Die Landesregierung strebt die Gründung eines Nationalparks Ostsee an, derzeit läuft dazu ein Konsultationsprozess mit betroffenen Verbänden und Kommunen. Den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer an der Westküste gibt es bereits seit 1985. Was sind die Erfahrungen dort?
Wie an der Ostküste ist die Landwirtschaft auch an der Westküste durch einen Nationalpark eher indirekt betroffen, etwa durch die Gänsefraßproblematik. Landwirte, die dort Ackerbau betreiben, bestätigen dies. „Es gibt das Thema der Nährstoffeinleitung, aber die geschieht ebenso wie an der Ostsee kaum durch Anrainer, sondern über die Flüsse aus dem Hinterland“, sagt Thomas Hansen, Vorsitzender des Kreisbauernverbands (KBV) Nordfriesland.
Schafhalter:„Die Deiche leiden“
Wer direkt am Deich zu tun hat, sieht dies drastischer. Udo Engel ist Schafhalter in der Gemeinde Neufeld bei Marne in Süderdithmarschen. „Wenn ich es kurz sagen soll: Finger weg vom Nationalpark, der bringt nur Unglück!“, beschwört er. Auch er erwähnt die Gänseschäden und das Bejagungsverbot, aber auch die Deiche selbst litten unter den Bestimmungen. Die Priele verschlickten und versandeten durch Bewuchs immer mehr, dadurch wässerten sie den Deichfuß auf, der falle nicht mehr trocken. Klei zur Verstärkung dürfe nicht mehr aus dem Nationalparkgebiet entnommen werden und müsse 25 km weit angefahren werden. Aber auch der Naturschutz werde durch die Bestimmungen konterkariert, so Engel: „Durch das Jagdverbot auf Prädatoren werden die Lachseeschwalben von Füchsen und Marderhunden gefressen.“
„An der Westküste haben wir jahrelang gekämpft, um irrsinnigen Regelungen entgegenzuwirken“, sagt Thomas Weinhardt vom Verband Deutscher Wassersportschulen (VDWS). Es seien dann lokale Kompromisse geschlossen worden, etwa über den Zugang von Seekanufahrern oder Passagen für Segler. Natürlich seien die Verhältnisse im Wattenmeer anders als an der Ostsee, „aber die Regelungswut könnte die gleiche sein. Unsere Befürchtungen bezüglich massiver Einschränkungen konnten nicht ausgeräumt werden“.
Naturschützer:„Die Wildnis ist tot“
„Umweltschutz, wer kann nicht dafür sein?“, sagt Andreas Peter Ehlers. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands, des Dachverbands der Natur- und Umweltschutzverbände in Schleswig-Holstein. Doch auch er fragt sich, warum der Meeresschutz über das Format eines Nationalparks laufen muss. „Dadurch wird man später jeder Handlungs- und Veränderungsmöglichkeit beraubt. Verbände oder Kommunen haben keinen Einfluss mehr, selbst der Landesregierung sind dann weitgehend die Hände gebunden.“
Solche Erfahrungen habe er beim Nationalpark Wattenmeer gemacht. Als Beispiel nennt Ehlers die starke Reglementierung der Bewirtschaftung des Vorlandes. „Da ist eine Wildnis entstanden, da ist nichts mehr. Wildvögel finden dort keine Nahrung und sehen Prädatoren nicht herannahen. Die Gänse weichen aus in die beweideten Flächen der Köge und verursachen dort die bekannten Probleme.“
Andreas Peter Ehlers ist zugleich Präsident des Landesjagdverbands Schleswig-Holstein. Das Jagdwesen wäre von einem Nationalpark Ostsee nicht sehr betroffen, denn „auf See jagen wir nicht“. Gleichwohl: Es gibt das Jagdrevier Grönwohld an der Eckernförder Bucht, das als eine der wenigen Landflächen in die Gebietskulisse fällt. Dort betreibe der Jagdverband erfolgreich praktischen Umweltschutz im Einklang mit der Bewirtschaftung. „Wenn das Nationalpark wird, dann ist das tot!“
Ehlers plädiert für eine behutsame Ausweitung der bestehenden Schutzkonzepte im Kontakt mit den Betroffenen. „Nicht große Konzepte ausrufen, sondern jetzt handeln und schrittweise vorgehen. Beim Nationalpark Wattenmeer hat keiner damit gerechnet, was das für Auswirkungen hat!“
BUND:„Einschränkungen minimal“
Rainer Borcherding vom Bund für Umwelt und Naturschutz Schleswig-Holstein (BUND) ist seit Langem als Meeresschutzexperte im Nationalpark Wattenmeer engagiert und nimmt auch am Konsultationsprozess zum Nationalpark Ostsee teil. Was ein Verbot der Beweidung des Deichvorlandes an der Westküste betrifft, schränkt er ein, dass dies nur für die Hälfte der Salzwiesen gelte. Wo sie erlaubt sei, könne man zwar weidende Gänse antreffen, aber auch bei Freigabe aller Flächen würden diese nicht in Massen dorthin zurückkehren. „Viele würden in jedem Fall im Hinterland weiden, ihr Nahrungsbedarf könnte durch die Salzwiesen nicht gedeckt werden, zumal diese viel geringeren Nährwert haben.“
Die Gänsepopulationen hätten europaweit stark zugenommen, Grund sei der allgemeine Nährstoffüberschuss. „Die Nonnengänse sind aus den Salzwiesen herausgewuchert, das ist ein irreversibler Prozess.“ Gar keine Schafe seien für ihn aber auch nicht das Mittel der Wahl. „Eine komplett unbeweidete Fläche wird oft monoton. Bei zwei bis vier Schafen pro Hektar hat man eine schöne Salzwiese, bei elf pro Hektar wie früher hat man einen Golfrasen. Da ist dann kein Artenreichtum mehr.“
An der Ostsee befänden sich bei Weitem nicht so große Rast- und Brutvogelpopulationen. Dort sei auch landseitige Beweidung kein Problem. „An der Ostsee brauchen wir sogar Beweidung, wenn wir Salzwiesen haben wollen, sonst wächst da nur Schilfröhricht. Es wird ein gewisses Biotopmanagement stattfinden müssen.“
Auch strandnaher Tourismus werde keineswegs eingeschränkt. Dies sei noch nicht einmal an der Westküste gravierend, wo es viel mehr Küstenabschnitte mit Vogelrastplätzen gibt. Nach Jahrzehnten habe die Bundesbehörde endlich die Befahrensverordnung für das Wattenmeer aktualisiert. „Für Kiter, die es bei Gründung des Nationalparks noch nicht gab, sind jetzt klare Gebiete definiert. Die Einschränkungen für sie sind minimal.“
Handlungsbedarf bei der Fischerei
Bleibt die Fischerei als Knackpunkt, und da sieht Borcherding allerdings großen Handlungsbedarf an der Ostsee. Die wesentlichen Schutzgüter dort seien Tauchenten und Fische, denn „da ist nicht mehr viel“. Für den Bestandesaufbau brauche es unbefischte Zonen, ganz im Sinne der Fischerei. Sie sollen bis zu 50 % der Seefläche im Nationalpark ausmachen. Im Nationalpark Westküste bestehen sie nur auf 3 % der Fläche, „das haben die Krabbenfischer dort 1999 erreicht, aber das entspricht längst nicht mehr den aktuellen Bundes- und EU-Zielen“.
Als weiteres Problem an der Ostsee benennt er die Stellnetze, in denen zahlreiche Enten und Schweinswale ertränken. Da müsse eine Umstellung auf andere Fangmethoden erfolgen. Mit einem Nationalpark könne man leichter Fördergelder dafür mobilisieren. Auch dies sei wiederum kein so großes Problem in der Nordsee: Bei den starken Tideströmen seien diese Fangmethoden kaum möglich. Gar nicht gelten lässt Borcherding den Vorwurf einer „Salamitaktik“ – die Befürchtung, dass die Regierung einen Nationalpark in Zukunft mit immer neuen Beschränkungen belegen werde. Das werde entkräftet durch die Erfahrung im Nationalpark Westküste: „Veränderungen hat es dort nur zweimal in fast 40 Jahren gegeben, und jeweils mit vielen Kompromissen. Auch in Nationalparken entscheiden alle Betroffenen, nicht der Naturschutz allein.“




