Als Vorsitzender des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament ist der schleswig-holsteinische EU-Abgeordnete Niclas Herbst (CDU) Teil der Antibetrugs-Architektur der Europäischen Union. Wie er die Mittelvergabe an Nichtregierungsorganistionen (NGO) und deren Verwendungzwecke einordnet, erläutert er gegenüber dem Bauernblatt.
Zwischen 2021 und 2023 haben NGO 7,4 Mrd. € EU-Mittel erhalten – darunter Umweltorganisationen, die für die Kommission bei Abgeordneten des EU-Parlaments lobbyierten. Welche NGO sind das genau und was war deren Auftrag?
Die Höhe der Mittel muss man einordnen. Es sind insgesamt 12.000 verschiedene Organisationen aus unterschiedlichen Bereichen betroffen. Das sind keineswegs nur Umweltorganisationen. In der Tat ist es aber so, dass einzelne NGO, die wir bisher im Haushaltskontrollausschuss prüfen konnten, in ihren sogenannten Arbeitspaketen sehr genau beschrieben haben, wie sie beispielsweise für das Naturwiederherstellungsgesetz EU-Abgeordnete lobbyieren wollen. Das halte ich für extrem problematisch und auch die Kommission hat mittlerweile zugegeben, dass sich dadurch „Reputationsrisiken“ ergeben. Sie hat bereits angekündigt, diese Praxis zu ändern. Sehr wichtig ist der Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs zur Finanzierung von NGO. Die Vergabe ist demnach insgesamt intransparent und eine zentrale Übersicht über Empfänger und Verwendungszwecke fehlt.
Was muss sich ändern?
Was ich für die Zukunft fordere, sind eine vollständige Offenlegung aller Empfänger, eine bestmögliche Trennung zwischen Gemeinnützigkeit und politischem Lobbyismus, verbindliche Regeln, die parteiische Einflussnahme mit EU-Geldern ausschließen, und überprüfbare Kriterien, wer und was als NGO gilt.
Der Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlaments hat Finanzierungsverträge angefordert und Anhörungen durchgeführt. Was ist der aktuelle Stand?
Das Aufdecken der Missstände verdanken wir einerseits dem Haushaltskontrollausschuss, aber auch dem Europäischen Rechnungshof. Wir arbeiten in dieser Frage eng zusammen. Die Untersuchung dieser Zustände ist allerdings kein Sprint, sondern ein Marathon. Wir haben noch eine hohe Zahl von sogenannten Agreements vorzuliegen, die wir prüfen wollen. Wir werden eine Arbeitsgruppe des Ausschusses einsetzen, die sich damit beschäftigt und werden bei dem Thema nicht lockerlassen.
Erst als die Prüfungen begannen, verbot die Kommission, dass Empfänger von EU-Mitteln gegenüber EU-Institutionen Lobbyarbeit betreiben. War diese Maßnahme überfällig?
Das ist reichlich spät. Aber es ist das Ergebnis der Arbeit meines Ausschusses und darin sehe ich meine Aufgabe. Ja, es hätte gar nicht dazu kommen dürfen, aber dafür gibt es eben einen Haushaltskontrollausschuss, der auf so etwas hinweist und dann die Kommission bewegt. Fairerweise muss man sagen, dass die sich neu im Amt befindende Kommission dieses Thema bereits aufgenommen hat.
EU-Haushaltskommissar Piotr Serafin sagt, NGO seien nie dafür bezahlt worden, das Parlament zu beeinflussen. Auch Umweltverbände wie der Nabu sehen ihre EU-Dachverbände nicht in einen Skandal verwickelt. Ist diese Einschätzung haltbar?
Die Kommission gibt zumindest zu, dass ein entsprechender Eindruck erweckt werden könne. Und das allein reicht mir aus, um zu sagen: Hier muss nachgeschrieben werden.
Der Europäische Rechnungshof kritisiert aktuell mangelnde Transparenz, unklare Mittelverwendung und fehlende Kontrolle darüber, ob NGO EU-Werte achten. Wie ernst ist dieser Befund?
Das ist natürlich besorgniserregend. Der Rechnungshof hat allerdings auch klargemacht, dass das nicht automatisch bedeutet, dass sie nicht eingehalten werden. Aber wir sind dort nicht streng genug. Auch da muss nachgearbeitet werden.
Liegt das Problem bei den NGO oder bei der Kommission?
Ich bin auch der Berichterstatter für die Entlastung der Kommission, bei der wir das Thema angesprochen haben. Meine Kritik geht eindeutig in Richtung der alten Kommission. Die Forderungen richten sich natürlich an die neue Kommission. Dass die NGO machen, was eine NGO macht, kann man ihnen kaum vorwerfen, ob man es jetzt gut findet oder schlecht. Wichtig ist, dass die Regeln entsprechend angepasst werden.
Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten hat die Entscheidung über einen Untersuchungsausschuss mehrfach vertagt. Warum zögert man?
Untersuchungsausschüsse sind vor allen Dingen ein politisches Signal. Ich glaube, dass die Untersuchungsbefugnisse des Haushaltskontrollausschusses, die sehr weitreichend sind, ausreichen. Diejenigen, die von der ganz rechten politischen Seite jetzt Untersuchungsausschüsse fordern, haben sich mit der tatsächlichen Thematik wenig beschäftigt. Ich erinnere mich daran, dass die rechten Fraktionen ESN und Patrioten an der entsprechenden Plenartagung in Straßburg gar nicht teilgenommen haben. Keine Arbeit zu leisten und dann lauthals einen Untersuchungsausschuss zu fordern, ist keine sinnvolle Politik. Aber als Vorsitzender des Kontrollausschusses verspreche ich, dass wir dranbleiben.
NGO sollen laut Definition unabhängig und gemeinnützig sein. Wenn die EU nicht prüft, ob zum Beispiel staatliche Stellen Einfluss auf die Leitungsgremien nehmen, wie tragfähig ist dieses Modell?
Die Einstufung als NGO erfolgt auf Basis von Eigenerklärungen ohne Kontrolle zentraler Kriterien wie Gemeinnützigkeit oder staatlicher Einflusstrukturen. Da muss eine Kontrolle hin, die es derzeit nicht gibt. Das ist ein zentraler Vorschlag auch des Europäischen Rechnungshofes. Ich glaube aber auch, dass man sich als Abgeordneter nicht so schnell von einer NGO beeinflussen lässt.