„In den Urlaub brauche ich jetzt nicht mehr, denn meine Lebensreise habe ich schon längst gemacht“, sagt Fritz Kunkelmoor und lächelt zufrieden. Der 77-Jährige aus Wacken im Kreis Steinburg erfüllte sich im fortgeschrittenen Lebensalter einen lang gehegten Herzenswunsch. Vor einiger Zeit wanderte er in 82 Tagen von Flensburg nach Innsbruck. Noch heute schwingt sein „ganz persönlicher Jakobsweg“ in ihm nach.
Fritz Kunkelmoor holt eine Kiste hervor, in der er alle Schätze seiner Fußwanderung verwahrt: Reisetagebücher, Land- und Postkarten, Prospekte sowie einen 10-€-Schein, den ihm ein Freund als Notgroschen mitgab. Ein selbst geschnitztes Kreuz, damals als Reisetalisman von einer Freundin und ihrem Sohn überreicht, hängt an der Wand. Erinnerungen! Er nimmt eines der Reisetagebücher zur Hand und schlägt es auf. Sofort ist er gedanklich wieder mittendrin in seiner abenteuerlichen Reise, die ihn quer durch Deutschland bis nach Tirol/Österreich führte und auch in seinem Innersten etwas in Gang setzte. Aber von vorn.
Als Bauernsohn verbringt Fritz Kunkelmoor seine Kindheit und Jugend mit drei jüngeren Geschwistern auf einem kleinen Geestbauernhof in Bokhorst bei Schenefeld. „Meine Eltern betrieben Ackerbau, hatten Kühe, Hühner und zwei Holsteiner Pferde. Sie arbeiteten hart und klagten nie, obwohl es finanziell oft eng war“, blickt er zurück. Damals habe er durch Vater und Mutter eines gelernt: in jeder noch so herausfordernden Situation das Gute zu sehen und die Zuversicht zu behalten. Eine Haltung, die ihm auf seiner späteren Wanderung noch oft zugutekommen wird. Im Alter von 19 Jahren heiratet er, bekommt mit seiner Frau einen Sohn und eine Tochter und verdient als Postbeamter den Lebensunterhalt für die Familie. Doch er fühlt sich in seinem Beruf unterfordert und entdeckt die Kunst als Ausgleich und Ausdrucksform für sich. Autodidaktisch beginnt er ab 1971 mit Holzschnitzereien. 1998 beendet er „nach einem Lebensbruch“ seine Beamtenlaufbahn und widmet sich fortan völlig dem künstlerischen Schaffen, bevorzugt Skulpturen in Stein. Ebenso ist er literarisch und als Trauerredner tätig. Nach zwei Ehen lebt er heute allein.
Startpunkt in Harrislee
Wie es zu seiner Wanderung kam? „Im Kopf plante ich sie schon fast zehn Jahre. Mich zog es zu den Orten, die ich vor Jahrzehnten während glücklicher Familienurlaube kennengelernt hatte. Irgendwann meinte mein Sohn, ich solle mal langsam losgehen, bevor ich es gesundheitlich nicht mehr schaffe.“
Foto: Privat
Da er sportlich ungeübt ist, beginnt er 65 Tage vor der Tour mit einem sich steigernden Gehtraining. Nach vier Wochen füllt er seinen Rucksack mit Wasserflaschen, um seinen Rücken an das Gewicht des Reisegepäcks zu gewöhnen. An einem Sonntag, dem 1. Juni, ist es endlich so weit. „Ausgestattet mit dem Reisesegen der mir vertrauten Pastorin, brachte mich mein Sohn zum Startpunkt in die Gemeinde Harrislee unmittelbar an der dänischen Grenze.“
Die Wanderroute führt ihn zunächst an seine jeweiligen Tagesziele in Schleswig-Holstein. Er steuert Flensburg, Sankelmark, Jübek, Bünge, Erfde, Hamdorf, Spannan, Aukrug-Bargfeld, Bad Bramstedt und Ellerau an. Zum Abend kehrt er in Pensionen oder Jugendherbergen ein. Seine erste Nacht in der Flensburger Jugendherberge nach einer Wegstrecke von 9 km ist ihm genau in Erinnerung geblieben.
„Dort sichtete ich meine Gefühle und Gedanken, die wie auf einer Achterbahn heftig in Bewegung waren. Ich spürte, dass ich an diesem Tag ein für mich großes Vorhaben startete, das vielleicht mein letztes ist.“ Während Kunkelmoor seines Weges zieht, hält er immer wieder Rückblick auf sein kunterbuntes Leben mit Höhen und Tiefen. „Das Gestern meiner Jahre wurde lebendig. Ich stellte für mich fest, dass es im Leben darauf ankommt, den vom Schicksal zugedachten eigenen Weg möglichst frühzeitig zu erkennen, ihn für sich zu akzeptieren, ihn anzunehmen und bewusst zu gehen. Dazu gehörte für mich auch meine Fußwanderung durch unser Deutschland.“
Ballast abwerfen
Am vierten Tag seiner Reise weiß Kunkelmoor: Wer höher fliegen will, muss Ballast abwerfen. Sein gepackter Rucksack ist ihm zu schwer. In einem Jübeker Postshop sortiert er kurzerhand Gegenstände aus und schickt 3,4 kg wieder nach Hause. Mit einer Rückenlast von 10,5 kg setzt er seine Wanderung ohne eine zuvor festgelegte Route fort. Doch sein Körper ist die Dauerbelastung nicht gewohnt und macht sich regelmäßig mit Schmerzen in den Füßen, Gelenken und Herzproblemen bemerkbar. „Im Nichtbeachten physischer Beeinträchtigungen habe ich jahrelange Erfahrung. Ich entschloss mich, trotzdem zuversichtlich weiter voranzuschreiten.“ Nicht überall kann er eine passende Unterkunft für die Nacht finden, muss Umwege gehen und sich als Wanderer mit widrigen, teils lebensgefährlichen Situationen an stark befahrenen Straßen arrangieren. Zusätzlich schlägt das Wetter Kapriolen. Einmal mehr lehrt ihn all das unbedingtes Gottvertrauen.
Sieht er Kirchen am Wegesrand, geht er hinein, erfreut sich an den Kunst- und Kulturschätzen und der meditativen Stimmung. Draußen genießt er die freie Natur, Gottes Schöpfung, die so viel Schönes für ihn bereithält. Seine Gedanken wandern dabei auch in die Kindheit zurück. Schon als kleiner Schuljunge packte er tatkräftig auf dem elterlichen Bauernhof mit an. Manchmal fiel ihm das schwer. Er ist traurig, dass seine Eltern gestorben sind und er die Reiseerlebnisse nicht mit ihnen teilen kann.
Über Hamburg erreicht er auf seiner Tour Dibbersen in Niedersachsen, durchwandert hier 16 Orte, um am 31. Tag im thüringischen Heilbad Heiligenstadt anzukommen. Noch elf Orte wird er in Thüringen anlaufen, Martin Luthers Wartburg in Eisenach besuchen, um am 45. Tag in Bad Königshofen Rast zu machen. 32 weitere Stationen in Bayern folgen. Er durchwandert Rothenburg ob der Tauber, Augsburg und Oberammergau.
Zufällige Begegnungen
Seinen Weg kreuzen die unterschiedlichsten Menschen. Manchmal ergeben sich aus zufälligen Begegnungen tiefgründige Gespräche. Es gibt skurrile Momente und solche, die ihn zum Schmunzeln bringen. So werden ihm von weiblichen Zufallsbekanntschaften romantische „Schäferstündchen“ angeboten, die er jedoch dankend ablehnt. Am 17. August bricht sein 78. Tag in der Gemeinde Oberau an, und er zieht eine Zwischenbilanz. „Die bis dahin vergangenen 77 Tage meines Lebens waren für mich zu einer inneren Pilgertour geworden. In meiner Seele geriet währenddessen etliches in Bewegung. Wie oft war ich gedanklich bei Gott, sodass ich mich nunmehr stets geborgen und unendlich frei, stark und zuversichtlich fühlte.“ Und noch etwas habe er gelernt: „Anfangs fiel es mir schwer, mich allein an Dingen, die ich sah und erlebte, zu erfreuen. Ich wollte sie mit einem Gegenüber teilen. Doch im Laufe meiner Wanderschaft gelang es mir, mich auch allein zu freuen.“
Inneren Frieden gefunden
Über Seefeld erreicht er am 82. Tag Innsbruck, das Endziel seiner Route. Er hat geplant, hier etwas zu verweilen und die Christuskirche wiederzusehen, in der er früher mit seiner jungen Familie war. Aber das Kirchentor ist verschlossen. Er erkennt: „Ich kann in meinem Leben nicht einen vergangenen, glücklichen Moment zurückholen, denn er ist einmalig.“ Am 84. Tag, nach einer Wegstrecke von insgesamt 1.196 km, tritt er mit der Bahn die Rückfahrt an. „Diese Reise zu mir selbst hat mir wichtige Erkenntnisse beschert, die mir noch heute einen tiefen inneren Frieden schenken“, resümiert er. Mehr unter skulpturen-kunkelmoor.blogspot.com
Über seine Wanderung hat Fritz Kunkelmoor ein Buch geschrieben: „Zu Fuß – allein – durch unser Land, Flensburg-Innsbruck, Vom Wandern zum Pilgern“ Anfragen per Mail an fritz.a.kunkelmoor@gmx.de




