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Süße Milch aus saurem Teig

Rinder aktuell: Zuckerstoffwechsel der Kuh
Von Dr. Ole Lamp, Landwirtschaftskammer SH
Die wichtigste Grundlage für gesunde Kühe ist eine stabile und ausgewogene Ration, die gerne gefressen wird. Foto: Dr. Ole Lamp

Traubenzucker (Glukose) ist der universelle Brennstoff für alle tierischen Zellen. Jede Zelle kann Glukose verwerten und viele sind dringend auf Glukose als einzig möglichen Brennstoff angewiesen. Zugleich ist Zucker nicht selten der begrenzende Faktor der Milchbildung. Doch gerade beim Wiederkäuer ist Zucker hart umkämpft, da die Mikroben des Pansens den ersten Zugriff auf alle leicht verdaulichen Kohlenhydrate haben. Sie nutzen diese für ihren eigenen Stoffwechsel. Wie die Milchkuh es trotz dieser Konkurrenz schafft, ihren Zuckerbedarf zu decken, und wann das nicht gelingt, soll im Folgenden dargestellt werden.

Wiederkäuer sind bekanntlich darauf spezialisiert, schwerer verdauliche Pflanzenteile in ihre Bestandteile zu zerlegen und bestmöglich für Wachstum und Milchleistung zu nutzen. Grundlage dieses Erfolgskonzeptes ist ein Vormagensystem mit unzähligen verschiedenen Mikrobenarten, deren Zusammenspiel sich über die vielen Schritte der Wiederkäuer­evolution immer weiter verbessert hat. Mikroben und Wiederkäuer leben in einer sogenannten Symbiose, also einer Win-win-Situation: Der Wirt sorgt für Futter, während die Gäste dieses vorverdauen und für ihr eigenes Wachstum nutzen. Der Wirt wiederum nutzt die Nebenprodukte des Mikrobenstoffwechsels sowie den Überschuss an eiweißreichen Mikroben für seine eigene Ernährung. Zwar bleibt so für den Wirt weniger übrig als wenn er alles selbst verdauen würde, jedoch verfügen die Mikroben über Stoffwechseltricks, die den Wert des „Restes“ massiv erhöhen. So entstehen viele wertvolle Eiweißbausteine und Vitamine erst durch mikrobielle Umsetzung des Futters im Pansen. Allein die Verdauung der Zellulosefasern wird erst durch Mikroben möglich.

Kampf um den Zucker

Die Kehrseite dieser engen Zusammenarbeit ist die Tatsache, dass Zucker und einfache Stärkeverbindungen aus Gras oder Getreide sowohl vom Rind selbst als auch von den Mikroben schnell und einfach verdaut werden können. Somit stehen Mikroben und Rind hier in direkter Konkurrenz um den Zucker und schnell verfügbare Stärke (Speicherzucker). Daher ist das Rind sehr gut in der Lage, einfachen Zucker direkt über die Pansenzotten in das Blut aufzunehmen und so einen Teil davon den Mikroben zu entziehen. Dennoch ist die Zuckeraufnahme des Rindes aus der Nahrung im Vergleich zu anderen Tieren (Pferd, Schwein) oder dem Menschen viel geringer und deckt kaum den Bedarf seines Körpers. Bekanntlich vertragen Rinder zudem auch nur begrenzte Mengen an Zucker und leicht abbaubarer Stärke, da es sonst zu Übersäuerungen des Pansens (Azidose) kommt. Diese problematischen Säuren, vor allem Milchsäure, entstehen bei der schnellen mikrobiellen Umsetzung unter den sauerstofffreien Bedingungen des Pansens als Gärung. Die aggressive Milchsäure schädigt die Pansenwand und tötet viele säureempfindliche Bakterien im Pansen ab, sodass deren Giftstoffe frei werden und das Rind zusätzlich schädigen.

Zucker aus Säuren

Glukose ist als Energieträger für alle Zellen des Körpers verwertbar, doch ist Glukose für bestimmte Zellen die einzige Option. Dies betrifft vor allem das Gehirn- und Nervengewebe, die Blutzellen einschließlich der weißen Blutkörperchen und die Milchdrüse zur Bildung des Milchzuckers.
Der erschwerte Zugang zu Glukose hat zur Folge, dass die Kuh hocheffektiv Zucker aus „minderwertigen“ Vorstufen oder Resten der mikrobiellen Verdauung neu aufbauen muss. Dabei nutzt die Kuh vor allem das Propionat, welches bei der normalen Vergärung von Zucker und Stärke im Pansen entsteht. Aber auch Milchsäure (Laktat), die über die Pansenzotten aus dem Vormagen abgezogen wird, kann gut zum Aufbau von Zucker genutzt werden. So ist eine Hochleistungskuh heutzutage in der Lage, 3,5 bis 4 kg Glukose pro Tag aus einfachen Vorstufen neu aufzubauen und diese den Geweben zur Verfügung zu stellen, die ohne Zucker nicht auskommen können.

Knappe Zuckerbilanz

Auch wenn die Rate an neu gebildetem Zucker zunächst erstaunlich hoch erscheint, zeigt der Blick auf den Zuckerbedarf, wie knapp dies bei den heutigen Milchleistungen zur Bedarfsdeckung ausreicht. So benötigt die durchschnittliche gesunde Kuh nur 290 bis 380 g Zucker pro Tag für die Erhaltung der lebenswichtigen Funktionen (Gehirn- und Nervenfunktion, Blutzellen), solange die anderen Gewebe auf andere Brennstoffe wie Fett zurückgreifen können. Jedoch werden für die Milchbildung 70 bis 75 g Zucker je Kilo Milch benötigt. Aus Glukose wird in der Milchdrüse der Milchzucker (Laktose) gebildet. Laktose ist dabei nicht nur wertvolle, schnelle Energie für das Kalb, sondern auch wichtig, um Milch überhaupt flüssig und somit melkbar zu machen, da sie Wasser in das Innere der Alveole nachzieht. Die Menge des verfügbaren Zuckers bestimmt also entscheidend die Menge der überhaupt erzielbaren Milchmenge. Bei einer Kuh mit einer Tagesleistung von 50 kg Milch sind somit mindestens 3,5 kg Glukose pro Tag zur Milchzuckerbildung nötig. In Summe mit dem Erhaltungsbedarf kann dies schnell zum vollständigen Verbrauch der täglichen Zuckerneubildung führen. Dabei ist zu bedenken, dass diese Zuckerbilanz nur ausgeglichen ist, wenn die Kuh auch ausreichend frisst. Bekanntlich haben Kühe in den ersten Wochen der Laktation noch nicht ihre volle Futteraufnahme erreicht, während die Milchleistung oft schon sehr schnell auf den Leistungspeak ansteigt. Dies führt zu einer negativen Bilanz und die Kuh muss auf Reserven zurückgreifen (Abbildung 1).

Schwere Zeiten

Reichen die Futteraufnahme und die Kapazitäten der Leber zur Zuckerneubildung nicht aus, könnte die Kuh auf Zuckerspeicher und andere Bausteine zurückgreifen. So ist bei der Kuh, wie bei anderen Tieren auch, die Leber in der Lage, Zucker in der Speicherform Glykogen einzulagern. Allerdings sind hier maximal 300 g Glukose eingelagert, mit denen die Kuh höchstens einen Tag ihren Erhaltungsbedarf decken kann. Stattdessen kann die Rinderleber in begrenztem Maß auf Laktat aus dem Muskelstoffwechsel und in kleinsten Mengen auch auf Aminosäuren und Glyzerin aus dem Fettabbau zurückgreifen. Diese Quellen scheinen nach aktuellem Forschungsstand aber keinen wesentlichen Beitrag zu leisten.

Treibstoff der Abwehrzellen

Besonders problematisch wird die Lage der Hochleistungskuh, wenn die körpereigene Infektionsabwehr gefordert wird. Hier zeigt sich, dass eine starke experimentelle Alarmierung des Immunsystems, beispielsweise durch die Toxine von Kolibakterien, einen Anstieg des Glukoseverbrauchs um 1 kg pro Halbtag für die Aktivierung der weißen Blutkörperchen zur Folge hat. Wenn man bedenkt, dass eine solche Reaktion mit starkem Unwohlsein, Fieber und beginnendem Kreislaufschock einhergeht, wird klar, dass die Futteraufnahme der kranken Kuh deutlich absinkt. Die Folge sind Stoffwechselentgleisungen wie die Ketose und deutliche Leistungsrückgänge.
Befindet sich das Abwehrsystem hingegen längere Zeit in einem mittleren Alarmniveau, geht es der Kuh möglicherweise nicht sichtbar schlecht. Dennoch bleibt die Futteraufnahme infolge des Unwohlseins zu niedrig und der Zuckernachschub aus der Leber reicht nicht aus, um den erhöhten Bedarf der Abwehrzellen und der hohen Milchleistung zu decken. Gerade in der Frühlaktation reagiert die Kuh aber nur auf starke Einflüsse mit sinkender Milchleistung. Mittelgradige Störungen reichen oft nicht aus, die genetisch programmierte Leistung zu dämpfen, und die negative Energie- und Zuckerbilanz verschlimmert sich. Die Körperabwehr hat dann oft eine geringere Priorität bei der Zuteilung der Glukose, sodass die Immunzellen nur eingeschränkt arbeiten können und durch Abwehrschwäche Infektionskrankheiten entstehen.

Den Dünndarm füttern

In den vergangenen Jahren wurde zunehmend versucht, durch hohe Gehalte pansenstabiler Stärke in der Ration gezielt die Dünndarmverdauung zu nutzen und bestehende Grenzwerte zu hinterfragen. Kurzfristige Milchleistungssteigerungen sind dabei zwar zu erreichen, doch ist die Frage der Langzeitverträglichkeit noch offen. Nach bisherigem Kenntnisstand ist die Umwandlung der Durchflussstärke in Blutzucker mit 40 % eher wenig effizient und scheint auch auf tägliche Höchstmengen von gut 1 kg begrenzt zu sein. Zugleich besteht durch größere Mengen unverdauter Stärke, die den Mikroben des Dickdarms zugeführt werden, die Gefahr einer Dickdarmazidose, die gesundheitliche Probleme mit sich bringt.

Fazit

Als Wiederkäuer kann die Kuh kaum direkt den Zucker aus dem Futter aufnehmen. Sie steht hier immer in Konkurrenz zu den Pansenmikroben, von denen sie in vielen anderen Aspekten profitiert. Daher ist die Kuh besser als viele andere Tiere in der Lage, aus Vorstufen neuen Traubenzucker zu bilden und bestimmten Zellen zur Verfügung zu stellen, die nur Glukose als Energieträger verwerten können. Bei Hochleistungskühen ist die Versorgung dennoch nicht immer ausreichend und in Phasen verminderter Futteraufnahme drohen gefährliche Engpässe, die zu Abwehrschwäche und Krankheit führen können. Es wird daher weiterhin empfohlen, die Zufuhr von Zuckervorstufen aus dem Vormagensystem als den effektiveren Weg weiter zu optimieren. Die wichtigsten Grundlagen dafür sind eine hohe Futteraufnahme mit stabilem und schmackhaftem Grundfutter sowie eine balancierte Ration für eine optimal angepasste Mikrobenbesiedlung des Pansens.

Gezielte Ergänzungsfütterung von Kühen mit hohem Bedarf kann helfen, den Stoffwechsel im Gleichgewicht zu halten. Foto: Dr. Ole Lamp
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