Besonders der Aufenthalt in Innenräumen mit all seinen Gerüchen kann für Annette Schumann schnell zur Qual werden. Hier berichtet sie, welche Einschränkungen eine Duftstoffunverträglichkeit im Alltag mit sich bringt, und klärt über das Krankheitsbild auf.
Dass sie eine Duftstoffunverträglichkeit hat, war Annette Schumann aus Mucheln im Kreis Plön lange Zeit gar nicht bewusst, denn diesbezügliche Symptome stellten sich langsam schleichend und nicht gleich zuordenbar ein. „Alles fing damit an, dass ich im Büro öfter niesen musste. Deshalb fragte ich mich, ob ich eine Allergie gegen Hausstaub habe“, blickt die gelernte Bauzeichnerin zurück.
Irgendwann fiel ihrem Mann auf, dass sie sich abends rechts und links am Hals kratzte. Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass sich dort, wo sie regelmäßig ihr Parfüm auftrug, rote, juckende Flecken gebildet hatten. Außerdem wachte sie am Morgen manchmal mit zugeschwollenen Augen auf. „Ich wollte es zunächst nicht wahrhaben, dass das mit meinem Duft zusammenhängen könnte. Also sprühte ich ihn kurzerhand nur noch auf meine Kleidung und nicht mehr direkt auf die Haut“, bekennt die 58-Jährige. Heute weiß sie, dass die Übertragung von Duftstoffen auch durch Aerosole über die Schleimhäute erfolgt und nicht nur als Kontaktallergie über die Haut. Die gesundheitlichen Probleme waren damit also nicht vom Tisch.
Überempfindlichkeit
Wegen einer Erkrankung nahm die Mutter eines erwachsenen Sohnes ein Antibiotikum ein und reagierte ebenfalls allergisch. Spätere Untersuchungen und Epikutantests (Pflastertests), die beim Hautarzt und 2007 in einer Hautklinik durchgeführt wurden, schafften schließlich Gewissheit. Annette Schumann hat hauptsächlich eine Überempfindlichkeit gegen Formaldehyd und den Duftstoff Mix 2.
Formaldehyd ist ein möglicherweise Krebs erzeugendes Konservierungsmittel und findet als Klebstoffbestandteil in Holzwerkstoffen Anwendung, etwa in Bauprodukten und Möbeln. Hinter dem Duftstoff Mix 2 verbirgt sich ein Gemisch aus verschiedenen Substanzen, die in Kosmetika, Salben, Reinigungsmitteln, Waschmitteln und Lebensmitteln vorhanden sind. All das geht aus Eintragungen in ihrem Allergiepass hervor. „Mich vor diesen Stoffen zu schützen, geht kaum. Meine Medikamente wie Allergietablette, Asthmaspray und Kortisoninhalator sind nur eingeschränkt hilfreich. Die beste und effektivste Behandlung ist das konsequente Vermeiden der Auslöser, sonst wird alles noch schlimmer. Doch das ist leichter gesagt als getan und im Alltag fast unmöglich“, gibt sie zu bedenken.
Übrigens verlaufe eine Duftstoffunverträglichkeit ohne Beteiligung des Immunsystems. Der Körper reagiere mit komplexen gesundheitlichen Reaktionen auf die Substanzen, die mit der Atemluft in die Lunge und von dort in den Blutkreislauf gelangten. „Deshalb greift eine allergenspezifische Immuntherapie, auch Hyposensibilisierung genannt, in meinem Fall nicht.“
Innenräume tabu
Mit den Jahren nahmen die Symptome bei Annette Schumann immer stärker zu. Der Aufenthalt in Innenräumen mit seinen verschiedenen Aerosolen wurde für sie zur Qual. „Gerate ich beispielsweise beim Einkaufen nahe und ungeschützt in die Parfümwolke einer anderen Kundin, wird meine Zungenspitze taub, die Lippen kribbeln, es kratzt um die Augen und um den Mund herum. Gleichzeitig können Herzrasen, Kopfweh, Konzentrationsstörungen und Wortfindungsstörungen beginnen. Ich räuspere mich, huste, die Nase verstopft, auch ein Asthmaanfall kann folgen“, zählt sie auf. Manchmal träten bestimmte Symptome erst zeitversetzt zutage. Für ihren Alltag hat das weitreichende Folgen. „Ich kann nicht auswärts essen gehen, nicht ins Kino, nicht ins Konzert, nicht ins Theater, zu keinem Geburtstag und keiner Familienfeier. Quasi alles, was drinnen stattfindet, ist für mich tabu“, erklärt sie. Ein mit Weichspüler gewaschener Pulli, Haarspray auf einer Frisur, Rasierwasser, Duftstäbchen, ein Duftbäumchen im Auto, ein WC-Duftstein und das besagte Parfüm könnten bei ihr sofort eine körperliche Abwehrreaktion auslösen. Schlimm seien zudem die versteckten Beduftungen in Kaufhäusern oder öffentlichen Räumen. Normalerweise sei es nicht möglich, vor dem Betreten zu erkennen, ob diese dort zum Einsatz kommen. Selbst draußen beim Aufenthalt in einem Biergarten schaue sie nach der Windrichtung. „Setzen sich vier Damen, die großzügig parfümiert sind, an den Nebentisch, und der Wind steht ungünstig, muss ich sofort den Platz wechseln.“
Schnellwaffe Gästehandtuch
Als „Schnellwaffe“ für solch einen Notfall hat sie in ihrer Jackentasche stets ein gefaltetes Gästehandtuch parat, das sie sich dann vor Nase und Mund hält. „In meinem Rucksack sind zum Schutz außerdem eine Laborbrille und eine FFP3-Maske mit Ventil ständig greifbar.“ Da die Leute ihr Verhalten – zum Beispiel die Laborbrille im dichtbesetzten Wartezimmer einer Arztpraxis aufzusetzen – oft nicht richtig einordnen können, ist sie dabei manch ungläubigen Blicken, Kopfschütteln und verbalen Reaktionen ausgesetzt. „Das fühlt sich für mich teilweise wie Mobbing oder Ausgrenzung an. Wenn Menschen etwas komisch finden, sie etwas nicht verstehen, können sie mich doch fragen. Sie sollten nicht vorschnell urteilen oder sich abwenden“, meint sie nachdenklich.
Um ihre sozialen Kontakte trotz immenser Einschränkungen zu pflegen, bedarf es klarer Absprachen und eines gegenseitigen Verständnisses. „Meine beste Freundin hat bei mir ein duftneutral gewaschenes Outfit deponiert. Das zieht sie an, wenn wir uns treffen.“ Im Salon schneide die Friseurin ihr die Haare in der mit Duftstoffen weniger belasteten Herrenabteilung bei geöffnetem Fenster. Gehe sie in die Schwimmhalle, könne sie sich nach Absprache mit dem Personal in einer abgelegenen Kabine umziehen.
Bis vor einigen Monaten war Annette Schumann in Teilzeit beschäftigt. Dann ging ihre Firma in Insolvenz. Aktuell sucht sie nach einem Arbeitgeber, der Verständnis für ihre Lage hat und ein Einzelbüro oder Homeoffice ermöglichen kann. „Ich hatte vor Kurzem schon ein Bewerbungsgespräch bei einem kirchlichen Träger und warte gerade auf die Rückmeldung. Ich habe ein gutes Gefühl“, erklärt sie.
Duftneutrale Produkte
In ihrem Haushalt achtet Schumann penibel darauf, alles duftneutral zu halten. „Apotheken, Supermärkte und Drogerien bieten mittlerweile ein großes Sortiment an duftstofffreien Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmitteln sowie Weichspüler ohne Duft an, die vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (Daab) getestet und empfohlen sind. Das erkennt man an einem Label auf dem Produkt“, informiert sie.
Die gebürtige Westfalin, die im DAAB und im Sozialverband (SoVD) Mitglied ist, will mit ihrer Geschichte aufklären, Verständnis für Duftsensible wecken und Brücken zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen bauen. „Wie oft wird mir gesagt: Du hast eine Parfümallergie? Sowas gibt es? Davon habe ich ja noch nie gehört.“
Darüber hinaus sucht sie Kontakt zu anderen Erkrankten. „Wir könnten über unsere Erfahrungen sprechen, uns unterstützen und vielleicht sogar eine Selbsthilfegruppe ins Leben rufen“, schlägt sie vor.




