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Minister Özdemir und die Toten Hosen

Editorial
Von Mechthilde Becker-Weigel
Cem Özdemir in seinem Hauptberuf beim Ministerbesuch im Ferkelstall   Foto: Imago

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist auch in der Musikszene unterwegs. Die Band „Die Toten Hosen“ hat Ende März ihren neuen Song „Scheiß Wessis“ veröffentlicht. Im dazugehörigen Video ist Özdemir als Politpromi mittendrin dabei, in einer Reihe mit Musik- und Showpromis wie Roberto Blanco, Heino und Katharina Witt (Video-Link: https://t1p.de/5a39f). Özdemir ließ sich den sogenannten Cameo-Auftritt nicht nehmen. So wird das häufig überraschende, zeitlich kurze Auftreten bekannter Personen in einem Film im Fachjargon genannt. Der Begriff kommt aus dem Englischen und bezeichnet eigentlich ein Relief auf einem Schmuckstein. Özdemir hat Erfahrung mit solchen Auftritten. So wirkte er auch in dem Film „Horst Schlämmer – Isch kandidiere!“ des Kabarettisten und Komikers Hape Kerkeling mit. In dem Film wird die Politik einer halbseidenen Republik persifliert. Darin spekuliert Horst Schlämmer, alias Hape Kerkeling, mit Özdemir über eine Fango-Koalition, auch Claudia Roth hatte damals einen Cameo-Auftritt mit Gurkenmaske.

Die Düsseldorfer Kultband „Tote Hosen” feiert in diesem Jahr ihren 40. Geburtstag. Als Auftakt zum Jubiläum erschien das neue Stück. Es ist ein Freundschaftsprojekt mit dem Rostocker Rapper Marteria, der zeitgleich das Musikstück „Scheiß Ossis“ veröffentlichte. Gemeinsam behandeln die beiden Clips auf humorvolle Weise ein Thema, das auch knapp 32 Jahre nach der Wiedervereinigung erschreckend aktuell ist. Die Songs kommen direkt auf den Punkt. Wieso bestehen nach über 30 Jahren Mauerfall immer noch so viele Vorurteile zwischen Ost und West? Wieso kommen viele Wessis und Ossis so lange nach der Wiedervereinigung immer noch nicht miteinander klar? Unbestritten, der Zeitpunkt für den Song ist durch den Krieg in der Ukraine nicht mehr der glücklichste, das konnte sich keiner aussuchen. Der Bundeslandwirtschaftsminister promotet ein Musikvideo durch seinen Auftritt. Hat der Mann denn nichts anderes zu tun? Das dürfte eine der ersten Fragen sein, die einem als Landwirt dabei einfallen. Nicht nur in der Tierhaltung ist ein Haufen Fragen ungelöst, und die Bauern warten schon viel zu lange auf Antworten und vor allem auf Entscheidungen. In Zeiten, in denen wieder über Ernährungssicherheit diskutiert werden muss und die Landwirtschaft mit knapper Betriebsmittelverfügbarkeit beschäftigt ist und mit politischen Hürden zu kämpfen hat, gehört ein Minister an seinen Schreibtisch. Oder nicht?

Für viele mag es ein übertriebener Auftritt sein. Ein Politiker geht raus und zeigt sich mal von einer anderen Seite. Da haben wir schon anderes gesehen. Der eine oder andere mag es ähnlich übertrieben haben, wenn man an Exkanzler-Model Gerhard Schröder (SPD) posierend in Brioni Anzügen oder Exminister Rudolf Scharping (SPD) mit Gräfin Pilati-Borgreve im Planschbecken denkt. Alles Geschmacksache.

Özdemir zeigt durch seinen Auftritt ein musikalisches Bekenntnis, es ist nicht sein erster Cameo-Auftritt für die „Hosen“. Er zeigt auch ein politisches zu den Inhalten, bei denen es in persiflierter Darstellung gegen Diskriminierung und die Überwindung von Gräben geht. Und genau hier könnte er weiter ansetzen. Es wäre ein guter Startpunkt für den Bundeslandwirtschaftsminister, sich in seinem politischen Ressort und im Tagesgeschäft gegen Grabenbildung einzusetzen – dass es nicht irgendwann heißt: Scheiß Wurstesser und Scheiß Grasraucher oder Scheiß Veganer.

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