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Forschungsprojekt „Ovoraptor“

Entwicklung einer Eiersuch-, -finde- und -sammelmaschine
Von Prof. Franz-Josef Peitzmann, Westfälische Hochschule
Der Ovoraptor im Versuchsbetrieb. Fotos: Prof. Franz-Josef Peitzmann

In konventionellen Hühnerställen zur Eierproduktion werden bis zu 6.000 Hühner pro Herde gehalten. Mit unterschiedlichen baulichen und lichttechnischen Maßnahmen werden die Hühner dazu motiviert, ihre Eier in den dafür vorgesehenen Nestern abzulegen. Allerdings gibt es in jeder Herde Hühner mit einer „anarchistischen Ader“, die sie dazu verleitet, ihre Eier eben nicht in diese von Menschen angelegten Nester zu legen. Hier soll eine Maschine bei der Suche und dem Einsammeln helfen.

Geschätzte 2 % der gelegten Eier einer Herde werden irgendwo auf dem Stallboden abgelegt. Diese „verlegten Eier“ liegen unter anderem unterhalb der höher liegenden Kastensysteme in einem nur zirka 35 cm hohen Raum. Aus hygienischen Gründen müssen die verlegten Eier gefunden und aufgesammelt werden, dies geschieht zurzeit noch manuell durch einen Mitarbeiter. Die dabei zu leistende Arbeit ist potenziell gesundheitsgefährdend und belastend, da direkt über einem Feinstaub absondernden Boden gearbeitet werden muss. Des Weiteren besteht allgemein in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein großes Interesse, die Automatisierung in der Landwirtschaft weiter voranzutreiben.

Erste Versuche mithilfe einer Steuerung per Smartphone-App

Rasenmähroboter als Vorbild

Diese Situation brachte Frieder Kottsieper vom Geflügelhof Kottsieper aus Remscheid in Nordrhein-Westfalen auf die Idee eines autonomen Roboters, wie er vielen vom Rasenmähen her bekannt ist. Mit seiner Idee stieß er bei Peter Hettlich, Leiter der Projektgruppe „Digitalisierung, Nachhaltigkeit in Landwirtschaft und Ernährung, Bioökonomie“ im Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen auf offene Ohren. Das Ministerium fördert infolgedessen seit 2020 ein Forschungsprojekt namens „Ovoraptor“ am Mechatronik-Institut Bocholt der Westfälischen Hochschule zur Entwicklung eines autonomen, mobilen Roboters, der die verlegten Eier automatisch sucht und aufsammelt. Das Projekt läuft noch bis März 2023.

Der Prototyp des Roboters wurde mit passenden Antrieben, einem Energiesystem und Steuerungskomponenten ausgestattet. Die ausgewählten Schaumstoffreifen überzeugten mit guten Fahreigenschaften auf dem von den Hühnern verschmutzten Untergrund. Die Steuerung der Plattform ist mit der eines Kettenfahrzeuges zu vergleichen. Durch den hohen Schlupf säubert sich das Reifenprofil eigenständig. Mithilfe der entwickelten Smartphone-Fernsteuerung konnten praxisnahe Testbilder von den verlegten Eiern aufgenommen werden. Die Eiererkennung erfolgt mithilfe einer preiswerten 2-D-Kamera, die Infrarotlicht nutzt, um auch bei schwachen Lichtverhältnissen Bilder generieren zu können. Die Eier lassen sich sowohl mit klassischer Bildverarbeitung als auch künstlicher Intelligenz (KI) detektieren. Mithilfe zahlreicher Testbilder aus der realen Stallumgebung konnte ein zuverlässiges Modell antrainiert werden.

Zwei unterschiedliche Konzepte

Für die zuverlässige und effiziente Eiersammlung unter Berücksichtigung der anspruchsvollen Arbeitsumgebung wurden zwei Konzepte ausgearbeitet.

Das erste Konzept beinhaltetet die Konstruktion eines Greifers, der nur ein Ei greift und zur Ablagestation bringt. Dazu wird ein adaptiver Greifer auf Basis des Fin Ray Effect eingesetzt. Darunter versteht man ein Phänomen, wonach sich Flossen von Fischen unter einer seitlichen Druckbelastung unerwartet verhalten. Drückt man mit dem Finger gegen sie, krümmen sie sich nicht weg. Im Gegenteil, die Schwanzflosse biegt sich dem Finger entgegen. Diesen Effekt bezeichnet man als Fin Ray Effect; entdeckt wurde er vom Berliner Bioniker Leif Kniese im Jahr 1997. Diese Greifer passen sich der Kontur des zu greifenden Teils an und stellen somit ein sicheres und zerstörungsfreies Greifen der Eier sicher. Die Druckkraft auf das Ei wird dabei sowohl durch eine Limitierung des Motorstroms auf einen konstanten Wert als auch die nachgiebigen Greiffinger begrenzt. Die Idee hinter dieser Variante ist, dass mehrere kleine Roboter, die miteinander vernetzt sind, durch den Stall fahren, um auf diese Weise genauso schnell wie ein einzelner großer Roboter zu sein.

Beim zweiten Konzept ist es das Ziel, dass ein einziger Roboter mehrere Eier nacheinander aufsammelt, um lange Wege zur Ablagestation zu vermeiden. Dabei wird zum Sammeln der Eier die Funktionsweise eines Rollsammlers genutzt, der vielen aus der Gartenarbeit zum Aufsammeln von zum Beispiel Äpfeln oder Nüssen bekannt ist. Beim Überrollen der Eier geben die Speichen nach, sodass das Ei ins Innere der Trommel gelangt. Der Rollsammler besteht deswegen aus einer Trommel aus biegsamen Drähten, diese Trommel wird über den Boden geschoben und rollt dabei vorwärts. Trifft sie auf einen Widerstand wie zum Beispiel ein Ei, drückt sich der Draht auseinander und sammelt das Ei auf.

Für die entwickelte Steuerungstechnik muss deswegen bei diesem Konzept die Positioniergenauigkeit nicht so hoch sein. Durch die breite Trommel des Sammlers ergibt sich zusätzlich eine schnellere Aufnahme der Eier. Ebenfalls ist es nicht mehr erforderlich, dass der Roboter anhalten muss, um ein Ei aufzunehmen. Der Fokus im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes wird daher auf die Sammeltechnik des Rollsammlers gelegt.

In der verbleibenden Projektlaufzeit werden neben der Entwicklung einer Ablagestation und einer automatischen Energiestation noch zahlreiche Praxistests zur Optimierung des Ovoraptors durchgeführt.

Mit Abschluss des Entwicklungsprojektes soll der Ovoraptor mittels eines Lokalisierungssystems intelligent durch den Stall navigieren und die verlegten Eier finden und einsammeln.

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