Schleswig-Holstein-Musikfestival (SHMF) – das bedeutet Konzerte an ganz unterschiedlichen, manchmal ungewöhnlichen Orten. Nach einem Sommer der Möglichkeiten im vergangenen Jahr mit Musik vom Festivaltrecker und vielen Konzerten unter freiem Himmel, mit Abstand und coronakonform, fanden in diesem Jahr wieder 204 Konzerte an 65 Orten und in 123 Spielstätten in ganz Schleswig-Holstein statt.
„Wir wollen Musik zu den Menschen transportieren und in diesen schwierigen Zeiten Freude bereiten“, sagte SHMF-Intendant Dr. Christian Kuhnt.
Das schaffte das Cuarteto SolTango mit dem Programm „Misión Tango“ im Elbeforum in Brunsbüttel. Das Publikum genoss die verschiedenen Tangostile, die von den vier Musikern präsentiert wurden. Die Ansage „Wir spielen alles außer Piazzolla“ konnte nicht eingehalten werden. Als letzte Zugabe gab es „Oblivión“ vom Tangovater Astor Piazzolla.
Als Spielstätte gehört die Historische Reithalle in Elmshorn zum SHMF. In diesem Jahr sorgte unter anderem Max Raabe dort für gute Unterhaltung. Lieder der 1920er und -30er Jahre, von Rotter, Kreisler und Holländer, sorgten für Heiterkeit, aber auch Melancholie. Raabe erklärte den Unterschied zwischen Eintänzer und Gigolo (der eine tanzt nur, der andere auch), lud zu Kaffee und Kuchen ein und berichtete von der Erfindung des Boeuf Stroganoff.
Das Duo Bartolomey & Bittmann spielte in Büsum ausschließlich Eigenkompositionen aus zehn Jahren seines Schaffens. Dabei hatten sie den Blick auf die einsetzende Flut im Wattenmeer, was beide so noch nicht erlebt hatten. Sie entlockten ihren Instrumenten erstaunliche Laute, die zu Tonfolgen aller Musikgenres verschmolzen.
Zum Finale des Schleswig-Holstein-Musikfestivals dankte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) allen Beteiligten für einen großartigen Musiksommer. „Das Prädikat ,Echter Sommer‘ haben die vergangenen zwei Monate in Schleswig-Holstein in diesem Jahr allemal verdient.
Trotz der Trauer
So viel Traurigkeit mit so viel Licht! „Selig sind, die da Leid tragen“ beginnt das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms in der Rendsburger Christkirche. Trost und Traurigkeit transportiert überzeugend der fast 90-köpfige Schleswig-Holstein-Festival-Chor unter Leitung von Nicolas Fink, begleitet lediglich von zwei Klavieren und einer Pauke. Deren Schläge verwandeln die Sequenz „Alles Fleisch, es ist wie Gras“ in einen Marsch von Zombies. „Freude, ewige Freude“ wird als trotziges Dennoch entgegengesetzt.
Der Gläubige bemüht die ewige Seligkeit. Allein, es fehlt der Glaube. Dass die Toten „ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach“ ist da vielleicht der glaubwürdigste Trost.
Gundermann wiedererweckt
Gerhard Gundermann war ein genialer Liedermacher in der DDR, Baggerfahrer im Tagebau, überzeugter Kommunist und unerschrockener Kritiker der Zustände. Nach dem Mauerfall stellte sich heraus, dass er für die Stasi gearbeitet hatte. Früh starb er 1998 mit 43 Jahren an einer Hirnblutung.
Andreas Dresen als Regisseur und Alexander Scheer in der Titelrolle haben das Leben dieser schillernden und widersprüchlichen Person 2018 verfilmt und so auch einem breiten Westpublikum bekannt gemacht. Heute touren sie in einer sechsköpfigen Band mit Gundermann-Musik, so auch beim Schleswig-Holstein-Musikfestival in der fast ausverkauften Robbe & Berking-Werft am Flensburger Ostufer.
„Die haben harte Hände und ein hartes Herz. Die streiten ohne Ende, und die sterben früh. Die suchen ein Vergnügen und finden nur den Schmerz. Die können lügen, aber leben können die nie.“ Scheer als Gundermann hyperaktiv auf der Bühne, nahe am Durchdrehen, immer fröhlich, immer verzweifelt. Dresen der traurige Ruhepol, die Seele, die weiß, wie es gemeint ist. „Und willst du reich sein, dann liebe dir ein Kind. Doch lass es weich sein, so butterweich sein, wie deine Alten nie gewesen sind.“