen, Unsicherheiten und Ängsten ernst genommen werde und Gehör finde, egal wie alt oder jung es sei. „Wöchentliche oder vierzehntägige Familienkonferenzen, in denen besprochen werden kann, was den Einzelnen gerade beschäftigt oder bedrückt, bieten eine Chance, stetig im Dialog zu bleiben, und nicht erst dann, wenn ein Konflikt im Raum steht“, betont die Familientherapeutin.
Beim Reden sollten die Beteiligten darauf achten, dass Entwertungen und Rundumschläge unterbleiben. Was das konkret bedeutet, können Eltern auch schon kleineren Kindern in einfachen Worten vermitteln. Klar sollte sein, dass jede Art von Gewalt – sowohl verbal als auch körperlich – tabu ist. Niemand sollte beleidigt, bedroht oder ausgelacht werden.
Ich-Botschaften
Hier haben sich Ich-Botschaften bewährt, in denen Betroffene eines Konflikts ohne Vorwürfe zu machen, ganz bei sich bleiben, wertfrei die Situation oder das Verhalten des anderen schildern, das sie beeinträchtigt, und sagen, welche Gefühle dies bei ihnen auslöst. Danach sollten sie darüber sprechen, was ihnen in der bestimmten Situation wichtig gewesen wäre oder was sie gebraucht hätten. Mit einer konkreten, erfüllbaren Bitte können sie ihre Ich-Botschaft beenden, zudem dem anderen ein Angebot machen oder eine Vereinbarung für die Zukunft treffen. „Äußere ich beispielsweise als Mutter mein Anliegen in einer Ich-Botschaft und nicht als Verbot oder gar Befehl, ist mein Kind meist offen dafür, mir zuzuhören und mir im besten Fall zu folgen, weil es sich nicht gleich angegriffen fühlt,“ erklärt Heyne.
Eine gute Kommunikation innerhalb der Familie bedeute jedoch nicht, dass alle Konflikte in großer Runde besprochen werden müssten. Manches, was nur zwei Personen betrifft, könne auch unter vier Augen geklärt werden. Die Therapeutin stellt noch einen weiteren Fakt heraus: „Manchmal verschweigen Kinder ein Anliegen oder Problem, weil sie es nicht direkt ansprechen mögen. Hier hat sich ein Kummerkasten bewährt, in den sie Sorgen und Wünsche in schriftlicher Form einwerfen können.“
Als Paar im Dialog
Aber nicht nur ein offener und fairer Umgang zwischen Eltern und Kindern ist für das Familienleben von Bedeutung, sondern ebenso der Austausch zwischen den Eheleuten. Die Art, wie sie miteinander reden und umgehen, prägt nachhaltig das Bild, das ihre Kinder von Bindung und Beziehung erhalten. Eltern haben eine Vorbildfunktion. Sich als Paar offen über Wünsche, eigene Bedürfnisse und Befindlichkeiten auszutauschen, schafft Nähe und Verbundenheit, die positiv auf die gesamte Familie ausstrahlen.
Felicitas Heyne berichtet von der Landwirtsfrau und Zweifachmutter Mareile*, die sich mit ihren Aufgaben auf dem Hof erheblich überfordert fühlte. Statt mit ihrem Mann Tobias* offen darüber zu reden, schwieg sie und funktionierte weiter. Ihr Mann spürte zwar, dass etwas nicht stimmte, war aber mit seiner Arbeit so überlastet, dass auch er ein Gespräch vermied. Die Atmosphäre zwischen den beiden kühlte ab, es kriselte. „In einer landwirtschaftlichen Familie sind Familie und Beruf viel enger miteinander verwoben als anderswo. Häufig ordnen sich eigene Bedürfnisse wie selbstverständlich dem Betrieb unter, denn er ist die verbindende Lebensaufgabe und Lebensgrundlage“, stellt Heyne fest. Paare sollten gerade deshalb im Dialog bleiben und sich Auszeiten und Freiräume zu zweit oder für sich allein nehmen. Regelmäßige Paargespräche, um auf den Prüfstand zu stellen, was grundsätzlich im Alltagsablauf verbessert werden kann, seien ebenfalls ratsam. „Manchmal übernehmen junge Landwirtspaare automatisch altvertraute Verhaltensmuster, einseitige Familientraditionen und Glaubenssätze der Eltern oder Altenteiler, obwohl diese gar nicht zu ihnen passen“, gibt Heyne zu bedenken.
Mareile und Tobias suchten bei ihr professionelle Unterstützung und erarbeiteten neue Lösungswege raus aus der Überforderung. Die Partnerschaft und das Familienleben entspannten sich daraufhin merklich.