Der biologische Zustand der Ostsee ist schlecht bis dramatisch, gegenwärtige Schutzmaßnahmen reichen nicht aus und müssen verbessert werden. Darüber sind sich die meisten gesellschaftlichen Gruppen und Interessenverbände einig. Ob der geplante Nationalpark Ostsee, den Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) auf den Weg bringen will, dem gerecht wird und nicht vielmehr unzumutbare Beschränkungen mit sich bringt, das wird heftig und kontrovers diskutiert. Das Bauernblatt hat Verbände um ihre Stellungnahme gebeten.
Sieben Fachworkshops veranstaltet das Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur (MEKUN) im Rahmen des Konsultationsprozesses. Vier haben bereits stattgefunden zu den Themen Landwirtschaft/Wasserwirtschaft/Landnutzung (das Bauernblatt berichtete in Ausgabe 24, Seite 16), Tourismus, Fischerei und Wassersport. Die Workshops zu Naturschutz (30. August), Regionalentwicklung/regionaler Wirtschaft (12. September) und Kommunen (19. September) stehen noch aus, ebenso ein abschließender Verzahnungsworkshop (noch nicht terminiert).
Die Einladungen zur Teilnahme erfolgten über betroffene Kommunen, Verbände und Interessenvertretungen. Zur „Landwirtschaft“ waren dies der Landesbauernverband und die ostseeanrainenden Kreisbauernverbände (Stellungnahme des Bauernverbandes unter https://www.bauernblatt.com/prozess-muss-ergebnisoffen-sein/) sowie „Land schafft Verbindung“, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, LandFrauen, Landjugend, Landwirtschaftskammer, Gewässer- und Deichverbände, Lohnunternehmer, Waldbesitzer und andere. Der Prozess solle ergebnisoffen sein, alle Argumente und Bedenken würden gehört, verspricht das Ministerium.
Keine konkreten Infos
Richard Bonse ist Landwirt auf Gut Behrensbrook in der Gemeinde Lindau im Dänischen Wohld und nahm für die Familienbetriebe Land und Forst Schleswig-Holstein (FABLF) am Workshop Landwirtschaft/Wasserwirtschaft/Landnutzung teil. Über den Verlauf der mehrstündigen Sitzung zeigt er sich enttäuscht. Vor allem bemängelt er, dass keine messbaren Parameter genannt worden seien, durch welche Maßnahmen der Zustand der Ostsee mit einem Nationalpark verbessert werden solle. „Das war sehr vage, wie können wir uns dann darüber unterhalten?“
Nach zwei Vorträgen seien die 27 Teilnehmenden in vier Gruppen zu je fünf oder sechs Personen aufgeteilt worden und hätten je zehn Fragen bekommen, etwa „Welche Einschränkungen befürchten Sie?“, „Welche Risiken sehen Sie?“ oder „Durch welche Alternativen könnte ein wirksamer Schutz erreicht werden?“ – „Wir hatten insgesamt eine Stunde Zeit, also für jede Frage sechs Minuten. Wie soll man da sinnvoll diskutieren, zumal uns konkrete Informationen fehlten?“, beklagt Bonse. In der anschließenden Dokumentation seien zunächst nicht einmal alle Antworten enthalten gewesen und erst nach Anmahnung eingestellt worden. Außerdem werde die Stimmung des Workshops nicht wiedergegeben. Bürger könnten sich bei der Lektüre kein richtiges Bild machen.
Die Dokumentation des Workshops (https://t1p.de/dscc4) spiegelt dennoch Vorschläge und Einschätzungen wider, vor allem zu Alternativen zum Nationalpark, etwa „Kläranlagen zu vier Stufen ausbauen“ oder „Allianz für den Ostseeschutz analog zu Allianz für Gewässerschutz ausbauen“. Fragen zu positiven Aspekten eines Nationalparks wurden von den Teilnehmenden durchwegs knapp mit „Keine!“ beantwortet, allenfalls mit „noch Forschungsbedarf“ – was ja auch die Stimmung widerspiegelt.
Regelungswut befürchtet
Thomas Weinhardt nahm für den Verband Deutscher Wassersportschulen (VDWS) am Konsultationsprozess teil. Auch er beklagt, dass nicht erklärt werde, was in einem Nationalpark erlaubt sein würde und was nicht. „Das Ministerium will sich nicht festlegen.“ Bekannt ist, dass es eine Kernzone mit stärkeren Einschränkungen und eine Entwicklungszoge geben soll. Die Kernzone soll laut Minister Goldschmidt weniger als 50 % der Fläche betragen. Sie ist allerdings in den bisher veröffentlichten Karten (https://t1p.de/mbwr0) nicht zu sehen, denn „dies soll erst im Zuge des Konsultationsprozesses beraten werden“, so das Umweltministerium. Dessen ungeachtet soll auch die Entwicklungszone des Nationalparks im Laufe der nächsten 30 Jahre zur Kernzone weiterentwickelt werden.
Die Teilnehmenden hätten sich gefragt, warum ein Nationalpark entstehen solle, da es doch schon jetzt diverse Schutzzonen gebe. Insbesondere wurde auf die Freiwillige Vereinbarung zum Schutz der Meeresvögel von 2016 verwiesen. „Diese Vereinbarung wurde de facto nie mit Leben erfüllt“, schreibt der VDWS in seinem Newsletter. Weiter heißt es dort: „Dazu meinten die Ministeriumsvertreter, dass der zuständige Sachbearbeiter in Rente sei und es darüber hinaus an finanziellen und personellen Ressourcen fehle. Wo dann die Ressourcen für einen weitaus aufwendigeren Nationalpark mit seiner Bürokratie und Verwaltung herkommen sollen, blieb unbeantwortet.“
Claus-Ehlert Meyer vom Boots- und Schiffbauer-Verband (DBSV) vertritt die maritime Wirtschaft und die Werften. Er hat sich für den Workshop Wirtschaft angemeldet, aber noch keine Rückmeldung bekommen. „Es gibt eine große Mehrheit für den Schutz der Ostsee, aber eine große Mehrheit gegen den Nationalpark“, sagt er. „Wir fahren alle auf der Ostsee ‘rum und sehen die Missstände. Doch keines der Probleme löst man mit einem Nationalpark. Man könnte was tun, etwa bei der Bergung von Altmunition, es wären Mittel dafür da, und man redet über einen Nationalpark!“
BUND für den Nationalpark
Wenig überraschend ist der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für einen Nationalpark Ostsee. „30 Prozent aller Arten in der Ostsee stehen auf der Roten Liste, und es wird immer schlimmer“, sagt Jürgen Leicher vom Landesvorstand. „Wir haben 200 Totfunde von Schweinswalen im Jahr, die Seegraswiesen verschwinden. Es gibt Schutzgebiete, aber die reichen nicht aus. In den Bestimmungen zu FFH-Gebieten steht wenig über die mögliche Nutzung.“
Die größten Probleme sieht er in drei Bereichen: Einträge durch die Landwirtschaft, Fischerei und Industrialisierung der Meere. „Die Industrialisierung ist in vollem Gange. Da kann ein Nationalpark ein bisschen Ordnung hineinbringen. Da liegt man mit dem Tourismus eigentlich auf einer Linie.“ Überdüngung durch die Landwirtschaft sei ein gravierendes Problem für die Ostsee, aber die komme vor allem über die Flüsse ins Meer, nicht über die sehr wenigen landwirtschaftlichen Küstenanrainer. „Das kann man nicht über diesen Hebel verändern. Da müssen wir dranbleiben, aber das hat nichts mit einem Nationalpark zu tun. Der hat klare Flächengrenzen.“
Konflikte sieht Leicher auch nicht mit Strandtourismus und Wassersport, allenfalls mit Motorwassersport. „Die Küsten, die Strände, die Landflächen sind von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nicht betroffen.“ Ein Nutzungsverbot sei kein Durchfahrverbot, das Befahren mit Segelbooten sei weitgehend unbeeinträchtigt, nur das Ankern in Seegraswiesen würde untersagt.
Was die dringend anstehende Räumung von Altmunition aus dem Zweiten Weltkrieg angehe – eine Angelegenheit des Bundes: „Das muss Chefsache werden!“ Mittel seien bereitgestellt, und mit einem Nationalpark könne das Land da noch mehr Druck machen.
Bleibt die Fischerei. Da hält Leicher tatsächlich die Erweiterung von Einschränkungen für erforderlich, vor allem bezüglich Grundschleppnetzen und Stellnetzen zu bestimmten Jahreszeiten sowie Akustikgeräten. Kernzonen wären Nullnutzungszonen. Doch auch die könnten positiv wirksam sein für die Fischerei – als Ruhezonen für die Fische.
Einen „Naturpark light“ dürfe es nicht geben, dafür sei die Situation zu dramatisch. Allerdings setzt Leicher optimistisch auf den Konsultationsprozess mit den Beteiligten. Er sieht Schweden dabei als großes Vorbild. Dort sei mit Norwegen vor etwa zehn Jahren ein Meeresnationalpark von rund 800 km2 eingerichtet worden – mit jahrelanger vorheriger Beratung mit den wichtigsten Nutzergruppen, vor allem der Fischerei. „Mehr Gelassenheit“ wünscht sich Leicher, „mitmachen im Prozess, etwas erreichen im Konsens.“
Hering gar nicht heimisch
Lorenz Marckwardt, Vorsitzender des Fischereiverbands Schleswig-Holstein, sieht das anders. „Wo soll der Fischer abbleiben? In der Kernzone darf nicht gefischt werden, und in der Entwicklungszone müssen wir nachweisen, dass wir umweltverträglich fischen. Wer tut dies schon in den Augen der Umweltschützer?“ Korridore in die offene See würden vielen Kollegen nichts nützen. „Wir haben vorwiegend Tagesfischer mit kurzen Wegen. Für die wäre das ein Berufsverbot.“
Einen Nutzen für den Zustand der Ostsee sieht er nicht. Der deutsche Anteil an der Ostsee sei sehr gering (0,6 % Küstenlinie, 0,4 % Gewässeranteil laut DBSV). „Ein Nationalpark wird nicht für Sauerstoff sorgen und die Fischbestände retten.“ Überhaupt lägen die Aufwuchsgebiete von Dorsch und Hering – mit die gefährdetsten Fischarten – gar nicht in der Ostsee. „Der Hering ist hier nicht heimisch, er kommt aus dem Nordatlantik, auch der Dorsch zieht durch.“
An der Ergebnisoffenheit des Konsultationsprozesse zweifelt Marckwardt. „Das ist eine Salamitaktik. Am Ende steht gar nichts mehr zur Verfügung.“