Zu den ökonomisch wichtigsten Getreideviren gehören das Gelbverzwergungsvirus der Gerste (Barley Yellow Dwarf Virus – BYDV) und das Weizenverzwergungsvirus (Wheat Dwarf Virus – WDV). Zu den Wirtspflanzen beider Getreideviren gehören eine Vielzahl an landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und auch Wildgräser aus der Familie der Poaceae (Süßgräser). Zur Ausbreitung und Übertragung sind diese Viren überwiegend auf tierische Vektoren angewiesen. Der Artikel beschreibt, worauf zu achten ist, um das Infektionsrisiko zu minimieren.
Bei der Übertragung von Gelbverzwergungsviren nehmen die Getreideblattläuse wie die Große Getreideblattlaus sowie Hafer- oder Traubenkirschlaus eine herausragende Stellung ein. Überträger des Weizenverzwergungsvirus ist die Zwergzikadenart Psammatettix alienus.
Durch die Vielzahl der potenziellen Wirtspflanzen sind die Viren ständig in der unmittelbaren Nachbarschaft unserer landwirtschaftlichen Kulturpflanzen gegenwärtig. Das Auftreten der Vektoren ist aber vornehmlich von nicht vorhersehbar wechselnden Umweltverhältnissen abhängig. Daher sind auch die Ausbreitung im Herbst beziehungsweise das Risiko möglicher ertragsrelevanter Übertragung von Getreideviren nur schwer kalkulierbar.
Insbesondere bei Herbstinfektionen am jungen Wintergetreide kommt es zu dramatischen und irreparablen Krankheitsverläufen, welche zwangsläufig auch zu starken Ertrags- und Qualitätseinbußen an infizierten Pflanzen führen. Eine direkte Bekämpfung des Virus ist nicht möglich, daher steht die Verhinderung der Virusübertragung absolut im Vordergrund. Auch wenn genauere Prognosen über die jährliche Gefährdung der Getreidekulturen nicht möglich sind, sollte keinesfalls ein voreiliger und prophylaktischer Insektizideinsatz aus Angst vor möglichen Herbstinfektionen erfolgen. Durch Berücksichtigung vorbeugender Maßnahmen, möglicher Risikofaktoren und die Durchführung regelmäßiger Bestandeskontrollen können mögliche Risiken wirtschaftlicher Schädigungen durch Getreideviren größtenteils ausgeschlossen werden.
Was sind wichtige Virusquellen?
Ausfallgetreide, Zwischenfrüchte – vor allem Rauhafer, Mais und andere Gräser, auch Wildgräser – dienen Getreideblattläusen als „grüne Brücke“ in den Sommermonaten. Die Wirte dienen allerdings auch als wichtige Virusreservoirs. Getreidebestände in unmittelbarer Nachbarschaft von möglichen Virusquellen haben daher ein deutlich höheres Gefährdungspotenzial. Sind Ausfallgetreide und Co. mit Viren belastet und wechseln die geflügelten Blattläuse im Spätsommer beziehungsweise Herbst den Wirt und fliegen in die gerade frisch auflaufenden und für Blattläuse sehr attraktiven Getreidebestände, so kommt es zwangsläufig zur Virusübertragung. Dabei handelt es sich um die sogenannte Primärinfektion, die sich kaum verhindern lässt, da das Virus beim Saugvorgang an jungen Getreidepflanzen schon nach wenigen Stunden übertragen wird. Gleichzeitig beginnt die geflügelte Blattlaus mit der Vermehrung.
Die Herbstwitterung ist entscheidend
Eine lang anhaltende warme Herbstwitterung beziehungsweise Spätsommerwetter mit möglichst vielen Tagen mit Temperaturen über 12 bis 15 °C sind sehr förderlich für die Blattlausvermehrung. Die Nachkommenschaft verbreitet das Virus auf die unmittelbar benachbarten Getreidepflanzen (Sekundärinfektion), und es kommt zu den typischen Virusnestern als Schadsymptom. Jedes Virusnest ist auf eine im Herbst eingeflogene infizierte Blattlaus zurückzuführen. Je wärmer die Herbstwitterung ist und je länger sie dauert, desto intensiver ist die Vermehrung und desto größer sind damit auch die Virusnester. Frühsaaten im September haben daher ein deutlich höheres Gefährdungspotenzial als spätere. Je früher der Bestand aufgelaufen ist, desto wahrscheinlicher ist auch eine frühe Besiedlung durch Blattläuse und die Gefahr einer stärkeren Blattlausvermehrung. Des Weiteren kommt es an Waldrändern, Baumreihen, Knicks und in windgeschützten Bereichen häufig auch zu einer stärkeren Blattlausvermehrung und damit einhergehenden größeren Befallsnestern.
Auch Zikaden sind Virusüberträger
In den vergangenen Jahren waren im Herbst zunehmend auch Zikaden in den bereits aufgelaufenen Getreidebeständen unterwegs. Im Vergleich zu Blattläusen sind Zikaden, vor allem bei höheren Temperaturen, deutlich mobiler. Häufig werden mehrere Getreidepflanzen hintereinander in einer Saatreihe infiziert, indem die Zikade von Pflanze zu Pflanze springt. Durch die hohe Mobilität der Zikaden sind diese auch sehr schreckhaft und insektizide Maßnahmen oft unwirksam.
Vorbeugende Maßnahmen beachten
Aus den Risikofaktoren ergeben sich auch zwangsläufig die wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen. Dazu gehören insbesondere die Vermeidung zu früher Saattermine und die konsequente Beseitigung potenzieller Virusreservoirs, zum Beispiel die Bekämpfung von Ausfallgetreide. In den Landessortenversuchen Wintergerste stehen seit einigen Jahren auch Sorten mit einer Toleranz gegenüber dem Gelbverzwergungsvirus, welche auf die Einkreuzung des Resistenzgens „yd2“ zurückzuführen ist. Als Vertreter resistenter Sorten gegenüber Gelbverzwergungsviren standen im vergangenen Prüfjahr die Sorten ,Sensation‘ und ,KWS Exquis‘. Die Sorte ,Sensation‘ besitzt zusätzlich auch die doppelte Gelbmosaikvirus-Resistenz. Im mehrjährigen Vergleich schneiden beide Sorten ertraglich leicht unterdurchschnittlich ab. In deutschlandweiten Versuchen mit stärkerem Befall mit Gelbverzwergungsviren stechen die Sorten wiederum positiv hervor und sind daher in Problemregionen mit regelmäßigem Auftreten von Viruskalamitäten eine ernst zu nehmende Anbauoption.
Bestandeskontrollen nicht vergessen
Wichtig ist es, die Bestände nach dem Auflaufen, spätestens ab dem Zweiblattstadium, regelmäßig an mehreren Stellen zu kontrollieren. Besonders effektiv ist eine Bestandskontrolle an einem sonnigen Tag. Blattläuse sind dann besonders gut auf den Blättern zu erkennen. Sie schimmern durch die Blattfläche hindurch. Zur Ermittlung des Blattlausbesatzes sind an fünf zufällig ausgewählten Stellen im Schlag jeweils zehn Getreidepflanzen auf das Vorhandensein von Blattläusen zu überprüfen. Es empfiehlt sich, alle Flächen (auch die später aufgelaufenen Saaten) in regelmäßigen Abständen bis zum Vegetationsende zu kontrollieren. Eine Behandlung mit einem zugelassenen Insektizid sollte daher nur erfolgen, wenn ohne große Mühe Blattläuse zu finden sind. Bekämpfungsschwelle: Frühsaaten 10 % mit Blattläusen befallene Pflanzen; Normalsaaten 20 % befallene Pflanzen, um eine mögliche sekundäre Ausbreitung der Getreideviren im Bestand zu verhindern.
Welche Insektizide gibt es?
Kommt es bei günstiger Herbstwitterung zu einer Überschreitung der Bekämpfungsschwelle, so stehen für die Vektorenbekämpfung im Herbst weiterhin Insektizide aus der Wirkstoffgruppe der Pyrethroide zur Verfügung. Die Dauerwirkung der Pyrethroide ist, in Abhängigkeit von der Witterung, auf sechs bis zehn Tage begrenzt. Bei günstigen Zuflugbedingungen für Blattläuse sollte die Behandlung daher keinesfalls zu früh erfolgen.
Des Weiteren hat das Präparat Teppeki mit dem Wirkstoff Flonicamid (1 m länderspezifscher Gewässerabstand) eine Zulassungserweiterung in der Wintergerste zur Blattlausbekämpfung als Virusvektor (ES 11 bis 25) mit 140 g/ha erhalten. Die Wirkungsdauer von Teppeki ist länger als bei den Pyrethroiden. So können auch bei länger anhaltendem Flug der Blattläuse ausreichende Wirkungsgrade erreicht werden. Bei einer Behandlung sollten die Pflanzen möglichst zwei bis drei Blätter haben.
Bei der Insektizidauswahl sollte auf die entsprechende Indikationszulassung (Blattläuse als Virusvektoren im Herbst) sowie die Anwendungshäufigkeit und die unterschiedlichen Bienenschutzauflagen geachtet werden. Eine Übersicht der im Herbst im Wintergetreide zugelassenen Insektizide, einschließlich der Auflagen und sonstigen Anwendungsbestimmungen, ist auf der Homepage der Landwirtschaftskammer unter www.lksh.de/Ackerbaukulturen/jeweilige Getreidekultur verfügbar.
Insektizide Beize bei Drahtwürmern
Als einzige insektizide Beize kann seit vergangenem Jahr Signal 300 ES mit dem Wirkstoff Cypermethrin in Winterweizen und Wintergerste zum Einsatz kommen. Die Beize ist gegen Schnellkäfer wie den Drahtwurm und zur Befallsminderung gegen die Getreidebrachfliege zugelassen. Ein Einsatz im Roggen gegen Schnellkäfer (Drahtwurm), Getreidebrachfliege, Fritfliege und Getreidelaufkäfer ist durch die Notfallzulassung nach Artikel 53 der Verordnung (EG) Nummer 1107/2009 ebenfalls möglich (Zeitraum: 15. Juli 2022 bis 12. November 2022). Eine systemische Wirkung besteht nicht – eine Wirkung auf Getreideblattläuse und Zikaden ist damit nicht vorhanden. Gegen Drahtwurm und Getreidelaufkäfer hat die Beize aber eine Daseinsberechtigung und kann mögliche Schäden am jungen Getreide dezimieren. Nach bisherigen Versuchserfahrungen kann das Wirkpotenzial auf Getreidebrachfliege und Fritfliege nicht sicher abgeschätzt werden.
Fazit
Getreideviren können in der Pflanze verheerende Schäden anrichten. Einmal übertragen, kommt es dort zur Massenvermehrung. Verstopfte Leitungsbahnen und eine damit einhergehende Unterversorgung der Pflanze sind die Folge. Eine direkte Bekämpfung des Virus ist nicht möglich, daher steht die Verhinderung der Virusübertragung absolut im Vordergrund. Durch Berücksichtigung vorbeugender Maßnahmen wie der Beseitigung wichtiger Virusquellen, des Anbaus toleranter Sorten und der Vermeidung zu früher Saattermine sowie eine Durchführung regelmäßiger Bestandeskontrollen können mögliche Risiken für wirtschaftlichen Ertragsverlust durch Getreideviren größtenteils ausgeschlossen werden.