Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag. Nationalparkwattführer Johann Peter Franzen ist ein Mann der ersten Stunde. Seit Jahrzehnten ist er an der Dithmarscher Nordseeküste mit Einheimischen, Gästen und Urlaubern unterwegs, um sie an die einzigartige Natur heranzuführen und wertvolles Wissen zu vermitteln.
„Hat es euch gefallen?“, fragt Johann Peter Franzen am Ende seiner Tour, und die Kinder rufen fröhlich: „Ja!“ Die Erwachsenen klatschen. „Nun sind wir vollgepumpt mit vielen Informationen. Wie schön!“, bemerkt Sabrina Dunkel aus Bad Segeberg. Mit ihren kleinen Töchtern Pauline und Gwendolin hat sie an diesem Sonntagmorgen an der öffentlichen Wattführung in Westerdeichstrich bei Büsum teilgenommen. „Jetzt weiß ich, warum man besser nicht allein ins Watt geht. Das kann gefährlich sein“, gibt sie zu bedenken.
Ein Naturphänomen hat die 45-köpfige Gruppe nämlich gerade hautnah erleben können: die Springflut. Zweimal im Monat bei Neumond und Vollmond tritt sie auf, wenn Sonne, Mond und Erde auf einer Linie stehen und sich so ihre Anziehungskräfte addieren. Für Wattwanderer ist diese Konstellation tückisch. Die Priele, die die weiten Wattflächen durchziehen, laufen dann schneller und unvorhergesehener voll als sonst. Eben noch waren die Teilnehmenden auf dem Rückweg durch einen knöchelhoch mit Wasser gefüllten Priel gelaufen. Während sie barfuß wieder sicher den Deich erreichen und ihre Schuhe anziehen, fließt unaufhörlich Wasser nach. Bereits nach wenigen Minuten ist das Watt komplett überspült, der Wasserstand bedeutend höher.
Besonders freut er sich, dass er heute die Kinder glücklich machen konnte. Sie durften beispielsweise einen Wattwurm in den Händen halten und lernen, dass er Sand frisst und dabei die charakteristischen „Spaghettihaufen“ auf dem Boden hinterlässt. Sie wissen jetzt auch, was passiert, wenn ein hungriger Vogelschnabel sein Schwanzende erwischt. Der Wattwurm kann ihn 28-mal abstoßen und dadurch sein Leben retten. Spannend!
Auch Johann Peter Franzen schlüpft in seine Sandalen, genießt die frische Nordseeluft und lässt noch einmal den Blick über das faszinierende Wattenmeer streifen. „Jede meiner Führungen ist anders, die Natur ist anders, das Wetter ist anders, die Menschen sind anders. Das macht meine Arbeit so interessant“, resümiert er zufrieden.
Einmal um die ganze Welt
Foto: Silke Bromm-Krieger
Seit knapp vier Jahrzehnten ist der 71-Jährige als Wattführer unterwegs. Wenn er alle Kilometer seiner Wanderungen zusammenzählt, ist er im Nationalpark schon einmal um die ganze Welt gelaufen, über 40.000 km. Mit rund 3.000 Interessierten pro Jahr geht er ins Watt. Doch sein Engagement reicht weit darüber hinaus. Er brachte die Ausbildung und Zertifizierung für Wattführer mit auf den Weg, war vor 27 Jahren Gründungsmitglied der Wattführergemeinschaft Dithmarscher Nordseeküste und ist ebenfalls beim schleswig-holsteinischen Fachverband „De Wattenlöpers“ aktiv.
1954 auf einem Bauernhof in Katingsiel auf Eiderstedt geboren, kam er 1979 nach Dithmarschen und fühlt sich seitdem in der Region fest verwurzelt. „Das hier ist meine Nordsee, meine Heimat. Wenn du dieses Virus einmal eingeatmet hast, lässt es dich nie wieder los“, meint er schmunzelnd. Deshalb sei es ihm ein Bedürfnis, seine Liebe zum Wattenmeer mit anderen Menschen zu teilen, ihnen einen der bedeutendsten und artenreichsten Lebensräume der Welt näherzubringen. „Bei unseren Führungen bieten meine Kollegen und ich Gelegenheit, die Geheimnisse des Watts zu entdecken, die Tier- und Pflanzenwelt kennenzulernen und die Bedeutung dieses Lebensraums für das globale Ökosystem zu verstehen“, bringt er es auf den Punkt.
Foto: Silke Bromm-Krieger
Gern schaut Franzen auf die Anfänge des Nationalparks zurück, auch wenn er einräumt, dass diese durchaus von Skepsis und Ablehnung der Anwohnenden begleitet gewesen seien. Wegen der vielfältigen Bedrohungen des Wattenmeers war die Ausweisung eines Schutzgebietes dringend erforderlich geworden. So verringerten Eindeichungen seine Fläche, Verschmutzungen durch Schad- und Nährstoffe nahmen zu. „Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer wurde 1985 als dritter Nationalpark in Deutschland errichtet. Er ist der flächengrößte zwischen dem Nordkap und Sizilien. Im Norden grenzt er an Dänemark und reicht im Süden bis zur Mündung der Elbe. Er schützt auf einer Fläche von 4.380 Quadratkilometern Watt- und Meeresflächen, Strände und Salzwiesen, die sich weitestgehend ohne menschlichen Eingriff entwickeln sollen“, informiert er. Das Gebiet beherberge etwa 3.200 Tierarten. Zusätzlich lebten hier über 60 Fischarten und die Meeressäuger Seehund, Kegelrobbe und Schweinswal. Im Nationalpark rasteten zudem jährlich zehn bis zwölf Millionen Vögel. Um die 100.000 Brutpaare zögen jedes Jahr ihren Nachwuchs groß. „Damit ist das Wattenmeer das vogelreichste Gebiet in Mitteleuropa und Hotspot auf dem ostatlantischen Zugweg der Küstenvögel. Wegen dieser Einzigartigkeit und der großen ökologischen Bedeutung wurde es 2009 als Unesco-Weltnaturerbe ausgezeichnet“, so Franzen.
Foto: Silke Bromm-Krieger
Er hat beobachtet, dass in den vergangenen Jahrzehnten das Umweltbewusstsein der Menschen und das Wissen um die Wichtigkeit des Erhalts des Wattenmeers stetig gewachsen seien. Froh ist er, dass dafür mittlerweile Akteure aus Politik, Verwaltung, Naturschutzorganisationen, Tourismus und Fachverbänden im ständigen Austausch sind und gemeinsam etwas tun. „Wir haben insgesamt eine hohe Akzeptanz des Nationalparks erreicht, weil wir die Menschen in den Regionen mitgenommen und einbezogen haben. Die Hoheit liegt bei den Gemeinden“, stellt er heraus.
Nachhaltiger Tourismus
Was er „seinem“ Nationalpark zum Geburtstag wünscht? Da muss er nicht lange überlegen. „Dass wir den jetzigen Status erhalten, dass es uns gelingt, die Qualifikation der Wattführer im gewohnten Umfang fortzuführen, und dass das Wissen über die wechselvolle Entstehungsgeschichte des Nationalparks lebendig bleibt.“ Ein Streiflicht wirft er außerdem auf den Tourismus, den er für wichtig und förderungswürdig hält. Jährlich besuchen zwei Millionen Urlaubsgäste die schleswig-holsteinische Westküste, die zur Metropolregion Hamburg gehört. Hinzu kommen 13 Millionen Tagesausflügler. „Nachhaltig ausgerichtet, stärkt der Tourismus als Wirtschaftsfaktor und Wirtschaftskraft ganz Norddeutschland und trägt zum Erhalt der Natur bei“, ist er überzeugt.
Zum Abschluss erzählt er von den Wattführungen, die er und seine Kollegen in nächster Zeit noch vorhaben. „Kiekt geern mal bi uns vörbi“, lädt er die Bauernblatt-Leser ein. Auf Wunsch bietet Johann Peter Franzen seine Exkursionen „op Platt“ an. Weitere Infos und Termine gibt es unter watterleben.de oder zum-wattführer.de
Info
Unter dem Motto „Jung, wild, dynamisch“ – 40 Jahre Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“ gibt es noch bis Dezember ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm, das die Naturschutzverbände, die Nationalpark-Watt- und Gästeführer, die Nationalpark-Partner und die Nationalparkverwaltung auf die Beine gestellt haben. Alle Termine und Angebote unter nationalpark-wattenmeer.de/sh/40jahre




