Es war eine der schönsten Überraschungen des diesjährigen Hamburger Spring-Derbys: Nach 47 Jahren siegte erstmals wieder eine Frau – und dann noch eine gebürtige Hamburgerin, die in Schleswig-Holstein lebt. Cassandra Orschel konnte es kaum fassen, als sie das blaue Band umgelegt bekam. Doch wer ist eigentlich diese Reiterin, die das schwerste Springen der Welt für sich entscheiden konnte?
Cassandra Orschel ist gebürtige Hamburgerin, reitet aber seit fünf Jahren für Polen, die Heimat ihrer Mutter, und lebt in Schleswig-Holstein. Ihre Turnierkarriere als erfolgreiche Ponyreiterin startete sie 2001 und wurde bereits fünf Jahre später Deutsche Meisterin der Pony-Springreiter.
Als sie auf Großpferde umstieg, ging die Erfolgsserie weiter. Zu ihren jüngsten Erfolgen gehört unter anderem der Titel der Landesmeisterin 2020. Auch in diesem Jahr hat sie schon ihr Können unter Beweis gestellt: „Besonders stolz bin ich auch auf meinen zweiten Platz in der Qualifikation zum Großen Preis von Herning in Dänemark. Das fühlte sich nach der langen Corona-Pause wie ein echtes Comeback an“, erzählt sie und fügt hinzu: „Toll war auch das Turnier in Leipzig. Zwei Nullrunden bei so starker Konkurrenz abzuliefern und Dritte zu werden, das war schon ein besonderer Tag für mich.“
Der Weg zum Erfolg ist in ihrem Fall ein eher ungewöhnlicher. Oft steht hinter den jungen Topreiterinnen eine pferdebegeisterte Familie mit eigenem Stall oder eigener Zucht. Doch Cassandra Orschel kann sich nicht auf eine reiterliche Rückendeckung ihrer Eltern stützen: „Meine Mutter und mein Vater haben gar nichts mit Pferden zu tun“, sagt sie. „Aber natürlich stehen sie mir in meiner sportlichen Karriere bei, wo sie nur können.“
Alles allein geschafft
Mittlerweile hat sie eine Sponsorin: die Firma Fundis Reitsport. Die Ausstatterin unterstützt neben Orschel nicht nur hochkarätige Turnierreiter und -reiterinnen wie Julia Krajewski oder Ludger Beerbaum, sondern auch die Showreiterin Kenzie Joana Dysli, die in diesem Jahr die Hauptrolle bei Cavalluna spielt.
Was an der sympathischen Blondine auch noch außergewöhnlich ist: Eine echte Ausbilderin oder Förderin, die sie über Jahre begleitet, hatte sie nie. „Ich habe mir eigentlich immer alles selbst beigebracht und erarbeitet“, erklärt sie ihren Erfolg. „Das ist auch etwas, worauf ich wirklich stolz bin: dass ich so viel allein geschafft und erreicht habe. Früher habe ich noch als Glücksbringer immer 13 Zöpfe in die Mähnen meiner Pferde geflochten. Heute muss ich mich nicht mehr auf Glück allein verlassen, sondern sehe, dass mein Motto ‚Ohne Fleiß kein Preis‘ mich wirklich weiterbringt.“
Seit 2016 sitzt Cassandra Orschel quasi Vollzeit im Sattel. Zurzeit hat sie ihre Pferde in Sehestedt, Kreis Rendsburg-Eckernförde, auf dem Hof der Familie Ahlmann, mit deren Sohn Paul sie liiert ist. Wenn sie mal den Stall verlässt, geht sie gern shoppen, ins Fitnessstudio oder genießt die Zeit mit ihrer Familie, ihrem Freund und ihren zwei Hunden. „Die alle sind mit den Pferden das Wichtigste in meinem Leben“, sagt die 29-Jährige.
Trotz Steigens gekauft
Ihre Pferde bilde sie übrigens alle selbst aus, auch ihr Derby-Siegerpferd Dacara E. Die Stute besitzt sie schon seit sechs Jahren und hat sie nach einem schwierigen Start langsam und vorsichtig aufgebaut. „Beim Probereiten ist Dacara sogar ein paar Mal gestiegen“, erinnert sich Orschel. „Das war vor sechs Jahren auf der Holsteiner Frühjahrsauktion. Aber ehrlich gesagt war ich von Anfang an in sie verliebt – ich habe eine große Schwäche für Fuchsstuten.“
Die Cancara-Caretino-Tochter aus der Zucht von Gerd Eggers aus Stadum, Kreis Nordfriesland, war eigentlich nicht für den Derby-Ritt geplant. „Aber sie hat mir im Training so viel Sicherheit gegeben, dass ich es einfach probieren wollte“, so die Reiterin.
Als Siebte ging Orschel an den Start und blieb lange Zeit mit nur einem Abwurf auf Rang eins. „Das freut mich natürlich, aber es kommen ja noch sehr starke Reiter“, sagte sie in der Pause ganz gelassen dem NDR. Doch auch die Konkurrenz, Sandra Auffarth und Frederic Tillmann, kassierte je vier Strafpunkte, genau wie der dreifache Derby-Sieger André Thieme. Im Stechen ritt Cassandra Orschel die einzige Nullrunde und gewann so vor 20.000 Zuschauenden das 91. Deutsche Spring-Derby. „Am meisten war ich gerührt, als mir Fränzchen Bockholt gratulierte“, gibt die Siegerin zu. „Wir beide hatten Tränen in den Augen.“ Nun steht der Name Cassandra Orschel auf der Liste der Derby-Sieger und -Siegerinnen, gemeinsam mit Legenden wie Ludger Beerbaum, Achaz von Buchwald und Fritz Thiedemann. Deutsche Meisterin war man mal, Derby-Siegerin bleibt man für immer.