Wie ist Tierwohl messbar? Welche Indikatoren eignen sich für eine objektive Tierbeurteilung? Wie können Tierwohlindikatoren einfach und zeitsparend erfasst werden? Um diese Fragestellungen zu beantworten und die betriebliche Eigenkontrolle für Milchviehhalter zu vereinfachen, arbeitete die operationelle Gruppe (OG) „Tierwohl-Check” seit fast vier Jahren an einer praxistauglichen und digitalen Lösung.
Die Projektergebnisse und Anwendungsbeispiele wurden auf der Abschlussveranstaltung am 10. Mai in Rendsburg präsentiert. Nach Begrüßung durch Dr. Jörg Piepenburg, Landeskontrollverband (LKV) Schleswig-Holstein, der Entstehung und Verlauf sowie die Mitglieder der operationellen Gruppe vorstellte, übermittelte Dr. Heinrich Terwitte Grußworte vom zuständigen Ministerium und stellvertretend als Förderer der EIP-Projekte.
App: Entwicklung und Anwendung
Dr. Ole Lamp (Landwirtschaftskammer SH) moderierte die Veranstaltung. Über die Herausforderungen der App-Entwicklung sowie über die Vorteile der digitalen Datenerhebung informierte Daniela Stadter, Landeskontrollverband (LKV) Schleswig-Holstein.
Die Vorteile der digitalen Datenerhebung liegen vor allem in der automatischen Berechnung von bereits vorhandenen Daten und den eingetragenen Werten. Die Tierwohl-Check-App ist eine browserunabhängige, auf jedem mobilen Endgerät (unter m.tierwohl-check-sh.de) aufrufbare Web-App. Mit ihr werden Daten zu Indikatoren am Tier (zum Beispiel Körperkondition oder Klauenzustand) sowie zum Stallumfeld, zum Beispiel zu Liegeplatzverhältnis oder Tränkestellen, erhoben. Eine Ergebnisübersicht steht dem Nutzer direkt nach der Datenerfassung zur Verfügung und wird anhand von Ziel- und Alarmwerten übersichtlich für jeden Indikator dargestellt.
Anschließend berichtete der aktive Landwirt und OG-Mitglied Claus Solterbeck von den positiven Effekten durch die Anwendung der Tierwohl-Check-App auf seinem Betrieb. „Die positive Entwicklung der Tiergesundheit ist für mich stetige Motivation, mich zu verbessern“, sagte er.
Passgenaues E-Learning zur Tierbeurteilung
Für eine verlässliche Tierbeurteilung erarbeitete die OG ein passgenaues E-Learning zur Tierwohl-Check-App. „Wenn wir möchten, dass es unseren Kühen rundum gut geht, dann ist es wichtig, ergebnisorientiert zu arbeiten und das Tierwohl anhand von tierbezogenen Indikatoren zu bewerten“, leitete Dr. Jan Brinkmann vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau in Trenthorst seine Vorstellung ein. Auf dieser Plattform können die Anwender die Datenerhebung der Tierindikatoren erlernen. Es steht kostenfrei im Internet unter elearning.tierwohl-check.de zur Verfügung. Strukturiert in sechs Module, gibt es umfangreiche Informationen zur Durchführung der betrieblichen Eigenkontrolle, nützliche Hinweise und Hintergrundinformationen, Definitionen und Berechnungsgrundlagen zu den Indikatoren, praktische Merkblätter und eine Anleitung zur Datenerhebung. Die Inhalte orientieren sich am aktuellen Stand des Wissens der Tierwohlforschung. Auch für Tierärzte und Berater kann das E-Learning wertvolle Informationen zur Tierbeurteilung vermitteln.
Tierwohl-Check-App als Beratungstool
Hannah Lehrke von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein zeigte das Potenzial der Tierwohl-Check-App im Einsatz der Betriebsberatung. Mit dem Leitsatz „Ich kann nur steuern, was ich auch messen kann“ veranschaulichte sie den Zusammenhang von Tierwohl, Ökonomie, Ökologie und Sozialem. „Tierwohl ist Teil der moralischen und ethischen Verantwortung gegenüber unseren Nutztieren, es ist entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung sowie ökonomischen Mehrwert“, machte Lehrke klar.
Die Relevanz des Tierwohls in Bezug auf die ökonomische Beurteilung von Lahmheiten und wie hoch der betriebliche Schaden in Summe der Krankheitsfälle ausfallen kann, stellte sie eindrucksvoll in einem Rechenbeispiel dar. Durch den Einsatz der Tierwohl-Check-App können Schwachstellen erkannt, Einzeltiere identifiziert und gezielt Maßnahmen festgelegt werden. „Die Investition in das Tierwohl lohnt sich, und durch die Verminderung von Krankheitsfällen können schnell Einsparungen erzielt werden“, resümierte die Mitarbeiterin im Fachbereich Rind der Landwirtschaftskammer.
Wie Kühe die Welt erleben
Wie Kühe ihre Umgebung wahrnehmen und wie Kuhhalter mit dem Wissen darüber das Tierwohl in ihrem Stall beeinflussen können, zeigte Benito Weise vom Landwirtschaftlichen Bildungszentrum in Echem interaktiv in seinem Vortrag zur Sinneswahrnehmung beim Rind. Rinder als Fluchttiere können besonders gut bis zu einer Frequenzhöhe von 35.000 Hz hören, der Mensch im Vergleich nur bis 19.000 Hz. Dies war ein enormer Vorteil der wilden Vorfahren der Hausrinder, so konnten Warnrufe von Vögeln oder das Knacken im Gebüsch, wenn sich zum Beispiel ein Wolf anschleichen wollte, besser wahrgenommen werden.
Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass Kühe beim Hören von hohen Frequenzen in Stress geraten, vor allem wenn ihnen die Geräusche unbekannt sind. Auch beim Sehvermögen der Kuh gibt es für die Halter im Umgang mit den Tieren einige Unterschiede zum Sehvermögen des Menschen zu berücksichtigen. Das Auge der Rinder braucht fünf bis sechs Mal länger, um sich an wechselnde Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Daher bleiben die meisten Tiere beim Wechsel von sehr dunklen in sehr helle Stallbereiche stehen und weigern sich weiterzugehen. Aus diesen Gründen sollten Kuhhalter die Stalltechnik regelmäßig auf störende Geräusche mit hohen Frequenzen überprüfen sowie den Tieren bei Übergängen von wechselnden Lichtverhältnissen Zeit für die Gewöhnung und Anpassung der Augen geben.
Tierwohl ist Mehrwert
Das Schlusswort der Veranstaltung sprach Dr. Heiner Kahle von der Rinderzucht Schleswig-Holstein. „Tierwohl ist Mehrwert“ – so lautete das Motto des Projektes. Dieser Mehrwert hat mehrere Dimensionen: Mehrwert für die Tiere, für die Anwender und Mehrwert infolge einer ressourcenschonenden Erzeugung hochwertiger Nahrungsmittel.
Tierwohl ist ein Produktionsfaktor. Die OG „Tierwohl-Check” wünscht sich eine weite Verbreitung der Projektergebnisse in der landwirtschaftlichen Praxis sowie in der schulischen und betrieblichen Ausbildung, in der Betriebsberatung und tierärztlichen Bestandsbetreuung.
Fazit
Die Einsatzmöglichkeiten der kostenfreien Tierwohl-Check-App und des passgenauen E-Learnings gehen weit über die systematische Analyse des Tierwohls hinaus. Der gesellschaftlichen Forderung nach einer Verbesserung des Tierwohls wird damit ebenso Rechnung getragen wie auch dem Wunsch der Landwirtinnen und Landwirte nach einer fortlaufenden Optimierung ihrer Betriebe, unabhängig von Haltungsform und Betriebsausrichtung.