„Fremde werden Freunde“ lautet der Leitspruch des Bundes der Deutschen Landjugend (BDL). In der ersten Maiwoche trafen 26 Mitglieder der Niedersächsischen Landjugend und der israelischen Kibbuz-Bewegung in Israel aufeinander. Auch die drei Schleswig-Holsteinerinnen Kea Lausen, Laura Stolley und Carolin Friedrichsen tauschten ihre Boots gegen Birkenstocks ein, um ein Land zu betreten, das im Mittleren Osten liegt und doch so eng mit unserer Geschichte verwoben ist.
Neben dem Landleben verbindet die jungen Erwachsenen beider Länder die Freude daran, ins kalte Wasser zu springen, in diesem Fall in den Jordan.
Fünf Tage in Kibbuzim
In der nördlichen Region Upper Gallilee verbrachten wir fünf Tage in den Kibbuzim Bar‘am und Kfa Blum. Ein Kibbuz ist eine Siedlungsform, die es nur in Israel gibt. Es handelt sich um eine kollektive Gemeinschaft, die traditionell agrarisch geprägt ist. Anschließend besichtigten wir die Heilige Stadt Jerusalem und die moderne Hauptstadt Tel Aviv, in der laut dem Programmierer Ido (24) mehr Regenbogenflaggen, als Israelflaggen zu sehen seien.
Während der Woche fanden Workshops zu Themen wie „die Rolle und das Engagement der Jugend im ländlichen Raum“ und „Eigenschaften eines leitenden Ehrenamtlichen“ statt. In Gesprächen mit der Bürgermeisterin von Upper Gallilee und dem Leiter des Kibbuz Bar‘am beschäftigten wir uns mit den Herausforderungen und Möglichkeiten für die Jugend auf dem Land.
Am ersten Mai wurden wir von unseren Austauschpartnern im Kibbuz Bar‘am empfangen. In den Gartenanlagen blühten keine rosa Kirschbäume, sondern Zitronen- und Apfelsinenbäume. Durch Vorträge eines Geschichtsprofessors und der Leiterin der Kibbuz-Bewegung Israels erhielten wir einen Überblick über die Entstehung der Kibbuzim und die dortige Lebensweise. Anfang des 20. Jahrhunderts entstand eine neue Kultur des Judentums. Im Zuge der Ideologie des Zionismus verstanden sich die Gründer der Kibbuzim als „Farmer and Fighter“. Seit den Kibbuzim-Gründungen ist die Landwirtschaft ein wichtiges Instrument zur Wahrung der Unabhängigkeit.
Wir erhielten eine Führung auf einem staatlich subventionierten Versuchsgut, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Kreuzung von Getreide- und Obstsorten basiert. Ein Mitarbeiter hob hervor, dass besonders die Trockenheit eine Herausforderung für die israelische Landwirtschaft darstelle.
Von einem Naturführer erfuhren wir, dass Israel ein Zwischenstopp für zahlreiche Zugvögel sei. Der Kranich ist das Wahrzeichen des dortigen Vogelschutzgebiets – und der größte Schädling für die landwirtschaftlichen Flächen. Aus diesem Grund beteiligen sich die Landwirte an der Maisfütterung der Zugvögel in Vogelschutzgebieten, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen.
Im Kibbuz Bar‘am erhielten wir Einblicke in die Weinberge, Apfel- und Mandarinenplantagen, während wir den Milchviehbetrieb im Kibbuz Kfar Blum besichtigten.
Von neun Millionen Israelis leben 180.000 in Kibbuzim. 40 % der landwirtschaftlichen Erzeugnisse stammen aus diesen Lebensgemeinschaften. Neben der Landwirtschaft haben sich die Wirtschaftszweige in den Kibbuzim erweitert. Im Kibbuz Bar‘am wurde beispielsweise medizinisches Zubehör hergestellt. Die Wirtschaftskraft der Kibbuzim macht 8 % der Gesamtwirtschaftskraft Israels aus. Die Wirtschaft dominiert durch die IT- und Rüstungsindustrie. Frauen und Männer leisten nach der Schule einen dreijährigen Militärdienst. Die erste Frage in einem Gespräch von jungen Menschen sei: „In welchem Bereich hast du beim Militär gedient?“
Bunker als Klassenraum
Die grüne und hügelige Tourismusregion Upper Gallilee grenzt an den Libanon und Syrien. Der Schutzbunker im Kibbuz Bar‘am war von innen mit Kinderzeichnungen versehen. Der Metzger Daniel (23) erzählte, dass seine Grundschule einen nahegelegenen Bunker als Klassenraum umfunktioniert habe und Bunker andernorts auch als Proberäume für Bands dienen würden. Sein Freund, der Künstler Or (22) ergänzte, dass seine Mutter ihr Büro im Schutzbunker vor ihrem Haus eingerichtet habe, um den vorhandenen Platz zu nutzen.
Am Dienstag kam ein älterer Herr auf seinem Fahrrad vorbei, und seine strahlenden Augen zeugten von einer unermüdlichen Haltung und Zuversicht, während der Holocaustüberlebende von seiner Kindheit und der Flucht von Polen nach Israel berichtete. In deutsch-israelischen Kleingruppen sprachen wir über unsere Großeltern. Auf beiden Seiten gab es Tränen. An dieser Stelle wurde die Bedeutung des Austauschs besonders deutlich –und die beruhigende Gewissheit, dass wir auch gemeinsam lachen können. Auch übereinander, auch über unsere Vergangenheit?
Berührender Gedenktag
Wie eng die deutsch-israelische Vergangenheit verwoben ist, wurde bei der Teilnahme am Gedenktag der gefallenen Soldaten seit der Staatsgründung 1948 deutlich. Währenddessen waren wir im Kibbuz Kfa Blum zu Gast, in dem Jung und Alt an einem lauen Sommerabend zusammenkamen, um Soldaten zu würdigen, die in ihrem Kibbuz gelebt und für die Verteidigung des Staates gestorben sind. Es fielen Namen wie Probst, Rehberg und Jacobsen. Die Sozialarbeitsstudentin Ofri (24.) erzählte, dass jeder in der Gruppe jemanden im Bekanntenkreis kenne, der sein Leben im Krieg verloren habe.
Während wir auf einem Berg die Aussicht auf Windkraftanlagen und Obstplantagen auf der israelischen Seite sahen, fiel der Blick auch auf syrische Dörfer und einen weißen Gebäudekomplex, die UN-Überwachungsstation. Seit 2018 sind keine Soldaten mehr auf dem Berg stationiert, stattdessen bestaunen Touristen wie wir die Aussicht. Wir standen in einem Kreis und sangen auf Hebräisch und Englisch ein Lied eines jungen Soldaten, in dem er sich bei seiner Familie entschuldigt, dass er nicht wie versprochen wiederkommen werde. Nach seinem Tod während eines Einsatzes fand man die Zeilen in seinem Notizbuch.
Am Abend nahmen wir an den Feiern zum Unabhängigkeitstag teil. Eine Gruppe führte einen Volkstanz vor, und Kinder gingen mit Israelflaggen durch die Reihen. Anschließend tanzten wir zu Livemusik. Es war eine ausgelassene Nacht.
Am Donnerstagmorgen sprangen wir in den Jordan und wurden anschließend von der Goldschmiedin Ariel (29) zu sich nach Hause eingeladen. Dort saßen wir unter Pekanussbäumen und grillten. Außerdem zeigte der Landwirt Niv (25) ein Unternehmen, in dem er im Labor aus Pilzen ein Pulver gewinnt und es für Gesundheitsshakes verkauft.
Gebete mit Bewachung
Am nächsten Tag fuhren wir nach Jerusalem und besichtigten die Grabeskirche in der Altstadt. Danach verfassten wir Wünsche und steckten sie in die Spalten der Klagemauer. Während sich in Israel 74 % der Menschen als jüdisch bezeichnen, leben in Jerusalem mehrheitlich Muslime. Vor der Gebetszeit zog ein Schwarm von Männern zur al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg. Eine 19-jährige Polizistin begleitete unsere Stadtführung vor der Klagemauer und der al-Aqsa-Moschee mit einem Gewehr über dem Arm.
Dann tauchten wir in das bunte Treiben des Mahade Jehuda Markts mit Früchten, Gewürzen, Gebäck und Keramik ein. Als wir am Abend in Tel Aviv ankamen, führten unsere israelischen Freunde eine Shabatzeremonie mit uns durch. Zum Sonnenuntergang saßen wir im Kreis und zündeten Kerzen an. Anschließend sprachen wir auf Hebräisch und Englisch ein Gebet und teilten Brot und Wein.
Am Sonnabendmorgen hörten wir Musik über Kopfhörer und tanzten unter der Anleitung von „Guru Zuzu“ durch Tel Aviv. Es war ein Fest für alle Beteiligten und auch für die Unbeteiligten. Nach dem Abschied von den Israelis ging es von Tel Aviv wieder nach Hamburg. Mitte September werden wir sie in Niedersachsen willkommen heißen. „Shalom!“ – das heißt auf Hebräisch „Auf Wiedersehen“ und „Frieden”.