Mehr als 1.500 Repair-Cafés gibt es in Deutschland. Eines von ihnen befindet sich im Schleswiger Mehrgenerationenhaus „Tilo“. Am ersten Sonnabend eines jeden Monats kommen hier von 14 bis 17 Uhr ehrenamtliche Fachleute und Laien zum Reparieren alter, noch erhaltenswerter und lieb gewonnener Dinge zusammen.
Birger Holst aus Owschlag wuchtet seinen in die Jahre gekommenen Fernseher auf den Tisch. Schnell ist er mit IT-Fachmann und Kommunikationselektroniker Olaf Emke in ein Gespräch über das TV-Gerät vertieft, das irgendwann seinen Geist aufgab. Beide öffnen das Gehäuse und beginnen fachsimpelnd mit der Fehleranalyse. Ist die Netzteilplatine defekt?
Sabine Will kommt mit ihrer Nähmaschine in den Raum und trifft auf Helene Neuß-Aniol. „Was ist mit der Maschine?“, fragt diese. „Da, an dem Handrad ist was fest. Es lässt sich nicht drehen“, zeigt die Busdorferin. Die Fachfrau denkt kurz nach. „Haben Sie die Gebrauchsanweisung dabei?“ Sabine Will nickt. Wenig später machen sich Ehrenamtlerin und Besucherin gemeinsam auf die Suche nach der Lösung des Problems.
Dr. Helmut Vollert hat seine alte Braille-Schreibmaschine mitgebracht. Rund 34 Jahre hat die Punktschriftmaschine auf dem Buckel. Sie ist mit dem Blindenschriftsystem ausgestattet. Mit ihm werden das Alphabet sowie Satzzeichen und Zahlen der Sehenden für Menschen mit Blindheit tastbar dargestellt. Der Richter im Ruhestand erläutert, dass die Maschine dafür nicht mehr alle benötigten Punkte in das eingespannte Papier drücke. Eine anspruchsvolle Herausforderung für Schülerin Franziska und Lothar Aniol, einen Elektroniker für Betriebstechnik. Die zwei begeben sich gespannt auf Fehlersuche. Vollert sitzt währenddessen mit seinem Begleiter bei einer Tasse Kaffee auf der Terrasse. In seiner Kindheit erkrankte der Senior am grünen Star und ist mittlerweile erblindet. Andere seien daran gescheitert, den Fehler bei seiner Maschine zu finden, verrät der 83-Jährige. Das Repair-Café sei seine letzte Option. Bereits zum zweiten Mal sei er hier. „Meine 52 Jahre alte, rein mechanische Schreibmaschine haben die Ehrenamtlichen vor zwei Monaten auch wieder flottgekriegt. Das war super!“, lobt er. Der Leiter des Tilo, Ulrich Krusekopf, hat an diesem Sonnabendnachmittag alle Hände voll zu tun. Ab 14 Uhr stand er am Eingang, um den Besucherstrom zu lenken. Telefonisch hatten sich zuvor 16 Frauen und Männer angekündigt, die etwas zu reparieren haben. Nach einer persönlichen Anmeldung kehren sie zunächst im Tilo-Café ein, genießen Kaffee und Kuchen, klönen, bis sie an der Reihe sind.
Helfen statt Wegwerfen
„Seit 2013 gibt es unser Repair-Café. Wir wollen damit ein Zeichen gegen die Wegwerfmentalität in der Gesellschaft setzen und Ressourcen schonen“, informiert Krusekopf und betont: „Es geht hier nicht darum, Dinge nur abzugeben und reparieren zu lassen. Selbsthilfe mit Unterstützung und gegenseitige Hilfe lautet die Devise. So lernen alle voneinander, und der eine oder andere kann vielleicht das nächste Mal schon selbst kleinere Reparaturen ausführen.“
Das Team des Repair-Cafés besteht aktuell aus bis zu 14 Personen, die einen unterschiedlichen beruflichen Background haben und viel Erfahrung und handwerkliches Know-how mitbringen. Eine Garantie für das Gelingen der Reparatur können sie natürlich nicht geben. Ist etwas irreparabel, bleibt jedoch das gute Gefühl, es immerhin probiert zu haben. „Unser Angebot wird toll angenommen. Schon vor und während der Corona-Pandemie sind die Reparaturanfragen stark angestiegen. Das Bewusstsein und die Notwendigkeit für mehr Nachhaltigkeit und weniger Konsum wachsen, gerade in Zeiten von hohen Energiekosten und steigenden Preisen“, gibt er zu bedenken. Übrigens belaste die Hilfe beim Reparieren nicht den Geldbeutel, sondern sei kostenfrei. Werkzeug und Grundmaterial seien vorhanden. Wer mag, könne am Tresen eine Spende hinterlassen.
Birger Holst strahlt über das ganze Gesicht. Nach 90 min vermeldet er: „Mein Fernseher läuft wieder!“ Nachdem Olaf Emke alles durchgemessen hatte und einen Fehler an der Netzteilplatine ausschließen konnte, fand er im Gerät ein totes Insekt. „Die Verunreinigung hat wohl dazu geführt, dass die Powertaste defekt war. Das hat Herr Emke behoben“, erzählt Holst. Sein TV werde er jetzt zum Streamen mit einem Smart-TV-Stick ausstatten und dann als Zweitgerät im Arbeitszimmer nutzen. „Der Nachhaltigkeitsaspekt war für mich ein Grund, heute hierherzukommen. Meine Erwartungen wurden voll erfüllt. Jetzt kann mir der Fernseher die nächsten Jahre gute Dienste leisten und landet nicht auf dem Müll“, resümiert er zufrieden. Auch Olaf Emke freut sich.
Tonnen von Müll vermieden
Seit 2014 gehört er zum Team. „Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn man helfen kann. Als Sohn eines Autoverwerters wurde mir Nachhaltigkeit schon in die Wiege gelegt. Oft sind es einfache Fehler bei den Geräten, die schnell zu beheben sind, wenn man sich auskennt“, bemerkt er. Wie viele Tonnen Müll das Repair-Café bisher vermeiden konnte? „Genau weiß ich das nicht. Aber es sind sicher einige gewesen.“ Ihm blute immer das Herz, wenn er auf einen Recyclinghof komme und die prall gefüllten Container mit den verschrotteten Elektrogeräten sehe. „Etliche davon hätte man bestimmt noch retten können“, meint er nachdenklich.
Besucherin Sabine Will ist ebenfalls glücklich. Ihre Nähmaschine läuft nach einer Stunde wieder einwandfrei. Helene Neuß-Aniol hat die Unterfadenspannung nachgestellt und sie gesäubert und geölt. „Durch das Studieren der Gebrauchsanweisung fanden wir heraus, dass ich beim Einfädeln immer einen bestimmten Fehler machte. Ich hätte die Anleitung früher lesen sollen“, gesteht sie schmunzelnd. Mit viel Geduld zeigte ihr Helene Neuß-Aniol, wie es richtig geht. Nun will Sabine Will als Erstes ihre kaputte Einkaufstasche nähen.
Und der Pensionär mit der Braille-Schreibmaschine? Nach fast drei Stunden Tüftelarbeit stellt sich heraus: Die meisten Kondensatoren funktionieren wahrscheinlich nicht mehr. Die Helfer benötigen Ersatzteile, die nun besorgt werden müssen. Helmut Vollert wird also wiederkommen. „Wir geben nicht auf und versuchen es beim nächsten Mal weiter“, versichert ihm Lothar Aniol beim Abschied. Weitere Infos unter kibis-sl.de