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Die Ukraine braucht grüne Korridore

Landwirtschaftsminister Roman Leschtschenko bittet EU um Hilfe für Betriebsmittel und Aussetzen der Lizenzregelung
Von Mechthilde Becker-Weigel
Aussaat; Foto: Landpixel

Der Landwirtschaftsminister der Ukraine, Roman Leschtschenko, hat um Aussetzung des EU-Lizenzsystems für Exporte von Nahrungs­mitteln aus seinem Land gebeten, dies würde die Ausfuhr von Getrei­de und Ölsaaten über den Landweg durch EU-Staaten erleichtern. Die Feldarbeiten in der Ukraine werden von erheblichen Engpässen bei Treibstoff, Dünger und Saatgut behindert. Die größten Agrar­konzerne der Welt verkaufen weiterhin Saatgut in Russland und verarbeiten dort Pflanzen, obwohl sie nach dem Einmarsch in der Ukraine unter Druck stehen, ihre Beziehungen zu beenden.

Vor dem Landwirtschaftsausschuss des EU-Parlaments hat der ukrainische Landwirtschaftsminister Roman Leschtschenko, am Dienstag in einer Onlineübertragung dafür geworben, auf politischem Wege grüne Korridore zu errichten. Denn für den Import oder Export bestimmter Agrarprodukte wie Getreide in die EU oder aus der EU sind Ein- oder Ausfuhrlizenzen notwendig. Leschtschenko bat darum, die Ausfuhr von Getreide und Ölsaaten nach Nordafrika und dem Nahen Osten über den Landweg durch EU-Staaten zu erleichtern. Er wies darauf hin, dass sein Land in Friedenszeiten Nahrungsmittel für weltweit rund 400 Millionen Menschen bereitgestellt habe. Die Belieferung der Abnehmerländer über die Seehäfen sei nicht mehr möglich, Russland werde bald nahezu alle Häfen der Ukraine am Schwarzen Meer zerstört haben. Kurz vor seinem Gespräch mit dem EP-Agrarausschuss hätten die Russen die Hafenstadt Mykolajiw angegriffen und gezielt Getreidesilos zerstört, so der Minister. Er unterstelle Russland gezielte Aktionen zur Destabilisierung des Weltgetreidemarktes. Leschtschenko hat die EU um Unterstützung in Form von Treibstoff und Saatgut und vor allem Pflanzenschutzmitteln gebeten. Problematisch sei, dass die Lieferanten 100 % Vorkasse verlangten.

Weniger Sommerungen

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird absehbar drastische Folgen für die diesjährige Aussaat nach sich ziehen. Der ukrainische Landwirtschaftsminister erklärte, dass die Aussaatfläche der Sommersaaten zur Ernte 2022 voraussichtlich bei nur rund 7 Mio. ha liegen werde, nach 15 Mio. ha in den Vorjahren. Die Maisanbaufläche dürfte nach 5,4 Mio. ha im Vorjahr jetzt bei 3,3 Mio. ha liegen. Die monatlichen Getreideausfuhren lagen bislang im Schnitt bei etwa 4 Mio. t, während unter den Kriegsbedingungen vielleicht noch 600.000 t pro Monat außer Landes gelangen. Demnach dürfte sich im Herbst noch ein alterntiger Bestand von bis zu 32 Mio. t Getreide in den ukrainischen Lagern befinden. Deshalb ist zu befürchten, dass die Landwirte selbst bei einer wesentlich kleineren Ernte 2022 mit fehlenden Lagerkapazitäten und womöglich hohen Ernteverlusten zu kämpfen haben. Immerhin dürfte die mittelfristige Lebensmittelversorgung des Landes auch dank der Bestände einigermaßen gesichert sein. Dem Landwirtschaftsminister zufolge verfügt die Ukraine gemessen am Eigenbedarf über Vorräte an Weizen für zwei Jahre, an Pflanzenöl für fünf Jahre und an Mais für 1,5 Jahre.

Keulung wegen Futternot

In den von Russland besetzten Gebieten ist die Tierhaltung kaum aufrechtzuerhalten. Vor allem im Osten der Ukraine mussten viele Bestände getötet werden. Für den Wiederaufbau sei die Ukraine deshalb auf Zuchtmaterial aus der EU angewiesen, so Leschtschenko. Geflügelunternehmen beklagten große Verluste durch direkte Angriffe auf Stallanlagen und Lagerhäuser, meldet „Poultry World”. Der größte Eierproduzent der Ukraine, Avangard, musste mehrere große Legehennenfarmen schließen, andere wurden zerstört. Die Betriebe seien komplett von der Stromversorgung abgeschnitten, sodass die Produktion eingestellt werden musste. Die Tiere mussten notgeschlachtet werden, weil die Fütterung nicht mehr möglich war.

Saatgut für Russland

Die größten Agrarkonzerne verkaufen weiterhin Saatgut in Russland und verarbeiten dort Pflanzen, obwohl sie nach dem Einmarsch in der Ukraine unter Druck stehen, ihre Beziehungen zu beenden. Unternehmen wie Cargill, Bayer und Archer Daniels Midland (ADM) begründen ihre weitere Tätigkeit in Russland mit humanitären Erwägungen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln für die russische Bevölkerung und andere Länder.

Auch andere Unternehmen haben erklärt, dass sie ihre Tätigkeit in Russland fortsetzen, aber bestimmte Aktivitäten und neue Entwicklungen einschränken wollten. Dazu gehören die Rohstoffhändler Bunge und Viterra, die Getreide­sparte des Rohstoffriesen Glencore. Bayer erklärte, im nächsten Jahr Saatgut für Russland zurückzuhalten, wenn der Krieg anhalte. Der Agrarkonzern werde die politische Situation beobachten und zu einem späteren Zeitpunkt über Lieferungen für 2023 und darüber hinaus entscheiden. Bayer bestätigte die Forderungen nach einer Aussetzung der Verkäufe und Dienstleistungen in Russland, erklärte aber, dass die Zurückhaltung von Agrarprodukten die Zahl der Opfer des Krieges noch erhöhen würde.    age/mbw/bb

Aus dem Hafen von Berdjansk in der Nähe von Mariupol sind nach ukrainischen Militärberichten fünf mit mehreren 10.000 t Getreide beladene Schiffe verschwunden. Sie seien von russischen Schleppern aus dem Hafen bugsiert worden in unbekannter Richtung, berichtete am Montag die Zeitung  Ukrajinska Prawda. Die Berichte ließen sich nicht von unabhängiger Seite prüfen. Das Foto zeigt Getreidesilos im Hafen von Odessa vor dem Krieg.  Foto: Imago
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