Es stehen noch zu viele ideologische und machtpolitische Interessen einzelner Gruppen im Vordergrund der agrarpolitischen Diskussion, um den nachhaltigkeitsorientierten Umbau der Landwirtschaft voranzubringen, stellte Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), am Dienstag auf der Mitgliederversammlung fest, die im Rahmen der DLG-Wintertagung in Hannover stattfand. Das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzierung und die Auswirkungen der EU-Taxonomie auf die Landwirtschaft standen am Mittwoch im Fokus der Plenumsveranstaltung.
DLG-Präsident Paetow appellierte am Mittwoch vor mehr als 900 Besuchern in der Hauptveranstaltung der Wintertagung, die wertvollen Konzepte der nachhaltigen Entwicklung in der Landwirtschaft nicht aufzugeben und sich nicht vom medialen Alarmismus treiben zu lassen. Krisen beziehungsweise entscheidende Wendungen entstünden vor allem dann, wenn die Defizite eines Systems nicht mehr kompensiert werden könnten. Dann sei es Zeit, Praktiken, Vorgehensweisen und Ausrichtungen zu hinterfragen und neu zu justieren, so der DLG-Präsident. Durch den Exportstopp landwirtschaftlicher Erzeugnisse infolge des Ukrainekriegs seien Stimmen einer weltweiten Ernährungskrise laut geworden. Auch die aktuelle Preisentwicklung gebe Anlass zur Sorge, insbesondere aus Sicht der ärmeren Länder des globalen Südens, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind.
Diese Situation ändere aber nichts an der Notwendigkeit, die Systeme auch hierzulande so zu gestalten, dass die natürlichen Ressourcen nicht dauerhaft beeinträchtigt werden. Was sich ändere, sei die unternehmerische Beurteilung der Alternativen, wenn es um eine nachhaltige Weiterentwicklung auf dem Betrieb gehe. Bei ähnlich positiver Wirkung auf die Biodiversität sollten Maßnahmen im Vordergrund stehen, die mit dem geringsten Ertragsrückgang verbunden sind, so Paetow. Nachhaltigkeit werde auch die Grundlage von Finanzierungs- und Versicherungskonzepten in der Landwirtschaft.
Nachhaltigkeit als Finanzierungskriterium
Prof. Stephan von Cramon-Taubadel, Professor für Agrarpolitik an der Georg-August-Universität Göttingen, hob hervor, dass die globale Versorgungslage eng sei und noch enger werden könnte, beeinflusst durch den Krieg in der Ukraine. Dennoch seinen Nachhaltigkeits- und insbesondere Klimaziele von höchster Priorität im Kampf gegen die Erderwärmung. Er stellte klar, „Klimapolitik ist Sicherheitspolitik“. Obendrauf kommt vonseiten der EU jetzt die geplante Umsetzung der Taxonomie-Regelungen. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft fürchte dadurch eine Gefährdung der Kreditversorgung und eine Zunahme der Bürokartie sowie die Einführung eines zweiten Fachrechts durch die Hintertür.
Im Green Deal spiele unter anderem der Finanzsektor eine Rolle, stellte Dr. Rainer Langner, Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Hagelversicherung, in seinem Vortrag fest. In der EU-Taxonomieverordnung gebe es sechs Ziele, die erreicht werden müssten. Zwei davon, nämlich der Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel, seien bereits festgelegt. Die Auswirkungen seien, dass Versicherer und auch die Banken in der nicht-finanziellen Berichterstattung zunehmend auch darlegen und offenlegen müssten, wie sie Themen wie Nachhaltigkeit angehen und was sie dafür tun. Es betreffe zwei Bereiche, einmal den Bereich der Kapitalanlage, aber auch den Bereich der Finanzierung und Versicherung. Das werde Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, Versicherungen und Banken haben. Die Branche müsse sich jetzt damit intensiv beschäftigen.
Klimapolitik zeigt sich im Stall und Agrarhandel
Für Dr. Birthe Lassen vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft gibt es Nachhaltigkeit nicht einfach in den Farben Schwarz-Weiß. Nachhaltigkeit in der Milchviehhaltung sei ein Thema, das so vielfältig wäre, wie die Milchviehbetriebe selbst. Als Milchviehbetrieb sei man nicht einfach „nachhaltig“ oder „nicht nachhaltig“. Alle Betriebe hätten Bereiche, in denen sie schon heute nachhaltig aufgestellt seien, während es in anderen Bereichen Optimierungspotenziale gebe.
Dr. Bianca Lind, Nachhaltigkeitsexpertin bei Agravis, erwatet Veränderungen für die Agrarbranche durch die Umsetzung des europäischen Green Deal. Die Unternehmen seien gezwungen, ihre nachhaltigen Aktivitäten transparent zu dokumentieren. Es müssten neue Informationen erfasst, verarbeitet und in Kennzahlen abgebildet werden. Außerdem werde der Druck höher, sich Ziele zu setzen und diese zu erreichen. Auch wenn viele Informationen bereits in Unternehmen vorhanden sind, sei die Dokumentation aufwendig und würde knappe Ressourcen in Anspruch nehmen. Die Kunst werde es sein, Kennzahlen und Ziele zur Steuerung des Unternehmens zu nutzen, um es in eine nachhaltige Zukunft zu führen. dlg/mbw