Der Ochsenweg ist eine uralte Handelsstraße durch Schleswig-Holstein. Wo früher riesige Herden getrieben wurden und Soldaten marschierten, bietet es sich heute an, zu wandern und das Land kennenzulernen. Bauernblattautorin Christiane Herrmann hat es getan und berichtet.
Ich möchte mit meinen eigenen Füßen erwandern und mit den eigenen Beinen erspüren, was so ein Ochsentrieb für die Menschen damals bedeutete. In vier Wander- und zwei Radfahretappen will ich aus dem Norden des Landes bis nach Wedel reisen.
Ich starte an der dänischen Grenze. In Wallsbüll habe ich bei lieben Freunden gut geschlafen und wurde morgens um Viertel nach sieben am nördlichen Zugang zum Stiftungsland Schäferhaus abgesetzt. Es ist Ende April und ein bisschen frisch, aber nicht kalt. Bestes, sonniges Wanderwetter empfängt mich – nicht zu vergleichen damit wie die früheren Treiber bei Wind und Schneeregen im Februar die Strecken bewältigen mussten.
Eigene Wege finden
So wie die vielen Füße, die diese Wege schon gegangen sind, habe ich mir einen eigenen Weg gesucht. Die Wander-App macht es möglich. Da, wo viele Jahrhunderte die besten Routen waren, haben die Menschen heute logischerweise ihre Straßen gebaut. Ich aber möchte meinen Weg auch als Wandergenuss begreifen und weiche ab von den historischen Wegen und auch von der meist asphaltierten Fahrradroute, die dem Ochsenweg folgt. Ich suche möglichst naturnahe Strecken, auch wenn das bedeutet, dass ich vielleicht historisch etwas ungenau unterwegs bin.
Mir kommt es vor allem darauf an, dass ich den Weg spüre. Ungefähr 20 km haben die Herden früher an einem Tag zurückgelegt. So viel habe ich mir auch vorgenommen. Ich gönne mir den Luxus, in Hotels zu schlafen, vorzugsweise in historischen Gasthöfen, die schon zur Zeit der großen Ochsentriebe hier standen. So soll meine erste Etappe von der dänischen Grenze bis zum „Historischen Krug“ in Oeversee führen. Schon nach wenigen Metern treffe ich auf ein erstes Zeichen. Die gekreuzten hölzernen Hörner der Künstler Thomas Jaspert und Michael Harder markieren den Ochsenweg und stehen gleichzeitig als Symbol für die Berührungspunkte von Vergangenheit und Zukunft.
Die Spuren der Hufe
Auf meiner Wanderung durch das Stiftungsland werde ich von Koniks, den Wildpferden, die hier leben, neugierig beäugt. Die Galloways, die hier die Landschaft pflegen, machen sich heute rar. Sie sind zwar keine Ochsen, sondern vorwiegend Muttertiere mit ihren Kälbern, aber ihre Spuren finde ich überall. Anhand ihrer Pfade durch die halb offene Wiesenlandschaft bekomme ich immerhin einen Eindruck davon, was für Spuren solche schweren Tiere in der Vegetation hinterlassen können. Über mir zwitschern die Lerchen im morgendlichen Blau, als wollten sie mich mit ihren Liedern begrüßen.
Mein Weg führt mich in Richtung Süden und unter der Autobahn A 7 hindurch. Hier treffe ich das erste Mal auf einen Hinweis zu dem Pilgerweg, der dem Ochsenweg in vielen Teilen folgt. Ich bleibe jedoch bei meinen Wegen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man am meisten sieht, wenn man sich die Pfade selber sucht.
Hinter der Autobahn geht es noch ein Stück durch den südlichen Teil des Stiftungslandes Schäferhaus. Dann treffe ich am Rande Flensburgs im Ortsteil Weiche zum ersten Mal auf eine Straße mit dem Namen Ochsenweg. Dieser folge ich, um auf dem kürzesten Weg das Stadtgebiet wieder zu verlassen. Zum Glück gibt es hier einen Radweg, den ich kurzerhand zum Wandern nutze. Als ich allerdings die B 200 überquert habe, verlasse ich diesen „Ochsenweg“ wieder in Richtung Süden und folge Wirtschaftswegen mit kaum Verkehr. Lediglich die Treckerfahrer dürften sich gefragt haben, ob ich mich verlaufen habe.
Mir gefällt die Route durch die frisch gepflügten Felder und Knicklandschaft südlich von Jarplund. Wie oft bin ich schon auf der A 7 oder der Bundesstraße durch diese Landschaft gerast und habe mir gewünscht, ich hätte es nicht mal wieder eilig. Zeit habe ich jetzt, um mich an den blühenden Knicks zu erfreuen, die Felder und Bäche und die alten Bauernhäuser in den kleinen Dörfern abseits der Hauptstraßen zu betrachten.
Im alten Krug der Treiber
Ich suche mir den schönsten Weg nach Bilschau, denn ich möchte den Bilschau Krug sehen, der schon seit dem 16. Jahrhundert Reisenden, Händlern und Ochsentreibern als Unterkunft diente. Das alte Gebäude in dem kleinen Dorf wird noch heute als Gastwirtschaft betrieben. Von Bilschau aus folge ich einige hundert Meter der Bundesstraße 76. Sie wurde dort gebaut, wo einst eine der historischen Haupttrassen des Ochsenweges entlangführte. Ein kleiner Abstecher zum Arnkiel-Park, der nur wenig weiter auf der östlichen Seite der Straße liegt, lohnt sich. Hier kann man in die ganz alte Geschichte unseres Landes eintauchen. Die Großsteingräber, die sogenannten Langbetten, erzählen von der Trichterbecherkultur in der Jungsteinzeit.
Ich biege kurzerhand wieder von der B 76 ab und wandere durch einen zart grünenden Frühlingswald runter zum Sankelmarker See. Dieses eiszeitliche Relikt ist ein landschaftliches Kleinod, das ich auf seiner westlichen Seite zu gut drei Vierteln umrunde. Ein gut gepflegter Wanderweg führt einmal rundherum und Informationstafeln geben Auskunft über die Natur und das Leben an dem wunderschönen See. Ich komme kaum voran, weil mich die Fotografierlust packt. Einmal mehr preise ich die Vorzüge der modernen Technik, die mir mit meinem Handy nicht nur einen Wanderführer mit Richtungsangaben in Echtzeit, sondern auch eine Kamera mit quasi unbegrenzter Aufnahmekapazität zur Verfügung gestellt hat. Und noch etwas habe ich, was meine Vorgänger, die Ochsentreiber, nicht hatten: die Muße, diese Landschaft mit allen Sinnen zu genießen.
Als ich den See verlasse, muss ich nur noch über einen Hügel steigen und befinde mich schon an meinem Zielort Oeversee. Hier nutzten die Ochsentreiber eine gut passierbare Furt durch die Treene. An dieser Stelle war auch einer der Rastplätze, wo die Ochsen und die Menschen sich von den Strapazen des Weges ausruhen durften. Die Ochsen mussten auf der Koppel ausharren, die Treiber bekamen, wenn sie Glück hatten und nicht nachts bei den Tieren wachen mussten, einen Platz im Stroh zugewiesen. Ich aber genehmige mir, den gut gestellten Händlern gleich, ein eigenes Bett im „Historischen Krug“.
Das bisschen Muskelkater!
Hier können sich meine Beine von den Anstrengungen des Tages erstmal erholen. Als ich am Abend meine geschundenen Füße massiere, kommen mir die Treiber von damals wieder in den Sinn. Die hatten keine modernen Wanderschuhe und mussten meist in mit Stroh ausgestopften Holzschuhen viele Stunden am Tag immer weiter und weiter gehen. Wie viel härter war das Leben damals, und wie wenig darf ich mich nun über ein bisschen Muskelkater beschweren! Ich habe eine erholsame Nacht in einem sauberen Bett vor mir und freue mich auf den nächsten Streckenabschnitt, der mich bis vor die Tore Schleswigs führen wird.