Der Empfang vor dem Brandenburger Tor war für Christian Lindner (FDP) bei der Kundgebung am Montag kein warmer. Der Bundesfinanzminister hatte sichtliche Mühe, zu den Protestierenden wenigstens akustisch vorzudringen. Dennoch war die Botschaft eindeutig: Ein Entgegenkommen beim Agrardiesel werde es nicht geben, so Lindner. Entlastungen sollten die Betriebe an anderer Stelle erhalten. Laut Berliner Polizei nahmen rund 8.500 Demonstranten an der Kundgebung teil. Der Deutsche Bauernverband (DBV) sprach von rund 30.000 Menschen und fast 10.000 Fahrzeugen. Ein anschließendes Treffen verschiedener Bauernverbände mit den Spitzen der Ampel-Koalition blieb in Sachen Agrardiesel ohne Ergebnis.
Die Bundesregierung wird keine weiteren Abstriche an ihren Sparplänen zulasten der Landwirtschaft machen. Lindner bekräftigte auf der Kundgebung den Beschluss, die Agrardieselvergünstigung in drei Jahresschritten abzubauen. Er begründete dies mit den dringend notwendigen Einsparungen im Bundeshaushalt, zu denen auch die Bauern einen Beitrag leisten müssten. Auch ein Gespräch der Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP mit den Vertretern landwirtschaftlicher Verbände im Anschluss an die Kundgebung blieb in Sachen Agrardiesel ohne Ergebnis. Der Präsident des DBV, Joachim Rukwied, hatte zuvor erneut gefordert, die Streichung der Agrardieselbeihilfe vollständig zurückzunehmen. Am Nachmittag zeigte sich Rukwied von der Haltung der Koalition ernüchtert. Er kündigte an, dass der Bauernverband weiter das Gespräch mit der Ampel suchen und eindringlich für eine Lösung beim Agrardiesel werben werde. Sollte dies ergebnislos bleiben, werde man über weitere Schritte nachdenken, so Rukwied.
Tarifglättung bei der Einkommensteuer entfristen
Lindner bot in seiner von lauten Pfiffen und Unmutsbekundungen begleiteten Rede an, den Betrieben entgegenzukommen und Belastungen an anderer Stelle zu reduzieren. Konkret stellte der Bundesfinanzminister in Aussicht, die Tarifglättung bei der Einkommensteuer nun doch zu entfristen und die Einführung einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage zu prüfen. Offen zeigte sich Lindner für die Forderungen nach Bürokratieabbau. Er sprach sich dafür aus, planbare Perspektiven für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu schaffen, Auflagen für die Tierhaltung zu durchforsten, an Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse festzuhalten und auf die obligatorische Stilllegung von 4 % im Rahmen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) zu verzichten.
Nach dem Verbändegespräch räumten SPD-Fraktionschef Dr. Rolf Mützenich, Grünen-Kollegin Britta Haßelmann und der Vorsitzende der Liberalen im Bundestag, Christian Dürr, Versäumnisse in der Agrarpolitik der Ampel-Koalition ein. Mützenich kündigte an, dass die Ampel bis zur Sommerpause einen Fahrplan für eine veränderte Agrarpolitik vorlegen werde. Dabei werde man sich an den Empfehlungen der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) orientieren. Für beide Vorlagen werde man konkrete Umsetzungsschritte formulieren, versicherte der SPD-Politiker. Dabei gehe es um Planungssicherheit und Entlastungen für die Betriebe. Wettbewerbsfragen würden ebenso aufgegriffen wie Entwicklungen auf dem Bodenmarkt und die GAP.
Frage einer Tierwohlabgabe weiter offen
Anlässlich der Debatte des Agrarberichts am Donnerstag (nach Redaktionsschluss) im Bundestag wollte die Koalition einen entsprechenden Entschließungsantrag beschließen. Ob sich die Ampel auf eine Tierwohlabgabe zur Umsetzung des Borchert-Plans verständigen kann, blieb offen. Laut Haßelmann will man auch darüber diskutieren. Für die Liberalen stehen nach den Worten von Dürr faire Wettbewerbsbedingungen für landwirtschaftliche Unternehmer im Vordergrund.
„Nach Willkür gestaltete Agrarpolitik“
Die Verbandsvertreter begrüßten nach dem Zusammentreffen im Bundestag die Gesprächsbereitschaft der Koalition, zeigten sich aber wegen fehlender konkreter Ergebnisse ernüchtert. DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken bemängelte, dass es in der „Kernfrage Agrardiesel“ keine Bewegung gebe. Dem Präsidenten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Hubertus Paetow, zufolge haben die gegenwärtigen Demonstrationen die gleiche Ursache wie die Proteste von 2019, nämlich eine „nach Willkür gestaltete Agrarpolitik“. Umso dringlicher sei es, dass die ZKL-Leitlinien endlich Eingang in die Politik fänden.
LandFrauenpräsidentin Petra Bentkämper mahnte mit Nachdruck „vertrauensbildende Maßnahmen“ der Koalition an. Nur wenn es kurzfristig Lösungen für Probleme gebe, werde sich der Unmut in der Landwirtschaft legen. Sowohl der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Martin Schulz, als auch die Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend (BDL), Theresa Schmidt, bezeichneten eine Umsetzung der Empfehlungen von Borchert-Kommission und ZKL als längst überfällig. Schmidt hatte zuvor auf der Protestkundgebung Minister Lindner aufgefordert, sich zu bewegen. Andernfalls werde es der FDP so ergehen wie dem Ackerbau, sie werde „mit vier Prozent stillgelegt“.
Am Rand der Proteste kam es vereinzelt zu Aktionen von offenbar nicht zur landwirtschaftlichen Branche gehörigen Personen – mit zum Teil eindeutiger Symbolik auf Fahnen, Transparenten und Kleidung. So mündete etwa das Zünden eines „Rauchtopfes“ in einem kurzen Handgemenge mit der Berliner Polizei.
Haushalt wird Anfang Februar beschlossen
Der Haushaltsausschuss des Bundestages wollte sich am Donnerstag in seiner sogenannten Bereinigungssitzung abschließend mit dem Bundeshalt 2024 befassen. Es wird erwartet, dass die im November vom Ausschluss beschlossene Reduzierung der ursprünglich geplanten Einsparungen bei der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Bestand haben wird. Abzuwarten bleibt, ob es weitere Entlastungen im Agrarhaushalt geben wird. Am Mittwoch fand im Plenum die erste Lesung des Entwurfs für ein Zweites Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024 statt. Endgültig beschlossen werden sollen das Haushaltsfinanzierungsgesetz und der Bundeshaushalt 2024 in der Woche vom 29. Januar.
Die Rede von Herrn Lindner hat gezeigt, dass wir mit unseren Forderungen noch einen sehr langen Atem haben müssen. Ich sehe, dass der Zusammenhalt untereinander und der Rückhalt aus der Bevölkerung wachsen. Runde Tische und Diskussionsrunden haben wir genügend mitgemacht.
Die große Teilnehmerzahl war beeindruckend. Wir haben deutlich gemacht, dass wir den Agrardiesel zurückerhalten müssen und keine faulen Kompromisse mit uns aushandeln lassen.
Ich hoffe, dass die vielen Menschen heute die Politik wachgerüttelt haben. Wir dürfen uns den Rückhalt aus der Bevölkerung aber nicht verspielen, wenn wir jetzt einmal die Woche zur Demo losfahren. Das ist kein Druckmittel gegenüber der Politik.
Die Beteiligung war riesig, aber man merkt, dass die Stimmung zum Teil gereizt war und der Frust tief sitzt. Wenn vonseiten der Politik nichts kommt, werden die Proteste weitergehen müssen. Es war auf jeden Fall richtig, hier gewesen zu sein. Der Mittelstand musste ein Zeichen setzen.
Mir ist die aufgeheizte Stimmung auf dem Platz aufgefallen. Dadurch, dass von Herrn Lindner nichts kam, wurde diese noch verstärkt. Wenn nach der Kundgebung von heute nichts passiert, hält uns das nicht davon ab weiterzumachen. Die Zustimmung der Berliner habe ich positiv gesehen.
Aufbruchstimmung statt Niedergeschlagenheit
„Auf unsere Forderungen müssen wir mit Nachdruck hinweisen“, unterstrich der Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein (BVSH), Klaus-Peter Lucht, der an einer der von den Kreisbauernverbänden organisierten Fahrten nach Berlin teilnahm. Wären nicht derart viele Protestierende nach Berlin gekommen, hätte die Politik vermutlich „so arrogant weitergemacht“.
Für Lucht herrscht in der Branche statt Niedergeschlagenheit vielmehr Aufbruchstimmung: „Wir müssen etwas verändern. Alle demokratischen Kräfte müssen sich jetzt bündeln, eine vernünftige Entscheidung treffen und den Agrardiesel wieder von der Tagesordnung nehmen. Ich hoffe sehr, dass der Haushaltsausschuss und der Bundestag eine solche Entscheidung treffen“, sagte der BVSH-Präsident im Anschluss an die Kundgebung. Neue Vorschläge müssten nun erarbeitet werden.
Für die anstehenden Verhandlungen mit der Politik werde man sich einige Wochen Zeit nehmen müssen und für die Gespräche auch die Grüne Woche nutzen. Die zurückliegenden Demonstrationen ließen erkennen, dass die Politik weit von Bürgern und der Landwirtschaft entfernt sei. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) betreibe eine Klientelpolitik, nehme aber weder die Bauern noch die Vorschläge der Borchert-Kommission oder der Zukunftskommission Landwirtschaft mit. Dass dort nichts umgesetzt werde, sei das größte Problem und führe zu Unfrieden und fehlender Planungssicherheit in der Branche. „Das muss sich unbedingt wieder ändern“, sagte Lucht. Wenn dies nach einer solchen Demonstration herauskomme, sei auch das ein Ziel. „Falls sich nichts bewegt, wird die heutige Demonstration vermutlich nicht die letzte gewesen sein“, so der BVSH-Präsident. jh