Als Anerkennung für ihre beispielhafte und erfolgreiche Verbindung von Zucht und Sport wurde Marion Essing im Rahmen des 60. Trakehner Hengstmarkts in den Holstenhallen in Neumünster mit dem Titel der Trakehner-Züchterin des Jahres geehrt. Die gebürtige Westfälin kam vor 15 Jahren nach Schleswig-Holstein und bereichert nicht nur mit ihren Pferden das Land.
„Wir haben schon in Westfalen angefangen zu züchten, hatten dort aber nicht die Möglichkeit, unseren Betrieb zu erweitern“, berichtet Marion Essing. So fingen die Architektin und ihr Ehemann Norbert Essing an, deutschlandweit nach geeigneten Objekten zu suchen. Es sollte etwas mit mehr Platz sein, aber auch ein altes Gebäude. „Als Architektin hatte ich schon immer Spaß an alten Gebäuden und als uns das Gut Roest gezeigt wurde, haben wir uns sofort verliebt“, berichtet die Züchterin. Etwas westlich von Kappeln liegend ist es mit fast 800 Jahren eins der ältesten Güter in Angeln. Drei Jahre dauerte die Instandsetzung der damals stark sanierungsbedürftigen Gebäude. Nun ist es ein Kleinod unter den schleswig-holsteinischen Baudenkmälern.
Mit ihren zehn Pferden zogen die Essings dann ein. Auch die Stallungen waren aufwendig saniert worden und bieten seitdem viel Platz, Luft und Licht. Gemeinsam mit dem Umstand, dass auf dem Gestüt Gut Roest alle Pferde jeden Tag für mehrere Stunden nach draußen kommen, hat dies der Familie 2011 auch schon die Auszeichnung als Deutschlands bester Pferdebetrieb im Bereich Zucht und Aufzucht eingebracht. Vor zwei Jahren erhielt Marion Essing von der Präsidentin der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein außerdem den Ehrenpreis für Innovationen in der Tierhaltung.
„Im Sommer kommen alle Pferde auf die Weide. Im Winter haben wir Sandpaddocks mit Weidehütten und permanentem Heu- und Wasserangebot“, erzählt Essing. Außerdem habe sie ein sehr gutes Entwurmungsmanagement. Die Weiden würden von den Pferden abwechselnd mit Schafen genutzt. Diese nehmen Parasiten auf, die dem Pferd sonst schaden könnten. Außerdem beseitigen die kleinen Klauen der Schafe Trittschäden der Pferde in der Grasnarbe.
Projekte für mehr Artenvielfalt auf der Weide
Eine weitere Besonderheit auf dem Gestüt Gut Roest ist die Umstrukturierung der Grünflächen. „Wir haben überall Regiosaaten ausgebracht“, erklärt Essing. Nun wüchsen verschiedene Gräser und Kräuter auf den Weiden und böten Insekten, Vögeln und Kleintieren einen Lebensraum. Neben dem Wert für den Naturschutz sei die Weide- und Heuqualität für die Pferde dadurch viel besser. Die Flächen würden nicht gedüngt, da sonst viele der Pflanzen wieder eingehen würden. So hätten Essings zwar etwa 20 % weniger Ertrag, das könnten sie aber durch die Flächen ausgleichen. Der Gewinn an Qualität und der Beitrag zum Artenschutz sei ihnen das wert.
Ein weiteres Projekt für die Artenvielfalt, aber auch für die Pferde sei das Anlegen von Wasserflächen und Knicks. „Über die Jahre haben wir schon einige Tausend Meter Knick angelegt“, erzählt Marion Essing. Die Knicks böten nicht nur Hasen, Kaninchen und Fasanen einen Lebensraum, sondern dienten auch als natürliche Barriere zwischen Hengst- und Stutenkoppeln. Außerdem sei das Knabbern an den Ästen der Büsche eine sehr gute Erweiterung des Speiseplans ihrer Pferde.
„Wir haben eine ganz andere Artenvielfalt als noch vor ein paar Jahren“, freut sich Essing. Sie ist sich sicher, dass neben der Haltung mit viel Luft, Licht und Bewegung, ihrem innovativen Weidemanagement und dem Einsatz für die Artenvielfalt auch ihr Pferdemanagement zukunftsweisend ist.
Seit fast 20 Jahren wird alles digital aufgenommen. Jede Behandlung vom Tierarzt, jede Futterumstellung, alles wird dokumentiert. Das sei hilfreich, wenn ein Käufer mal eine Frage zum Pferd habe oder wenn zum Beispiel eine Lahmheit auftrete: „Ich kann immer gucken, ob an der Stelle schon mal etwas war.“ Auch für die Kostenübersicht lohne sich die digitale Dokumentation. „So kann ich genau sehen, was mich ein Pferd kostet. Das ist auch für meine Zucht ausschlaggebend“, erklärt Essing. Denn ihre Pferde sollen nicht nur sportlich, sondern vor allem auch gesund sein.
Viel Arbeit und ein wenig Züchterglück
„Ihre Pferde“, das sind Trakehner. „Ich finde diese Rasse besonders edel, leistungsbereit und intelligent. Ich mag einfach gerne mit diesen Pferden zusammenarbeiten“, so die Züchterin. Dabei habe sie züchterisch immer mal über den Tellerrand geschaut und ihre Stuten auch schon mit Oldenburger Hengsten angepaart. „Es waren tolle Fohlen, aber eben keine Trakehner“, berichtet sie lächelnd.
Dabei kam sie eher zufällig zu ihrem ersten Trakehner. „Als ich mit 30 Jahren mein Reitpferd verloren habe, gab es in der Nachbarschaft einen zweijährigen Hengst. In den hatte ich mich verliebt. Mein Mann hat ihn mir dann geschenkt“, erinnert sie sich. Der junge Hengst blieb nicht, denn aufgrund ihrer eigenen Schwangerschaften machte Essing eine Reitpause. Doch die Liebe zu den Trakehnern war für immer.
Inzwischen ist Marion Essing Züchterin von 36 Fohlen, von denen 90 % Championatsfohlen waren und 100 % altersgemäß im Sport sind – eine Topleistung, hinter der sich unendlich viel Arbeit, Planung und auch ein wenig Züchterglück verbergen. Vier Stuten wurden bei Marion Essing Elitestuten, sechs der bei ihr ausgebildeten Pferde sind bereits im Dressursport der schweren Klasse erfolgreich und die jüngeren Jahrgänge stehen altersgemäß in den Startlöchern.
Seit vielen Jahren arbeitet das Gestüt Gut Roest bei der Ausbildung und Turniervorstellung der Pferde mit Markus Waterhues vom Hof Norwegen in Mohrkirch, Kreis Schleswig-Flensburg, zusammen. Die aktuellen Stars sind die Stuten Pure Freude und Fabelstern, die beide im Gestüt Gut Roest zur Welt kamen und mit Markus und seiner Tochter Johanna Waterhues hocherfolgreich in schweren Dressurprüfungen sind. Beide Stuten haben bereits Nachzucht im Gestüt, denn auch züchterisch sind sie besonders wertvoll.
So ist Pure Freude unter anderem amtierende Landessiegerstute des Trakehner-Zuchtbezirks Schleswig-Holstein. Sie ist eine Tochter der Praise Me, eine Staatsprämien- und Prämienstute, die 2010 in Neumünster Jahressiegerstute wurde und mit dem Titel Elitestute geehrt wurde. Sie war eins der Herzenspferde von Marion Essing. „Sie hat uns die besten Fohlen geschenkt“, erzählt sie. Leider verstarb die Stute dieses Jahr an einer Kolik. Auch der Vater von Pure Freude hat eine besondere Geschichte. Shapiro entdeckte Essing auf dem Hengstmarkt, inzwischen ist er mit Markus Waterhues bis Grand Prix erfolgreich.
Mutterstuten müssen sich im Sport beweisen
Doch nicht nur die Hengste müssen sich im Hause Essing im Sport beweisen, auch die Mutterstuten stehen nicht nur auf der Koppel und bekommen Fohlen. „Sie müssen nicht in der schweren Klasse gehen, aber sie müssen ihre Rittigkeit und Gesundheit im Sport beweisen“, erklärt Marion Essing. Jeder Reiter wünsche sich ein rittiges und gesundes Pferd. Das finde man aber nicht heraus, wenn die Stuten nicht geritten würden. „Diese Erfahrung haben mir fast 20 Jahre Zucht und mehrere Generationen von Pferden gebracht“, erklärt sie.
Um nicht immer warten zu müssen, bis die Stuten ihre sportliche Karriere beendet haben, hat die Züchterin schon 2012 angefangen, mit Embryotransfer zu arbeiten. Damals verlor sie zwei Fohlen und kam erst einmal davon ab, doch vor zwei Jahren wagte sie den nächsten Versuch und alle drei Fohlen kamen gesund zur Welt. „Es waren die am besten bewerteten Fohlen, die wir je hatten. Das hat sich also doch gelohnt“, strahlt Essing.
Ihre Nachzucht behält sie am liebsten erst einmal selbst und bildet sie aus: „Ich will ja, dass sie sportlich gefördert werden. Wenn ich sie weggebe, weiß ich nicht, was aus ihnen wird.“ Daher gibt es pro Jahr auch nur etwa drei Fohlen auf dem Gestüt Gut Roest. „Masse ist nicht meins. Es geht um ausgesuchte Qualität“, erklärt die Züchterin des Jahres.
Sie selbst steigt auch gern in den Sattel, natürlich auf einem Trakehner. Bis zur Klasse M hat sie sich mit ihrer Stute inzwischen hochgearbeitet. Aufs Turnier will sie aber nicht: „Ich mache das nur für mich.“
Ein Zukunftsprojekt für ihre Zucht konnte Marion Essing auf dem Hengstmarkt erwerben. Mit einer guten Freundin ersteigerte sie einen Embryo, ein Vollgeschwister zum Siegerhengst. Wenn alles gut läuft, werden im kommenden Jahr also vier Fohlen das Glück haben, auf dem Gestüt Gut Roest zur Welt zu kommen.