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Experten diskutieren über die Landwirtschaft der Zukunft

Jahrestagung des Landwirtschaftlichen Buchführungsverbandes
Von Eike Schäfer, Landwirtschaftlicher Buchführungsverband Kiel
Diskutierten über nachhaltige Landwirtschaft (v. li.): Prof. Frank Sirocko (Geowissenschaftler der Universität Mainz), Hubertus Paetow (Vorsitzender der DLG), Ferenc Kornis (Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft N.U. Agrar), Prof. Harald Grethe (Agrarwissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Christian Henning (Agrarökonom der CAU zu Kiel), Prof. Felix Ekardt (Jurist, Philosoph und Soziologe an den Universitäten Leipzig, Berlin und Rostock), Moderator Gerrit Derkowski sowie Prof. Friedhelm Taube (Agrarwissenschaftler der CAU). Fotos: Thomas Eisenkrätzer

Den Nerv der Zeit getroffen hat der Landwirtschaftliche Buchführungsverband (LBV) mit seiner diesjährigen Jahrestagung: Rund 320 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlebten in den Holstenhallen in Neumünster Vorträge zum Leitthema „Landwirtschaft der Zukunft – nachhaltig, wirtschaftlich, vielfältig!“, mehr als 400 Gäste verfolgten die Tagung per Livestream. Insbesondere die Wiedervernässung von Mooren wurde kontrovers diskutiert.

Für Agrarwissenschaftler Harald Grethe, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist die Sache klar: „Diejenigen, die heute trockene Moore bewirtschaften, werden das schon bald nicht mehr tun.“ Es sei zwar anzuerkennen, dass es eine große Leistung unserer Vorfahren war, aus der natürlichen Landschaft mit sehr viel Wald und Sumpf die heutige Kulturlandschaft zu machen. „Heute aber wissen wir, dass trockene Moorkörper in erheblichem Umfang CO2 freisetzen.“

Die drei Grußwortredner (v. li.): Werner Schwarz, Elisabeth Aßmann und Hans-Caspar Graf zu Rantzau

Moorstandorte machen laut Grethe nur 7 % der Fläche aus, auf sie entfielen aber 40 % der Emissionen aus Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Bodennutzung. Entsprechend groß sei das Potenzial: Bis zu 35 t CO2/ha und Jahr können nach seinen Angaben durch Wiedervernässung vermieden werden. Legt man Klimafolgekosten pro Tonne CO2 von 200 € zugrunde, käme man auf einen Betrag von jährlich 7.000 €/ha. „Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass man das mit trockener Landwirtschaft nicht verdienen kann.“

Klimapolitisch eindeutig positiv, führe die Wiedervernässung für die betroffenen Betriebe zu Existenzproblemen. Man dürfe Wiedervernässung aber nicht mit Renaturierung gleichsetzen. „Blubbernde Standorte, in die man als Mensch gar nicht reinkommt, brauchen wir für den Klimaschutz nicht.“ Deshalb sieht Grethe im Ende der trockenen Landnutzung auch kein Ende der Landwirtschaft. Im Gegenteil: Durch ­Photovoltaik auf wiedervernässten Mooren ergäben sich gute zusätzliche Einkommenschancen. Interessant sei auch der Anbau von Paludikulturen, weil zunehmend Biomasse für die stoffliche Nutzung gebraucht werde. Grethes Rat an die Landwirte: „Fordern Sie politische Gestaltung ein!“ Dies sei der einzige Weg, um verlässliche wirtschaftliche Perspektiven zu entwickeln.

Gerd von Hippel (li.), Geschäftsführer der Landgesellschaft Schleswig-Holstein, am Rande der Tagung im Gespräch mit Erk Westermann-Lammers, Vorstandsvorsitzender der Investitionsbank Schleswig-Holstein
Ferenc Kornis (li.), Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens für Acker- und Pflanzenbau, im Austausch mit dem Geschäftsführer des LBV, Dr. Willi Cordts

Politik verspricht Unterstützung

Schon in seinem Grußwort hatte sich auch Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU) zum heiß diskutierten Thema Moore geäußert. Eine Wiedervernässung könne nur sozialverträglich geschehen. Es sei wichtig, mit den Betroffenen vor Ort nach Lösungen zu suchen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges sagte er: „Ich betone aber: Im Interesse der Ernährungssicherheit brauchen wir weiterhin auf Gunststandorten hohe Erträge.“ Auf die bereits spürbaren Folgen des Klimawandels wies auch Elisabeth Aßmann (SPD), Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, hin. Das Grußwort der Landwirtschaftskammer überbrachte Vizepräsident Hans-Caspar Graf zu Rantzau. Er sagte, dass bei aller hehren Zielsetzung des Klimaschutzes die Wirtschaftlichkeit nicht außer Acht gelassen werden dürfe.

Gerrit Derkowski moderierte die Jahrestagung des LBV.

Als ersten Fachreferenten des Tages begrüßte NDR-Moderator Gerrit Derkowski den Vorsitzenden der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow. Er erinnerte daran, dass im Brundtland-Bericht der UN 1987 eine nachhaltige Entwicklung definiert worden sei als eine, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden. Die 17 Ziele, die sich daraus ableiteten, hätten alle mehr oder weniger direkt mit der Arbeit der Landwirte zu tun. Anhand verschiedener Nachhaltigkeitsindikatoren analysierte Paetow die Lage des Sektors und stellte eine Analysemethode zur Erstellung betrieblicher Nachhaltigkeitsprofile vor.

Schneller Ausstieg aus fossilen Energien

Ein Plädoyer für den schnellen Ausstieg aus fossilen Energien hielt der Jurist, Philosoph und Soziologe Prof. Felix Ekardt. Im Pariser Klimaabkommen hätten sich die Staaten der Welt verpflichtet, die Erderwärmung auf weit unter 2 K, gemessen am vorindustriellen Temperaturniveau, zu begrenzen. Der Weltklimarat habe berechnet, dass die Weltgesellschaft lediglich ein Restbudget von 300 Gt (Giga­tonnen) CO2 ab 2020 zur Verfügung habe, um dieses Ziel zu erreichen. Gehe man rein nach dem Bevölkerungsanteil, dürfe Deutschland davon 3 Gt CO2 beanspruchen. Nur: Diesen Wert haben wir laut Ekardt schon heute bereits zu mehr als der Hälfte verbraucht. Ekardt schlug vor, den Handel mit CO2-Zertifikaten zu intensivieren und auf der Ebene von Schlachthöfen und Meiereien einen zusätzlichen Emissionshandel für tierische Produkte einzuführen. „Mir ist absolut bewusst, dass die aktuelle Situation für uns alle eine massive Herausforderung ist“, sagte er. Aber so wie bisher gehe es nicht weiter.

Rege politische Beteiligung (v. li.): Oliver Kumbartzky (FDP), Heiner Rickers (CDU), Hauke Göttsch (CDU), Heinrich Mougin (Bauernverband SH und Delegierter des LBV)

Um nachhaltige Bodenbewirtschaftung ging es im Vortrag von Ferenc Kornis, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft N.U. Agrar. Dazu sei es wichtig, eine an den Standort angepasste wirtschaftliche Fruchtfolge mit ausgeglichener Humusbilanz zu finden. Zudem gelte es, dem Boden genau das wieder zuzuführen, was ihm durch Nutzung entzogen werde. Kurze Pachtlaufzeiten führten in der Praxis dazu, dass Landwirte oft nicht bereit seien, langfristig in den Boden zu investieren. Würden aber von Jahr zu Jahr nur 80 % des notwendigen Düngers eingebracht, setze eine Abwärtsspirale ein, die zu einem massiven Ertragseinbruch führe. Kornis zeigte, wie auf hohe Erträge zugeschnittene, nachhaltige Fruchtfolgen durch den Einbau von Sommerungen in Bezug auf Bodenfruchtbarkeit, Ungräser und Krankheiten wirtschaftlich optimiert werden könnten.

Die Zukunft der Milcherzeugung

Dass die Produktion von Nahrungsmitteln tierischer Herkunft aus Gründen des Klimaschutzes deutlich zurückgehen müsse, davon ist Agrarwissenschaftler Prof. Friedhelm Taube von der Uni Kiel überzeugt. Klimaschutzgesetz und europäische Farm-to-Fork (F2F)-Strategie seien die Treiber hierfür. Ausführlich ging Taube auf die Situation der Milchviehbetriebe ein. Auf Hochleistung gezüchtete Kühe benötigten eiweißreiches Futter, um ihre Milchleistungen zu realisieren. Daher würden die Tiere in starkem Maße mit Getreide und Raps gefüttert. Grünlandfutter hingegen sei degradiert worden zu einer Strukturkomponente in der Ration, „damit der Pansen überhaupt noch funktioniert“. Im Hinblick auf die Konkurrenz der Landnutzung für die Humanernährung und die Klima- und Umweltkosten sei das langfristig nicht sinnvoll.

„Ich bin überzeugt, es gibt das Potenzial, es anders zu machen“, sagte Taube. Unter anderem schlug er ein vermarktbares Label für Grünlandmilch vor. Wo immer möglich, sollten Milchviehbetriebe außerdem mit Marktfruchtbetrieben kooperieren, indem sie ihre Flächen unter Verwendung vielfältiger Kulturarten gemeinsam nutzten. Mithilfe von Kleegras beispielsweise könne der Dünger- und Pflanzenschutzaufwand erheblich reduziert werden. Der deutschen Politik stellte er ein vernichtendes Urteil aus: Bisher habe Deutschland keine EU-Umweltrichtlinie überzeugend umgesetzt.

Neben einem facettenreichen Blick auf die Landwirtschaft der Zukunft bot die Jahrestagung beste Gelegenheit, mit Fachleuten und Berufskollegen in ungezwungener Atmosphäre ins Gespräch zu kommen.

F2F-Strategie auf dem Prüfstand

Der Green Deal stand auch im Mittelpunkt des Referats von Prof. Christian Henning von der Uni Kiel. Im Auftrag des Grain Clubs hatte Henning gemeinsam mit anderen Forschern eine Simulation durchgeführt. Ihr Ziel: herauszufinden, was passiert, wenn die fünf Maßnahmen der F2F-Strategie, also 50 % weniger chemische Pflanzenschutzmittel, 50 % weniger Nährstoffverluste, 20 % weniger Düngemittel, 10 % Flächen mit großer biologischer Vielfalt und 25 % ökologischer Landbau, gleichzeitig in der EU implementiert würden. Ein Ergebnis seien massive Produktionseinschränkungen. „Das ist auch logisch: Wir wollen mehr Ökosystemleistungen und müssen damit die klassischen Produkte beschränken.“ Aufgrund der gedrosselten Produktion stiegen in der Simulation die Ab-Hof-Preise dramatisch an. Diese Preissteigerungen wiederum induzierten Anpassungen in den Netto-Exportströmen und dadurch auch einen Anstieg der internationalen Preise.

Insgesamt, so resümierte Henning, erhöhe die F2F-Strategie zwar durchaus die Ökosystemleistungen, „aber sie schöpft das Potenzial des Green Deal bei Weitem nicht aus“. Ein Grund sei, dass die Zielwerte von der Politik willkürlich gewählt worden seien. Mithilfe eines Metamodells versuchten Henning und Kollegen daher, alternativ eine Zielfunktion zu maximieren, die auch die Zahlungsbereitschaft der Gesellschaft berücksichtigt. Die gefundene Strategie sei deutlich besser und komme mit nur drei Maßnahmen aus: Reduktion der Pflanzenschutzmittel um mehr als 70 %, Verbesserung der N-Bilanz um 75 % und ein Preis von 280 €/t CO2-Einsparung.

Einer der zahlreichen Stände: Interessierte informieren sich, wie analoge Prozesse in digitale Anwendungen überführt werden.

Energieversorgung mit Sonnenenergie

Als letzter Fachreferent kam Prof. Frank Sirocko von der Uni Mainz zu Wort. Der Geowissenschaftler erklärte die Zusammenhänge zwischen Golfstrom, Jetstream und dem arktischen Meereis sowie den Einfluss auf Temperatur und Niederschlag in Europa und zeichnete anhand eines Bohrkerns die Agrargeschichte Schleswig-Holsteins nach. Weil alle globalen Lagerstätten fossiler Energieträger im Verlauf des 21. Jahrhunderts erschöpft sein würden beziehungsweise deren Abbau sich drastisch verteuere, liege die Zukunft der Energieversorgung eindeutig in der Nutzung der Sonnenenergie unter Verwendung von Wasserstoff als Speichermedium. Damit schloss sich bei der Tagung der Kreis – denn auch Sirocko bezeichnete die Perspektive, mit Photovoltaik in Moore zu gehen, als hochinteressant.

In der abschließenden Podiumsdiskussion stellte Moderator Gerrit Derkowski den Referenten auch zahlreiche Fragen, die die Gäste der Jahrestagung im Laufe des Tages eingereicht hatten. Videos hiervon und von allen Vorträgen sind zu finden unter www.lbv-net.de

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