Plattdeutsche Geschichten müssen nicht zwangsläufig leicht und lustig sein. „Platt ist viel mehr!“, meint Ralf Spreckels aus Schönhorst im Kreis Plön. Mit Leidenschaft und Herzblut, immer einen flotten Schnack auf den Lippen, setzt er sich für die heimelige Sprache seiner Kindheit ein.
„Platt ist eine klare, unschlagbar aussagekräftige Sprache, mit der man ganz nah bei den Menschen ist“, sagt Ralf Spreckels und ist schon mittendrin in seinem Lieblingsthema. Der 76-Jährige sitzt am Esstisch im Wohnzimmer seines Einfamilienhauses. Neben ihm hat Ehefrau Angela – Gelchen, wie er sie liebevoll nennt – Platz genommen und schenkt Tee ein. Seit 55 Jahren sind die beiden verheiratet, haben eine Tochter, einen Sohn und drei Enkelkinder. „Familie, Sport, Musik, handwerkliche Aktivitäten und natürlich die schöne plattdeutsche Sprache füllen meinen Tag voll aus“, erzählt der agile Senior. Vor sich hat er einige CDs und Bücher bereitgelegt, die er im Laufe der vergangenen Jahre mit selbst verfassten plattdüütschen Riemels und Geschichten gefüllt hat.
Seit 2017 gehört er zum Autorenteam der Radiosendung „Hör mal ’n beten to“, einer plattdeutschen Morgenplauderei, die werktäglich auf NDR 1 Welle Nord, NDR 90,3 Hamburg und NDR 1 Niedersachsen läuft. Außerdem ist er mit Lesungen im Land unterwegs. Hierbei wird er vom Kieler Bandoneon-Solisten Horst-Hermann Schuldt musikalisch begleitet. Unter dem Motto „Platt und Musik“ singt Spreckels dann auch mit Freude aus einem reichen Repertoire Lieder wie „Dat du min Leevsten büst“, „Snuten un Poten“ oder „Wo de Nordseewellen trecken an den Strand“.
Viele vergnügliche Stunden haben Spreckels und Schuldt den Besuchern ihrer Veranstaltungen schon geschenkt und damit gleichzeitig Gutes getan. „Unsere Honorare stiften wir zu 100 Prozent für den guten Zweck“, stellt er heraus. Auf diese Weise seien allein für das Kinderhilfswerk Schönkirchen fast 25.000 € zusammengekommen. Mit dem Erlös von Benefizveranstaltungen half das Duo ebenfalls dem Hospiz Kieler Förde und dem Förderverein des Traditions- und Museumsschiffes Stadt Kiel. Doch wie begann Spreckels‘ Engagement in Sachen Plattdüütsch? Für die Antwort reist er gedanklich in die Kindheit zurück. Als Flüchtling kam seine Mutter mit dem älteren Bruder Rainer zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus Stettin ins Dörfchen Schönhorst (seit 1970 ein Ortsteil der Gemeinde Schönkirchen). Dort lebten die Großeltern seines Vaters, der bei der Marine zur See fuhr. Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft ging es für ihn gleich zu Frau und Kind. Ein Jahr später komplettierte Ralf die Familie.
„Ich habe die plattdeutsche Sprache von klein auf aufgesogen. Eltern, Oma, Opa, Onkel, Tanten und Nachbarn sprachen sie. Obwohl ich jedes Wort verstand, schnackte ich selbst kaum Platt. Damals befürchtete man für Kinder Nachteile in der Schule, wenn sie Platt sprachen“, blickt er zurück und berichtet weiter im Schnelldurchlauf aus seinem bewegten, kunterbunten Leben, das bis heute immer wieder als Stoff für sein literarisches Schaffen dient. Mit 15 Jahren, nach dem Abschluss der Realschule, wollte der abenteuerlustige Teenager Kapitän werden. Schließlich fuhren Vater und älterer Bruder ebenfalls zur See. „Ich war zur Ausbildung auf dem früheren Segelschulschiff Passat und heuerte danach als Moses (Schiffsjunge) auf einem Bananendampfer an. Bald war aber ‚Daddeldu‘ mit der christlichen Seefahrt, denn ich war bei meiner ersten, zweimonatigen Reise in die Karibik und nach New York die ganze Zeit schrecklich seekrank und schmiss hin.“
Nach anschließenden Lehr- und Studienzeiten leitete er 30 Jahre die Büroorganisation einer Versicherung. „Doch das Fernweh ließ mich nie mehr ganz los. Zwischen 1982 und 1988 fuhr ich sporadisch auf dem Schiff meines Bruders, der Kapitän war, als Matrose ohne Brief mit. Seekrank wurde ich übrigens nicht mehr“, bemerkt er schmunzelnd. Auch die maritimen Erlebnisse fanden später Eingang in sein vielfältiges Werk.
Machen wir jetzt einen Zeitsprung ins Jahr 2000, als Spreckels aktiv mit dem Platt begann. Damals besuchte er mit seiner Frau plattdeutsche Theateraufführungen. „Doch ich war enttäuscht, dass meist nur heitere Stücke mit simplem Klamauk zur Aufführung kamen. Das erschien mir etwas wenig. Wo blieben die ernsthaften Stücke? Plattdeutsch kann doch viel mehr.“ Es war Gelchen, die ihm den Anstoß gab, zur Feder zu greifen. „Du kannst doch nicht immer nur über andere meckern, dann schreib doch selbst mal was“, ermunterte sie ihren Gatten, kreativ zu werden. Der legte in seiner „Schrievstuuv“ gleich mächtig los. Nachts kamen ihm die besten Ideen, die er tags darauf niederschrieb. Bald war er bei den „Kieler Nachrichten“ (KN) freier Autor für eine wöchentlich erscheinende plattdeutsche Seite, schrieb über seinen Alltag, die Familie, Nachbarn oder Freunde.
Etliche Jahre war er bei den musikalische KN-Weihnachtsforen mit dabei, bis diese eingestellt wurden. Allmählich kamen mehr Lesungen hinzu, das Radio und plattdeutsche Buchverlage wurden auf ihn aufmerksam, eines fügte sich zum anderen. Seine warmherzigen, feinsinnigen Geschichten und Gedichte mit einer Mischung aus Humor, Nachdenklichkeit und Tiefgang kamen prima an, öffneten ihm Tore und Herzen. „Weißt du noch“, wirft seine Frau spontan ein, „als du einmal die Geschichte über deinen Vater vorgelesen hast? Da war es im Saal mucksmäuschenstill. Alle lauschten gebannt und fanden sich in deiner Erzählung wieder.“
Im Jahr 2003 war er Preisträger beim Schreibwettbewerb „Vertell doch mal“, der vom NDR, Radio Bremen und dem Ohnsorg-Theater ausgerichtet wird. Seine mit dem dritten Preis ausgezeichnete Geschichte wurde im Jahresband mit den besten Geschichten aufgenommen. 2008 gehörte er erneut zu denen, deren Beiträge für die Jahrespublikation ausgewählt wurden. 2013 gewann er den ersten Preis in der Gruppe „Erwachsene – niederdeutsch“ beim Schreibwettbewerb „Ole Bööm“ des Heimatbundes und der Stiftung Naturschutz. „Mit einem Plädoyer für das Plattdeutsche nahm ich sogar als ältester Teilnehmer am NDR-Poetry-Slam 2018 teil“, ergänzt der Weißschopf mit einem leisen Lächeln. Auch wenn er hier nicht auf dem Siegertreppchen landete, egal. Hauptsache, er war bei dieser modernen Veranstaltungsform mit dabei. Ralf Spreckels ist es ein Anliegen, jüngere Menschen für das Plattdeutsche zu begeistern, denn er weiß: „Platt maakt glücklich!“
Oft höre er, dass Jüngere zwar Platt verstünden, aber sich nicht trauten, es zu sprechen. „Das finde ich schade. Deshalb sind die Vorlesewettbewerbe ‚Schölers leest Platt‘ in den Schulen eine tolle Gelegenheit, Platt lebendig zu halten“, meint er. Zudem müssten sich die Themen erweitern, über die auf Platt geschrieben oder gelesen werde. Sie sollten moderner und frischer daherkommen, nicht nur von früher, sondern von heute erzählen. „Ich schreibe beispielsweise liebend gern über meine Radreisen, die ich seit 34 Jahren europaweit mit meiner Frau unternehme, und habe festgestellt, dass dieses Thema auch beim jüngeren Publikum auf Interesse stößt.“
Noch stundenlang könnte man Spreckels beim Vertelln zuhören, aber irgendwann muss Schluss sein. Maak wieder so Ralf, und bliev gesund!
Silke Bromm-Krieger
Ralf Spreckels vertellt en Erinnerung
As ik ‘n lütte Buttjer weer, heff ik to geern de Buern tohört, wenn se in uns Dörpskroog an Stammdisch seten. Beer un Kööm vör de Nääs un weern an’t Klooksnacken. Güng mennigmaal ruch to. Wörr opsneden, geern maal lästert över de Dörpslüüd, de keen egen Land haarn un sik op anner Wies ehr beten Geld verdenen müssen. En Arbeiter: „Nix an de Fööt un wüllt in’t Dörp mitsnacken!“ Un jüst bi dat Thema hebbt se sik ok faken fix kabbelt. Un wenn dat to dull wöör mit dat Dickdoon – ik bün de Gröttste! –, hett ener vun de Buern ümmer versöcht, se mit sien egen Filosofie wedder op de Spoor to bringen. „Lüüd!“, sä he denn, „blieft op‘n Acker. Kann nich schaden, sik af un to maal vör Ogen to föhrn, dat wi ok bloots Arbeiter sünd.“
Plattdeutscher Schreibwettbewerb startet
Kurzgeschichten zum Thema „Tohuus“ einreichen
„Tohuus“ ist in diesem Jahr das Thema des plattdeutschen Schreibwettbewerbs „Vertell doch mal“ von NDR, Radio Bremen und dem Hamburger Ohnsorg-Theater. Jetzt startet der Wettbewerb. „Tohuus“ – ein Motto, mit dem auch NDR-Moderator Yared Dibaba etwas anfangen kann. Er ist Botschafter des 35. plattdeutschen Schreibwettbewerbs: „Zuhause ist für mich Äthiopien und Grünkohl genauso wie auf der Bühne zu stehen und meine eigenen vier Wände. Zuhause ist auch die Nordsee, und auch die plattdeutsche Sprache gibt mir ein Zuhause.“ Mitmachen lohnt sich: Auf die sechs Gewinnerinnen und Gewinner warten Preisgelder von mehr als 5.000 €. Zudem werden die 26 besten Geschichten am 25. Juni, pünktlich zur großen Abschlussveranstaltung im Hamburger Ohnsorg-Theater, als Buch erscheinen. Und auch in diesem Jahr gibt es den „Ü 18“-Preis. Das „Ü“ steht für „ünner“, spricht also Autorinnen und Autoren unter 18 Jahren an. Eingereicht werden kann eine niederdeutsch verfasste Kurzgeschichte zum Thema „Tohuus“, die bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Sie darf nicht länger als eineinhalb DIN-A4-Seiten sein (Schriftgröße 12 Punkt, 1,5-zeilig) und muss bis Dienstag, 28. Februar 2023 (Poststempel), an eine der folgenden Adressen geschickt werden:
NDR 1 Welle Nord, Stichwort „Vertell doch mal!“, Postfach 3480, 24033 Kiel
NDR 1 Niedersachsen, Stichwort „Vertell doch mal!”, 30150 Hannover
NDR 90,3, Stichwort „Vertell doch mal!”, 20149 Hamburg
NDR 1 Radio MV, Stichwort „Vertell doch mal!”, Postfach 110144, 19001 Schwerin
Radio Bremen, Stichwort „Vertell doch mal!”, 28100 Bremen
oder per Mail an vertell@ndr.de beziehungsweise vertell@radiobremen.de pm