Etwas Schönes mit den eigenen Händen zu gestalten und dabei das Stresslevel zu reduzieren, bedeutet für viele Menschen Ausgleich zum Berufsalltag. Andere starten, wenn die Kinder aus dem Haus sind, oder im Rentenalter noch einmal kreativ richtig durch. Eine Folge: Das Spinnen mit dem Handspinnrad ist im Kommen. Spinnkurse erfreuen sich wachsender Beliebtheit.
Fast 100 Spinner verwandelten am Sonnabend das Gettorfer Gemeindehaus in ein Zentrum wolliger norddeutscher Kreativität. Das privat organisierte Treffen von Handspinnern aus den norddeutschen Bundesländern fand zum ersten Mal 2008 statt und seitdem jedes Jahr im Januar, wenn nicht gerade Corona war. Kamen in den Anfangsjahren etwa 40 Spinner, sind es längst um die 100. Als der ursprüngliche Raum in Schinkelerhütten zu klein wurde, zog das Treffen in das Gettorfer Gemeindehaus um. „Es gibt kein Programm, aber dadurch, dass wir so viele verschiedene Teilnehmer sind, kann sich jeder viele Anregungen holen.“
Alle Teilnehmerinnen – es kommen überwiegend Frauen zu den Treffen – verbindet ihr Hobby des Handspinnens. Die meisten von ihnen sind aber nicht nur Spinnerinnen. Einige von ihnen halten auch Schafe oder Alpakas und verarbeiten die Wolle von Anfang an bis zum fertigen Kleidungstück. Sie waschen, kardieren und färben die Wolle selbst, sie filzen, spinnen, stricken, weben. Fast alle Teilnehmerinnen verarbeiten Schafwolle von den unterschiedlichsten Rassen. Aber auch Wolle von Alpakas, Kaninchen und Hunden wird verarbeitet, ebenso Seide und andere Edelfasern. Die meisten haben Kostproben ihres kreativen Schaffens mitgebracht oder tragen sie selbst.
Die meisten Teilnehmerinnen kommen nicht allein, sondern mit ihrem Spinnkreis. Spinnerinnen haben sich zu informellen Gruppen zusammengeschlossen, in denen sie sich regelmäßig zum Spinnen treffen, Material und Erfahrungen austauschen.
Benita Davidoff übergibt an Felmer Spinnkreis
Benita Davidoff aus Großkönigsförde, die das Nordspinner-Treffen erfunden und bisher jedes Jahr organisiert hatte, übergab ihr Amt bei diesem Treffen an ihre Nachfolgerinnen – die Frauen vom Felmer Spinnkreis. „Loslassen ist ja nicht immer leicht, aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich weiß, dass meine Nachfolger in guter Weise weitermachen werden. Sabine Bauer brennt so richtig für textile Techniken, dass ich mir da keine Sorgen machen muss. Sie übernimmt auch meine Kurse“, so die 71-Jährige. Sabine Bauer gehört zum Felmer Spinnkreis, der ab nächstem Jahr das Treffen organisieren wird. In diesem Jahr war es zum Übergang ein Gemeinschaftswerk.
Benita Davidoff hat früher in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet. „Mich hat fasziniert, wie die behinderten Mädchen gesponnen haben. Das wollte ich auch.“ Sie hat dann schnell gemerkt, dass das Spinnen einfacher aussieht, als es tatsächlich ist. Sie vergleicht es gern damit, Autofahren zu lernen. „Da muss man Kupplung, Bremse und Gas bedienen können und außerdem noch auf den Verkehr achten.“ Beim Spinnen müsse man Hände und Füße koordiniert bewegen. Anfänger nutzten deshalb häufig ein Spinnrad, bei dem sie nur einen Fuß bewegen müssten.
Alpakas, Kaninchen, Schafe und Seidenraupen
Stefanie Kruth, Elke Mletzeck und Heidi Haltermann gehören zum Spinnkreis Barmstedt im Kreis Pinneberg. Ihre Wege zum Spinnen waren sehr unterschiedlich. Heidi Haltermann hatte mit ihrem Mann eine Baumschule betrieben. Als die nächste Generation übernahm, zog sie sich zurück und startete noch einmal neu durch – mit Alpakas. Eine Verwertungsmöglichkeit für die Wolle hatte sie anfangs noch nicht, also begann sie mit dem Spinnen. Stefanie Kruth lernte das Spinnen bereits sehr früh – in ihrer Schule in Friedrichsort – und sie bleib dabei. Elke Mletzeck erinnerte sich nach dem Tod ihrer Oma daran, dass die immer gesponnen hatte. Damals lebte sie im Ausland. Als sie zurückkam, war das alte Spinnrad bereits entsorgt. Sie appelliert an alle, die Spinnräder im Nachlass ihrer Lieben finden, diese nicht wegzuwerfen, sondern sie Handspinnern zu überlassen.
Stefanie Kruth pflichtet ihr bei. Sie nutzt selbst ein sehr altes Spinnrad. Sie ist sich sicher, dass dieses Spinnrad mindestens vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurde. Trotz aller Nachforschungen hat sie bis heute noch nicht herausgefunden, von welcher Firma es gebaut wurde. Auch das Textilmuseum Neumünster, in dessen Besitz sich das gleiche Modell befindet, hat dies bisher nicht in Erfahrung bringen können. „Vielleicht weiß dies ja ein Leser des Bauernblattes?“, hofft sie. Sie selbst macht sehr gute Erfahrungen mit ihrem alten, unbekannten Spinnrad. „Ich kann auch sehr feine Fasern darauf spinnen“, sagt die passionierte Seidenspinnerin.
Die drei Frauen vom Spinnkreis Barmstedt ergänzen sich bestens. Während Heidi Haltermann eine ganze Herde von Alpakas in zwei verschiedenen Rassen hält, hat Stefanie Kruth beste Beziehungen zu einem Seide verarbeitenden Betrieb, von dem sie Reste aufkauft, die sonst weggeworfen würden. „Das ist Nachhaltigkeit.“ Elke Mletzeck schließlich hat Beziehungen zu einem Angorakaninchenzüchter in Schleswig-Holstein. Hier weiß sie, dass der Tierschutz eigehalten wird. „Ich würde nie Kaninchenwolle aus dem Ausland kaufen, wo ich befürchten muss, dass die Tiere gerupft werden.“ Schafwolle kaufen sie zu, denn keine der drei Frauen hält eigene Schafe. Die drei Spinnerinnen färben mit ökozertifizierten Farben, probieren aber auch Naturmaterialien zum Färben aus. Kreativ sind sie aber nicht nur beim Färben. Aufgrund ihrer Materialauswahl kreieren sie auch immer wieder neue Fasermischungen.
Wenn Beruf und Hobby eine Verbindung eingehen
Jutta Kohlbeck-Gangl betreibt mit ihrem Mann zusammen in Wahrendorf im Kreis Ostholstein einen Biobauernhof. Obwohl sie eigentlich bereits im Rentenalter ist, hält sie 80 Schafe, die sie direkt vermarktet. Zum Spinnen und Stricken bleibt da wenig Zeit. Denn um die Tiere kümmert sie sich allein, ihr Mann ist für die Technik zuständig. „Allein im letzten Jahr hatten wir 145 Lämmer.“ Doch den Spinnkreis am Bungsberg lässt sie sich nicht nehmen. Jutta Kohlbeck-Gangl kennt sich mit Schafen aus. Sie weiß, dass die Wolle von Milchschafen eine Wolle für Anfänger ist und dass sich die Wolle von Bergschafen besonders gut zum Filzen eignet. Die Vielfalt an Schafrassen in Schleswig-Holstein ist sehr groß, was für Spinnerinnen und Menschen, die gerne echte Schafwolle weiterverarbeiten, den Vorteil hat, dass sie eine große Auswahl haben, denn jede Rasse liefert andere Wolle, sodass die unterschiedlichsten Effekte erzielt werden können. Für professionelle Schafhalter ist das aber auch ein Nachteil. „Es gibt in Schleswig-Holstein meist nicht genug gleiche Wolle für eine Partie. Deshalb gibt es hier auch keine Firma, die professionell Schafwolle wäscht. Die nächste Firma ist in Belgien.“
Einer der wenigen Männer im Raum ist Torsten Schumacher. Er leitet die tiergestützte Förderung in der Tagesförderstätte „Die EckernFörderer“, in der behinderte Menschen arbeiten. Damit hat er das Spinnen zum Beruf gemacht. „Die EckernFörderer“ halten aber nicht nur Schafe und verarbeiten die Wolle gemeinsam mit den Behinderten. Hier entstehen auch Spinnräder und Kardiermaschinen. Eine wichtige Besonderheit bei „Die EckernFörderer“ ist, dass die Schafe nicht geschlachtet werden. Die „Schaffelle“, die die Werkstatt verkauft, haben Schafen gehört, die immer noch auf der Weide unterwegs sind. Tatsächlich handelt es sich um keine echten Felle, sondern um Wollvliese, die auf der Rückseite so gut gefilzt sind, dass sie zusammenhalten wie ein Fell. In den Sommermonaten verkauft die Werkstatt ihre Produkte wieder auf dem Eckernförder Wochenmarkt.