Leser der älteren Jahrgänge mögen Sven Jenssen noch aus der ZDF-Hitparade kennen. Dort stellte er 1971 als erster Interpret die deutsche Version der „Schicksalsmelodie“ aus dem Kinofilm „Love Story“ vor und errang sofort den dritten Platz. Weniger bekannt ist, dass er mit „Dans op de Deel“ auch einen plattdeutschen Party-Klassiker landete. Heute genießt der 87-Jährige seinen Ruhestand. Das Bauernblatt lud er zu einer musikalischen Zeitreise ein.
Früher haben sie ihn den großen Blonden aus dem Norden genannt. Heute ist er zwar nicht mehr blond, dafür aber ein putzmunterer Silberschopf. Auf einem weitläufigen Hof mit herrlichem Blick über die Kieler Förde, lebt er mit seiner Frau Linda sowie drei Hühnern und drei Schafen, die bei ihm ihr Gnadenbrot bekommen. Schon von draußen ist Musik zu hören. Die Liebe zu ihr begleitet den Sänger, Komponisten und Entertainer noch immer. „Das fing ganz früh als kleiner Junge an. Meine Omi brachte mir das schöne, niederdeutsche Liedgut und Platt bei“, verrät der agile Senior bei einer Tasse Kaffee am Kamin.
Ein Leben lang ist er, der auch in Amerika mit englischen Songs Karriere machte, der heimeligen Sprache seiner Kindheit treu geblieben. Mit großer Freude hat er unzählige plattdeutsche Lieder komponiert. Stolz ist er darauf, in den 1960er Jahren den Schleswig-Holsteiner-Heimat-Kompositionswettbewerb ins Leben gerufen und ihn mit seinem Freund Gerd Hausotto über zehn Jahre ausgerichtet zu haben. Nach einer langen Pause erlebte die Veranstaltung sogar 2004 ein Revival im Kieler Schloss. „Es war damals mein Anliegen, das brachliegende plattdeutsche Liedgut bei uns Nordlichtern nicht sterben zu lassen. Ich wollte die Pflege der regionalen Musik und somit den Erhalt und die Erneuerung des heimischen Liedgutes fördern“, blickt er zurück.
Erfolg mit Hindernissen
Hier kommt nun ein Lied ins Spiel, das wohl sein populärstes ist und inzwischen fast zum Volksgut gehört: Dans op de Deel. Der eingängige Refrain: „Ja dann is Dans op de Deel, Dans op de Deel, dans mit mi noch mol dweer so övern Saal…“
Sven Jenssen schrieb es Ende der 1970er Jahre. Der Hamburger Musiker und „Teufelsgeiger“ Lonzo Westphal steuerte das Arrangement bei. Doch zunächst biss keine Plattenfirma an. Für derlei Musik gäbe es keinen Absatzmarkt, hieß es knapp. Sven Jenssen glaubte an den Erfolg und offerierte das Lied daraufhin mit 17 anderen Liedern aus seiner Feder dem Travemünder Passat Chor. Dieser widmet sich dem Erhalt seines Patenschiffs, der Viermastbark Passat. Die Mitglieder singen also hauptsächlich traditionelle Seemannslieder und Shantys. Deshalb war man auch hier nicht auf Anhieb vom Gute-Laune-Lied überzeugt. „Es war ja kein typisches, maritimes Lied wie aus dem sonstigen Repertoire“, erklärt Jenssen die anfängliche Zurückhaltung. Aber da der Passat Chor zu dieser Zeit eine neue Langspielplatte plante, kamen seine stimmungsvollen Kompositionen gerade recht. Schließlich sang man gemeinsam „Dans op de Deel“ ein. „Später wurde das sogar der Titel der LP“, erzählt er und zeigt das in Rot- und Gelbtönen gehaltene Plattencover aus dem Jahr 1979.
Das Wunderbare geschah. Das schwungvolle, mitreißende Lied kam prima beim Publikum an, sprengte regionale Grenzen, wurde in 16 Sprachen übersetzt und in unterschiedlichen Versionen gesungen und gespielt. Eine Reggae-Aufnahme mit der Gruppe Chi Kale aus Ghana soll auf Platz eins der dortigen Charts gewesen sein.
Sven Jenssen brachte sein Lied ebenfalls oft zur Aufführung. So trat er damit 1991 im Musikantenstadl von Karl Moik auf, als dieser mit der bekannten TV-Sendung in der früheren Kieler Ostseehalle zu Gast war. Im Jahr 2008 fand es, gespielt von der Filmband Tiffanys, Eingang in den Original-Soundtrack zum Kino-Kassenschlager „Fleisch ist mein Gemüse“. Auch heute fehlt der Hit auf kaum einer Feier im Norden, wenn ordentlich Stimmung angesagt ist.
Schicksalsmelodie
Im Rückblick auf die weit mehr als 200 Titel seiner Karriere, gibt der Künstler jedoch tief in seinem Herzen einem anderen Lied den Vorzug: der Schicksalsmelodie von Komponist Francis Lai. Sie erklang erstmals 1970 im Kultfilm „Love Story“. Ryan O‘ Neal und Ali MacGraw spielten in diesem Liebesdrama die Hauptrollen. Für die Musik zum Film gab es einen Oscar.
„Mir gefiel die Schicksalsmelodie so gut, dass ich sie für den deutschen Markt singen wollte. Der Song lag den Musikverlagen zwar schon als Angebot in Englisch vor, aber niemand traute sich an die deutsche Version. Romantische Schnulzen waren damals gerade nicht angesagt, sondern Rock ’n Roll“, schmunzelt Jenssen. Also schnappte er sich kurzerhand befreundete Musiker und produzierte die Aufnahme in Eigenregie. Für die Finanzierung verkaufte er sogar sein Auto. Der Text stammte vom renommierten Schlagerproduzenten Kurt Feltz, der ihn 1963 als Schlagersänger entdeckt hatte. Nach längerer Suche fand sich auch ein Vertrieb für die Single.
Jenssen trat mit ihr erstmals am 15. Mai 1971 in der ZDF-Hitparade von Dieter Thomas Heck auf und wurde von den Zuschauern auf Platz drei gewählt. „Im selben Jahr erhielt ich aus den Händen von Francis Lai einen speziellen Love Story-Preis für die beste europäische Interpretation des Songs“, berichtet er. Ein Highlight war für ihn außerdem das Treffen mit Erich Segal, der die literarische Vorlage zum Filmklassiker lieferte. Jenssen hat ein Schwarzweißfoto bereitgelegt, das ihn und den Drehbuchautor beim Small Talk in Köln zeigt. „Segal flog extra von New York nach Europa/Deutschland, um mich, den Menschen hinter der Stimme, persönlich kennenzulernen“, bemerkt er.
Bewegtes Künstlerleben
Stundenlang könnte man dem Urgestein der Unterhaltung noch zuhören. Wie er, der eigentlich Kfz-Mechaniker, medizinischer Fußpfleger, Masseur und Heilpraktiker war, ins kunterbunte Showbiz kam, wie er ab 1969 in den USA acht Jahre mit einem Dinner-Show-Programm gastierte, wie er Frank Sinatra, Elvis Presley, Dean Martin, Siegfried und Roy oder Michael Jackson hautnah erlebte, wie er mit Sänger Peter Alexander im Duett „Eine Lederhose braucht keine Bügelfalten“ sang – aber für all das, würde der Tag nicht reichen.
Nur so viel: Bis 2005 war Sven Jenssen regelmäßig auf der Bühne präsent. Nach seiner Zeit als Schlagersänger, verlegte er sich mehr auf‘ s Maritime und Heimatliche. Einen letzten Auftritt hatte er anlässlich des 90. Geburtstags der NDR-Sendung „Hamburger Hafenkonzert“, die er als ständiger Solist über viele Jahre mit seinen Auftritten bereicherte. „Bei einer Gala in der Komödie Winterhuder Fährhaus am 3. Juni 2019 trat ich ermutigt durch die Gruppe Godewind noch einmal auf. Es gab Standing Ovations“, freut er sich und strahlt über beide Ohren.
Silke Bromm-Krieger
Fotos (3): Silke Bromm-Krieger