Dass Tollkirsche, Stechapfel, Fingerhut, Tränendes Herz oder Maiglöckchen giftig sind, ist bekannt. Aber das unschuldig dreinschauende Alpenveilchen? Die wunderschönen Hortensien im eigenen Garten? Und selbst vor Büropflanzenklassikern wie der Dieffenbachie ist man nicht seines Lebens sicher? Gibt es doch gar nicht, sollte man meinen. Das renommierte Fotografenpaar Heidi und Hans-Jürgen Koch aus Goosefeld bei Eckernförde hat viele dieser beliebten Pflanzen fotografisch unter die Linse genommen und sich gleichzeitig mit deren Wirkweisen auseinandergesetzt. Herausgekommen ist eine außerwöhnliche Fotoausstellung mit unterhaltsamen Bildtexten, die noch bis zum 8. Januar im Museum Eckernförde zu sehen ist.
„Fiese Gewächse und solche mit krimineller Vergangenheit“ lautet der Titel der Wanderausstellung, die einen den eigenen Garten, die Zimmerpflanzen auf der Fensterbank oder auch den blühenden Wegesrand mit neuen Augen sehen lässt. Anscheinend hat man potenzielle Orte des Verbrechens geschaffen, wenn man um die Wirkung dieser „fiesen“ Gewächse im heimischen Garten weiß.
Aber mal ehrlich, wer raucht schon getrocknete Hortensienblätter, um dann an der Wirkung der darin enthaltenen Blausäure zu ersticken? Oder lässt reife, rote Tomaten links liegen, um dann die giftigen Stengel, Blätter oder die unreifen, grünen Früchte zu essen und von dem Alkaloid Solanin heftige Magen-Darm-Beschwerden, Krämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Kreislauf- und Atemprobleme zu bekommen? Mitunter besteht bei den Pflänzchen eine Verwechselungsgefahr und so wird manch einer bitter mit Durchfall, Sehstörungen oder gar Herzstillstand bestraft, wenn er im Wald auf der Suche nach Bärlauch die Blätter des Maiglöckchens erwischt und verzehrt.
Tatsächlich machen die Pflanzen das ja gar nicht mit Absicht. Da sie bei Gefahr nicht einfach weglaufen können, müssen sie sich vor Ort gegen ihre Feinde verteidigen, und das tun sie unter anderem mit Gift, das bei den Opfern zu vielerlei Symptomen bis hin zum Tod führt. Gleichzeitig sind Giftpflanzen Teil der Medizin- und Kulturgeschichte, denn sie töten nicht nur, sondern berauschen und können auch heilen, wie das Gift des Fingerhuts, das in der Herzmedizin eingesetzt wird. Die Dosis macht schließlich das Gift.
Diese Wirkweisen waren es auch, die Heidi und Hans-Jürgen Koch auf fotografische Spurensuche bei vielen aus dem Alltag vertrauten Pflanzenarten führte. Bekannt geworden sind die beiden durch außergwöhnliche Tierfotografien und Fotoreportagen sowie ihre eigene Sichtweise auf die Themen. Auf die heimtückischen Gewächse sind sie in der Corona-Zeit gekommen, als sie nicht reisen konnten, „aber nicht wie paralysiert auf bessere Zeiten warten wollten“, so Heidi Koch. Also suchten sie vor ihrer Haustür nach einem Thema, das sie in ihrer eigenen Art und Weise umsetzen konnten: „Wir haben ein Faible für Skurriles und für Underdogs. Auch schauen wir neben der Ästhetik auf die Geschichten, die hinter den Motiven stecken“, erklären sie die Themenwahl.
„Bei der Auswahl der Pflanzen stand die visuelle Wirkung schon im Vordergrund. Doch wollten wir keinen verklärt-romantischen Blick mit verharmlosender Unschärfe, sondern die klare Sicht auf die Dinge, eine schonungslose Klarheit, man könnte auch sagen: den forensischen Blick“, ergänzt Hans-Jürgen Koch. Somit entstanden die Porträts der Pflanzen nicht in deren natürlichen Umgebungen, sondern im heimischen Studio. Diese Klarheit der Bilder entsteht durch das Focus-Stacking. Mithilfe eines computergesteuerten, hochpräzisen Schlittens, auf dem die Kamera installiert ist, erstellten die Kochs eine Reihe von Belichtungen mit unterschiedlichen Schärfeebenen. Diese Einzelbelichtungen setzten sie anschließend mit einer speziellen Software zu Bildern mit extremer Tiefenschärfe zusammen. Erst als die aufwendigen Fotografien da waren, ging es an die tiefergehende Fahndung zu den Pflanzen und deren Giften. Die Ergebnisse der Recherchen sind als unterhaltsame Bildtexte, die sich wie Krimis lesen, den Fotos zugeordnet. Mit welchen weiteren fiesen Abwehrmechanismen die Pflanzenwelt aufwartet, ist in dieser Ausgabe auf den Gartenseiten ab Seite 74 zu lesen.
Lebensform-Fotografie als Philosophie
Foto: Iris Jaeger
Sie gibt es nur zusammen und als Paar, ihre Projekte sind immer Gemeinschaftsprojekte: Das Fotografenpaar Heidi und Hans-Jürgen Koch aus Goosefeld hat sich weltweit einen Namen mit seinen Bildern, Ausstellungen, Fotoreportagen und Büchern gemacht. Vor mehr als 30 Jahren starteten sie ihre gemeinsame Reise in die Welt der Fotografie. Die studierte Sozialarbeiterin und der Verhaltensforscher machten die Tierfotografie zu ihrem Lebensthema. Bis heute geht es ihnen bei ihren Fotos nicht nur um die reine Darstellung, sondern auch um eine ganz eigene Sichtweise auf die Dinge. Sie interessieren sich immer auch für die Geschichten, die hinter ihren Motiven stecken. Die Vielfalt der Natur und der unterschiedlichen Lebensformen ist Gegenstand ihrer Betrachtungen, weshalb sie das, was sie tun, als Lebensform-Fotografie bezeichnen. Dabei bleiben sie, wie sie selbst sagen, ihrem selektiven, analytischen Blick treu und wahren stets den Fokus auf den menschlichen Faktor. Dafür wurden sie bereits vielfach ausgezeichnet. Ihre Arbeiten werden weltweit in führenden Medien wie „GEO“, „National Geographic“, „stern“, „Paris Match“, „Sunday Times“ und anderen publiziert. Für die aktuelle „mare“-Ausgabe fotografierten sie lebende Algenkulturen.