Auf dem traditionsreichen Gut Silk bei Reinbek, Kreis Stormarn, weht seit Anfang 2025 ein frischer Wind. Neue Pächter haben den klassischen Reit- und Pensionsstall übernommen und entwickeln ihn zu einem Para- und Reitsportzentrum, in dem Inklusion zur ganz normalen Stallrealität werden soll.
Man könnte meinen, der Silker Weg führe direkt in den Sachsenwald. Ganz stimmt das zwar nicht, aber wer Richtung Gut Silk abbiegt, lässt Stadt und Verkehr hinter sich. Rund um das ehemalige Kanzleigut in der Gemarkung Schönningstedt, auf dem sich vor rund 300 Jahren ein herzoglicher Amtsschreiber niederließ, plätschert gemächlich die Bille. Ausreitmöglichkeiten gibt es hier reichlich, mit Blick über Felder und Wiesen.
Der Hof mit seiner markanten roten Reithallenfassade ist unter Pferdehaltern in der Region seit Jahrzehnten bekannt. Nicht nur aufgrund seiner idyllischen Lage, sondern auch aufgrund seines vielfältigen Haltungskonzepts. Um den zentralen Hofplatz gruppieren sich klassische Außenboxen. Hinzu kommen seit vielen Jahren ein Offenstallbereich und ein Paddock-Trail.
Nach langer Zeit unter konstanter Leitung übernahmen Anfang des Jahres zwei Ehepaare den Betrieb: Tanja und Michael Struck, langjährige Einsteller auf dem Hof, holten Cathleen und Clemens Wülfing mit ins Boot. Gemeinsam bilden sie die neue Leitung. Unterstützung bekommen die vier seit dem Frühjahr von Betriebsleiter und Pferdewirtschaftsmeister Hannes Schulz. Sie alle verfolgen eine gemeinsame Vision, die über das bloße Modernisieren hinausgeht: Gut Silk soll zum Para- und Reitsportzentrum werden – das erste seiner Art im Norden.
Para-Reiten umfasst jede Form des Reitens mit Handicap, vom Freizeitreiten bis zur internationalen Para-Dressur. Im Kern geht es darum, Menschen mit Einschränkungen durch geeignete Ausbildung, angepasste Ausrüstung und geschulte Pferde das Reiten zu ermöglichen, als Sport, Freizeitgestaltung oder zur Teilhabe.
Reiten mit Handicap
In der Para-Dressur, der paralympischen Variante des Dressurreitens, starten Menschen mit körperlichen Einschränkungen in fünf Leistungsklassen, den sogenannten Grades. Diese richten sich nach der Art und dem Ausmaß ihrer Beeinträchtigung.
Damit Para-Reiter ihren Sport ausüben können, braucht es passende Rahmenbedingungen am Hof und bei der Pferdehaltung. Ein weiterer wichtiger Baustein ist eine fundierte Ausbildung für Pferd und Reiter durch Trainer mit Erfahrung, die wissen, worauf es beim Para-Reiten ankommt, und die sich auf das individuelle Paar einstellen können.
Das weiß Cathleen Wülfing aus eigener Erfahrung: Nach einem Reitunfall lebt sie mit einer inkompletten Querschnittslähmung und kämpfte sich zurück in den Sattel. „Wir wollen hier auf Gut Silk einen geschützten Rahmen bieten, in dem jeder den Reitsport ausüben kann, ohne Berührungsangst“, beschreibt die Psychologin beim Hofrundgang.
Schon jetzt bietet Gut Silk ein umfangreiches Unterrichts- und Lehrgangsprogramm. Dressurausbilder und Paralympics-Reiter Bernd Brugger kommt ebenso wie Melanie Wienand, die zur Weltspitze der Para-Dressur zählt. Solche Angebote, die für alle Reitsportler offen sind, waren im Norden bislang rar. Entsprechend groß ist die Nachfrage. „Wir haben Trainingsgäste, die aus der Berliner Gegend, Ostfriesland, Hessen oder Niedersachsen anreisen“, so Cathleen Wülfing. Da auch Regelsportler gern teilnähmen, entstehe ein Miteinander.
Umbau und Modernisierung
Auf dem Betrieb wird fleißig trainiert, aber genauso viel umgebaut. Etliche der alten Boxen wurden vergrößert, das Rausstell- und Weidekonzept überarbeitet und Reitböden erneuert. Für den Außenspringplatz gibt es ebenso Umbaupläne wie für die Sanitäranlagen und das Reiterstübchen. Letzteres soll barrierefrei werden.
„Wir haben vieles neu gedacht“, erklärt Hannes Schulz. Man wolle den Pferden viel Licht, Luft, Auslauf und gutes Futter bieten, in möglichst passgenauer Haltungsform. Geboten wird einiges: von der XXL-Box mit Rundumservice über 24 Stunden Weide im Sommer bis zur Paddock-Trail-Haltung in der Herde.
Das Konzept wird gut angenommen. „Wir sind schnell gewachsen“, freut sich der engagierte Pferdewirtschaftsmeister. In den Stallungen und auf 25 ha arrondiertem Weideland stehen inzwischen rund 70 Pferde, die Schulz mit einem sechsköpfigen Team versorgt. Demnächst kommen noch ein Auszubildender und ein Fachpraktiker in der Pferdewirtschaft dazu, denn auch hier setzt der Betrieb auf Inklusion.
Ganz langfristig können sich die neuen Gutspächter vorstellen, auch einmal Para-Turniere zu veranstalten. Aber bis dahin gibt es noch einiges zu tun. Für Cathleen Wülfing geht es nach dem Interview direkt weiter: Ihre Stute Fancy wartet an der Rampe am Reithalleneingang. Drinnen unterrichtet Karin Lührs, eine von mehreren Ausbilderinnen, die nun regelmäßig nach Gut Silk kommen und dazu beitragen, dass der Norden auf der Landkarte des Para-Reitsports kein weißer Fleck mehr ist.




