Endlich war es wieder so weit – der Rindertag fand wie gewohnt Ende November in Präsenz statt. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher folgten der Einladung nach Rendsburg. Die Vortrags-Veranstaltung hatte das stets aktuelle Thema der Kälber- und Jungrinderaufzucht. Diesbezüglich haben viele Milchviehbetriebe noch Potenzial zur Optimierung. Um dieses aufdecken und nutzen zu können, haben die Referenten zu den speziellen Bedürfnissen von Kälbern beziehungsweise Jungtieren vorgetragen und daraus wichtige Aspekte für die Haltung, Fütterung und Tiergesundheit abgeleitet.
Die Präsidentin der Landwirtschaftskammer, Ute Volquardsen, übernahm die Eröffnung und begrüßte anschließend Thore Kühl von SVN Optipro als ersten Redner. Dieser präsentierte die Ergebnisse zur Kälbergesundheit aus der Betriebsberatung. Das Ziel sind vitale, gut wachsende Kälber, die später als Milchkuh gesund und leistungsbereit möglichst lang in der Herde verbleiben. Die konkreten Zahlen für beispielsweise das Absetzgewicht oder Erstkalbealter, die hinter diesem Ziel stecken, sind hingegen sehr betriebs- und rasseindividuell. Folglich sollten auf jedem Betrieb individuelle und erreichbare Ziele definiert werden. Um sie zu erreichen, sollte zunächst die aktuelle Situation analysiert werden. Erst dann können Maßnahmen abgeleitet werden, um dem Ziel näherzukommen. Hierfür ist es empfehlenswert, Personen von außen miteinzubeziehen, da diese einen objektiveren Blick auf den Betrieb haben.
Wiegen ist wichtig
Mit die wichtigsten Kennzahlen der Kälberaufzucht sind die Tageszunahmen. Diese können nur ermittelt werden, wenn Kälber zu bestimmten Zeitpunkten gewogen werden. Dies ist auf den Betrieben nach wie vor selten der Fall. Doch wie sollen sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden, wenn nicht einmal bekannt ist, wie die aktuelle Situation aussieht? Die Einflüsse auf die Gewichtsentwicklung sind vielfältig. Neben der Fütterung und Haltung hat das Management einen entscheidenden Einfluss.
Prof. Stefan Krüger von der Fachhochschule Kiel sprach über das richtige Management der immunologischen Lücke bei Kälbern. Es ist allgemein bekannt, dass Kälber so schnell wie möglich und so viel wie möglich an Kolostrum erhalten sollen.
Nicht pasteurisieren
Neben den Immunglobulinen spielen auch die bioaktiven Substanzen im Kolostrum eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Kalbes. Diese werden durch die Pasteurisierung negativ beeinflusst, weshalb Kolostrum nicht pasteurisiert werden sollte. Die passive Immunität entsteht durch die Kolostrumaufnahme, während die aktive Immunität vom Kalb erst langsam aufgebaut wird.
Die immunologische Lücke entsteht am tiefsten Punkt der passiven und aktiven Immunität zwischen der dritten und sechsten Lebenswoche. Die Länge und der Zeitpunkt schwanken von Tier zu Tier und von Betrieb zu Betrieb. Die volle Leistungsfähigkeit des Immunsystems ist erst mit fünf bis acht Monaten erreicht und macht deutlich, wie wichtig das richtige Management für eine optimale Kälbergesundheit ist.
Immunologische Lücke
Das Immunsystem des Kalbes ist schon vor der Geburt aktiv. Während der Geburt kommt es zu einer immunsuppressiven Wirkung durch Steroidhormone, die von Kalb und Mutter zur Einleitung der Geburt produziert werden. Zu diesem Zeitpunkt besteht also ebenfalls eine immunologische Lücke. Kommt es dann noch zu einer Schwergeburt, hat dies massive negative Folgen wie zum Beispiel Stress, Trauma, Entzündungsreaktionen und Azidose für das Kalb. Das Schmerzmanagement nach Schwergeburten für Kalb und Kuh sollte im Blick behalten werden. Zu einer Ausschüttung von Steroidhormonen kommt es auch bei Stress, weshalb dieser das Immunsystem negativ beeinflusst. Am Ende dieses Vortrags war allen klar: Die Krankheit des Kalbes entscheidet über die Karriere der Kuh.
Ein Perspektivwechsel
Benito Weise von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen stellte anhand vieler Beispiele und auf eindrückliche Art und Weise das Hören und Sehen von Rindern dar. Rinder sind Fluchttiere und, um in der Natur zu überleben, auf eine ausgeprägte Sinneswahrnehmung angewiesen. Sie verlassen sich stark aufs Gehör und können sich darüber wahrscheinlich auch räumlich orientieren. Rinder können niedrige Frequenzen (Infraschall) und insbesondere hohe Frequenzen (Ultraschall) deutlich besser als der Mensch hören. Es ist daher ratsam, sich ein paar Minuten Zeit zu nehmen und seinen Stall anzuhören, denn was wir gerade noch hören können, ist für das Rind unter Umständen schon ein lautes Geräusch und kann zu Verhaltensänderungen wie zum Beispiel Meideverhalten führen. Ein Radio sollte, wenn überhaupt, täglich zu den gleichen Zeiten, leise und mit entspannter Musik (zum Beispiel Klassik) eingeschaltet werden.
Beleuchtung kontrollieren
Rinder haben aufgrund der Anordnung ihrer Augen ein sehr weites Sehfeld, nur einen schmalen Bereich hinter sich können sie nicht einsehen. Nehmen Rinder ein Geräusch wahr, wenden sie ihr Sehfeld dem Geräusch zu und beobachten die Bewegung. Durch die starke Einzelbildwahrnehmung erkennen sie kleinste Bewegungen auf größere Entfernungen. Allerdings können sie Entfernungen sehr schlecht abschätzen, weswegen in der Nähe von Rindern keine schnellen Bewegungen gemacht oder gerannt werden sollte. Die Anpassung an veränderte Lichtverhältnisse ist bis zu fünf Mal langsamer als beim Menschen. Kommt ein Rind etwa tagsüber von der Weide in einen dunklen Stall, kann die Anpassung bis zu 30 min dauern, bis es wieder ausreichend sieht. Deshalb sollten Tiere möglichst vom Hellen ins Helle oder vom Dunklen ins Dunkle getrieben werden. Mit diesem Hintergrundwissen sollte die Beleuchtung in allen Bereichen kontrolliert werden.
Frühe Gruppenhaltung
Sybille Möcklinghoff-Wicke vom Innovationsteam Milch Hessen gab einen Ausblick auf die zukunftsfähige Kälberhaltung. Die Keimbelastung in der Umgebungsluft der Kälber zu minimieren, ist dabei eine der größten Herausforderungen. In den meisten Kälberställen ist die Keimbelastung viel zu hoch und führt zu dauernden, unterschwelligen Atemwegsproblemen. Um diese zu minimieren, sollten ein optimaler Luftaustausch, feste Trennwände und ausreichend Einstreu im Kälberbereich sein. Kälber sollten, wenn möglich, bis weit nach dem Absetzen nicht umgestallt und in festen, fixen Gruppen gehalten werden. Dies reduziert die Stressbelastung von Kälbern und bietet den Vorteil des Rein-Raus-Verfahrens. Eine paarweise oder Gruppenhaltung sollte möglichst früh durchgeführt werden. Dies fördert die kognitive Entwicklung und das Sozialverhalten von Kälbern. Sie können sich besser anpassen, sind neugieriger und dadurch stressresistenter.
Der Kälbergesundheitsstall
Als Weiterentwicklung des Holsteiner Kälberstalles wurde vom Innovationsteam Milch Hessen ein sogenannter Kälbergesundheitsstall entwickelt. Dabei standen ebenfalls das Minimieren von Kälbererkrankungen, ausreichend Platz, eine gute Luftqualität und die Arbeitserledigung im Vordergrund. Wie beim Holsteiner Kälberstall befinden sich die Kälberboxen auf der einen Seite und die Gruppenbuchten auf der anderen Seite des Stalles. Eine Schlauchlüftung garantiert auch bei windstillem Wetter einen ausreichenden Luftaustausch. Seitlich sind bewegliche Curtains angebracht. Ein Gefälle von etwa 1,5 % sollte sowohl unter den Einzelboxen als auch ein Längsgefälle über den gesamten Stall geplant werden, damit Flüssigkeiten und Waschwasser ablaufen können. Die Kosten eines Kälbergesundheitsstalles belaufen sich je nach Ausführung auf zirka 2.500 € pro Platz.
Intensive Kälberaufzucht
Landwirt Christof Kirst aus Brande-Hörnerkirchen präsentierte seinen Betrieb und ging auf die Details seiner Kälberaufzucht ein. Im Nachfolgenden ausgesuchte Kennwerte zum Betrieb:
• 184 Kühe mit einer Leistung von 11.200 kg Milch
• 18 kg Lebenstagsleistung
• 26 % Remontierung
• 124 ha Landfläche
• vier Arbeitskräfte
Alle Kälber erhalten innerhalb der ersten vier Lebensstunden Kolostrum. Anschließend werden sie intensiv aufgezogen und mit zweimal täglich 5 bis 6 l Milch getränkt. Dabei wird Vollmilch mit einem hochwertigen Milchaustauscher verschnitten. Außerdem steht den Kälbern immer frisches Wasser zur Verfügung. Nach drei Wochen werden die Kuhkälber in die Gruppenhaltung umgestallt. Die Einzeliglus werden gewaschen und desinfiziert.
Die vier bis sechs Kälber je Box werden restriktiv mit zweimal 4 l an Milkbars getränkt. Die Tränkephase dauert zwölf Wochen und währenddessen werden Kälbermüsli ad libitum und die Kuhration gefüttert. Von September bis April erhalten alle Kälber eine Grippe-Impfung. Diese intensive Kälberaufzucht führte zu einem reduzierten Erstkalbealter, einer höheren Einstiegsleistung der Färsen und die Abgangsleistung der Kühe erhöhte sich.
Fazit
Für eine erfolgreiche Kälber- und Jungviehaufzucht muss vieles beachtet werden. Das Leben des Kalbes startet mit einer immunologischen Lücke und die Kolostrumversorgung sowie das richtige Management sind von zentraler Bedeutung. Aus dem Wissen um die Sinneswahrnehmung von Rindern lassen sich deren Bedürfnisse ableiten. Der Kälbergesundheitsstall kann ein Baustein für fittere Kälber sein, aus denen gesunde, leistungsbereite Kühe werden, die möglichst lang im Bestand bleiben. Für eine positive Betriebsentwicklung müssen zunächst Ziele definiert und der Istzustand analysiert werden. Es ist unerlässlich, Daten zu erfassen, um daraus Maßnahmen ableiten zu können.