Nach Expertenschätzung gibt es aktuell zirka 3.000 Assistenz- oder Servicehunde in Deutschland. Für Menschen mit einer Behinderung sind sie Freund und Helfer zugleich. Marianne Preuße-Böttcher aus Kronshagen im Kreis Rendsburg-Eckernförde kann auf die Golden-Retriever-Damen Emilia und Frieda zählen. Tag und Nacht sind die tierischen Begleiterinnen an ihrer Seite.
Marianne Preuße-Böttcher kehrt gerade von einer Spazierfahrt mit den Hunden heim. Die Bauernblatt-Reporterin geht ihr draußen auf dem Bürgersteig ein Stückchen entgegen, um sie zu begrüßen. Doch blitzschnell stellen sich Emilia und Frieda vor ihr Frauchen und bellen. „Sehen Sie, die passen gut auf mich auf“, sagt die 74-Jährige lächelnd und streichelt den beiden beruhigend über den Rücken. Diese Geste signalisiert Entwarnung, alles okay. Die Hunde rücken, nun freundlich mit dem Schwanz wedelnd, beiseite.
Seit etwa 1990 nutzt Marianne Preuße-Böttcher aufgrund einer zurückliegenden Erkrankung und von Multipler Sklerose den Rollstuhl. Im Alltag übernehmen Emilia und Frieda zahlreiche Aufgaben, die sie ihnen selbst antrainiert hat. Die tierischen Helfer, die als Assistenz- oder Servicehunde bezeichnet werden, ermöglichen ihr ein selbstständigeres Leben und mehr Unabhängigkeit. Zudem sorgen sie für mehr Sicherheit in unterschiedlichsten Lebenssituationen. „Emilia und Frieda können den Reißverschluss an meiner Jacke öffnen und mir beim Ausziehen helfen. Wenn mir etwas herunterfällt, heben sie es auf. Sie holen mir das Telefon, tragen mir Dinge ins Obergeschoss unseres Hauses oder unterstützen mich beim Einkaufen“, freut sie sich. Beim nächtlichen Toilettenbesuch passten die Hunde wachsam auf, dass sie nicht falle. „Sollte das dennoch passieren, machen sie ihren Rücken steif, sodass ich mich an ihnen hochziehen kann.“
Die Seniorin berichtet ebenfalls, dass ihr schon allein die Anwesenheit der Hunde seelisch guttue. Sie hätten eine ausgleichende und entspannende Wirkung auf sie und strahlten eine herrliche Ruhe aus. Dadurch trügen sie automatisch zur Reduktion ihrer krankheitsbedingten Schmerzen bei. Wenn die Vierbeiner „im Dienst“ sind, tragen sie Gurtrucksäcke, an denen oben ein Griff und seitlich mehrere Taschen angebracht sind. In ihnen können beispielsweise griffbereit Medikamente oder Notfallutensilien verstaut werden. Aber die angelegten Gurte, auf denen ein Rotes Kreuz auf weißem Grund und der Begriff „Servicehund“ aufgenäht sind, haben noch eine weitere Funktion. „Sie weisen deutlich darauf hin, dass der Hund ‚bei der Arbeit‘ ist“, so Marianne Preuße-Böttcher.
Hunde nicht ablenken
In diesem Fall gebe es einige Umgangsregeln, die Mitmenschen bei einer Begegnung unbedingt beachten sollten. „Oft sprechen fremde Leute meine Hunde einfach an, streicheln sie ungefragt, wollen mit ihnen kuscheln oder spielen. Doch sie werden dadurch von ihren eigentlichen Aufgaben abgelenkt“, gibt sie zu bedenken. Deshalb sei es ihr ein Anliegen, darüber zu informieren, wie sich Passanten gegenüber einem Servicehund am besten verhalten sollten. „Fassen Sie den Hund nicht an. Sprechen Sie nicht unaufgefordert mit ihm. Lenken Sie den Hund nicht durch laute Geräusche ab. Halten Sie Ihren eigenen Hund zurück“, bittet sie. Störe man die Konzentration eines Servicehundes, könne es im schlimmsten Fall passieren, dass er sein Frauchen oder Herrchen nicht mehr optimal schützen könne.
Im Alltag haben Emilia und Frieda durchaus ihre jeweiligen Lieblingsaufgaben, die ihrem unterschiedlichen Temperament, Charakter und Wesen entspringen. „Die sechsjährige Frieda ist eher ruhig. Sie mag es am liebsten, Sachen vom Boden aufzuheben. Emilia ist ein paar Jahre älter, lebhafter, verschmuster und verspielter. Sie liebt unsere Einkaufstouren am Donnerstag zum Wochenmarkt. Die beiden verstehen sich auch untereinander prima und lernen voneinander“, beobachtet sie. Ihre Liebe zu Hunden wurde der gebürtigen Ankumerin aus dem Landkreis Osnabrück in die Wiege gelegt. Ihr Vater war Jäger und bildete Jagdhunde aus. Von Kindesbeinen an kam sie mit, wenn er auf den Hochsitz oder zum Hundetraining ging. Im jugendlichen Alter stieg sie mit ins Hundetraining ein. Außerdem legte sie die Jagdscheinprüfung ab.
Für ihr Medizin- und späteres Psychologiestudium verließ sie die niedersächsische Heimat und zog nach Kiel. „Meinen ersten eigenen Hund holte ich dort aus dem Tierheim. Es war ein Tibet-Terrier, der über 16 Jahre bei mir lebte. Es folgten Mischlingshunde und vor allem Golden Retriever“, blickt die Mutter zweier erwachsener Töchter, die ebenso hundebegeistert sind, zurück. Eine Zeit lang züchtete sie Golden Retriever und bildete aus ihren Würfen Servicehunde für Menschen mit einer Behinderung aus. „Es ist sehr individuell, welche Hilfen Betroffene im Alltag benötigen. Die Anforderungen variieren. Jedem ist etwas anderes wichtig, zum Beispiel dass ein Hund das Licht anschalten, eine Schublade öffnen oder Wäsche aus der Waschmaschine holen kann.“ In Dankbarkeit erinnert sie sich an ihre Hündin Canebella, kurz Canie genannt. „Wir hatten eine ganz besondere geistige Verbindung. Sie war mein Seelenhund, ging jedoch unlängst über die Regenbogenbrücke. Als ich einmal während eines Urlaubs im Gardasee badete, geriet ich durch eine Unterströmung in Gefahr. Canie sah das, schwamm auf mich zu und stupste mich an. Ich hielt mich am Griff ihres Gurtes fest, während sie mich ans sichere Ufer zog.“
Regelmäßig ist Marianne Preuße-Böttcher mit den Begleithunden unterwegs, um Kinder behutsam an Vierbeiner heranzuführen. Einmal rief die Lehrerin einer sechsten Klasse aus Neumünster bei ihr an, ob sie nicht kommen könne. Mit vier „Goldies“ besuchte sie die Schüler im Alter von elf und zwölf Jahren im Unterricht. Es war für sie erstaunlich zu sehen, dass die Kinder in Anwesenheit der Hunde konzentrierter waren und die Klassenatmosphäre viel ruhiger war als gewöhnlich.
Heilsamer Umgang
„Der Umgang mit Hunden ist für Kinder heilsam. Er regt das Nervensystem an, stärkt die Sozialkompetenz, das Selbstvertrauen und fördert das Miteinander“, ist die Hundebesitzerin überzeugt. Manchmal besucht sie in Kronshagen eine Grundschule. Dort werden ihre wuscheligen Fellnasen in den ersten Klassen sehnsüchtig als Lesehunde erwartet. „Leseschwache Kinder haben Freude daran, unbefangen, ohne Druck, Stress und Kritik den Hunden vorzulesen.“ Früher bot sie mit ihrem Mann im Rahmen von Ferienaktionen Hunde-Workshops für Kinder an. Mehrere Jahre begleiteten ihre damaligen Hunde sie bei einer ehrenamtlichen seelsorgerischen Tätigkeit.
Bleibt abschließend die Frage, wie sie es eigentlich schaffte, den Vierbeinern so viele nützliche Dinge beizubringen? „Ich setzte immer darauf, eine zu trainierende Aufgabe in mehrere kleine Lerneinheiten zu unterteilen und beim Gelingen der einzelnen Lernschritte den Hund positiv in seinem Verhalten zu verstärken. Das musste nicht jedes Mal zwangsläufig mit einem Leckerli geschehen. Ein Streicheln und liebe Worte reichten oft völlig aus“, blickt sie zurück. Ergänzend sichere ein stetes Training der erlernten Fähigkeiten einen anhaltenden Lernerfolg. Selbstverständlich brauche ein Servicehund nach getaner Arbeit Ruhephasen, einen artgerechten Ausgleich sowie liebevolle Zuwendung und Pflege. Das Wohl und die Gesundheit der Tiere ständen bei der Arbeit und Ausbildung immer an erster Stelle.
Während Marianne Preuße-Böttcher spricht, sitzen ihre Begleiterinnen rechts und links aufmerksam neben ihr. Sie haben sich vorsichtig an sie gelehnt und man spürt: Die drei sind ein unzertrennliches Team. „Emilia und Frieda bedeuten mir unheimlich viel. Ich möchte meine Hunde nicht missen“, sagt sie und streicht sanft über die Köpfe ihrer goldigen Lieblinge.
Info
Ein Assistenz- oder Servicehund ist ein unter Beachtung des Tierschutzes und des individuellen Bedarfs eines Menschen mit Behinderung speziell ausgebildeter Hund, der aufgrund seiner Fähigkeiten und erlernten Assistenzleistungen dazu bestimmt ist, diesem Menschen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, zu erleichtern oder behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen.
Die Kosten für die Ausbildung eines Assistenz- oder Servicehundes werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Die Besitzer tragen sie selbst oder suchen Sponsoren. sbk