In dritter Generation züchten Lina und Klaus Thiedemann in Oesterwurth, Kreis Dithmarschen, den Holsteiner Stamm 2543, der auch als Thiedemann-Stamm bekannt ist. Aus ihm sind viele erfolgreiche Sportpferde, Staatsprämienstuten, gekörte Hengste und zwei Siegerhengste hervorgegangen.
Überschwemmte Halligen, gebrochene Deiche, Häuser, Weiden und Felder unter Wasser: Die große Sturmflut im Februar 1962 traf auch Dithmarschen. Als sich das Wasser zurückgezogen hatte, begann das große Aufräumen. Das war vor allem in der Marsch schwierig, denn der Boden war nass und schwer, und die Maschinen blieben darin stecken. Also wurden Pferde eingesetzt. Der schwere Einsatz hinterließ bei vielen von ihnen Spuren, sodass sie nach den Aufräumarbeiten nicht mehr als Reit- oder Arbeitspferde einsetzbar waren. Darunter war auch die Holsteiner Stute Optik von Fanatiker. „Mein Großvater hat etwas in ihr gesehen und sie zum Schlachtpreis für die Zucht gekauft“, berichtet Klaus Thiedemann.
Die Stute brachte in den darauffolgenden Jahren sieben gesunde Fohlen zur Welt. Aus zwei Anpaarungen mit Roman gingen Corana und Maya hervor, die den Grundstein für den Stamm 2543 legten. „Alles, was wir heute haben, baut auf diesen Stuten auf“, berichtet der 44-jährige Thiedemann, der nicht nur wie sein Großvater und Vater züchtet, sondern auch den Vornamen Klaus mit ihnen teilt.
Anfang der 1970er Jahre brachte Corana aus einer Anpaarung mit Marengo die Stute Hedie. Aus ihrer Linie gingen zahlreiche erfolgreiche Sportpferde und gekörte Hengste hervor, beispielsweise aus einer Anpaarung mit Lord von Ladykiller xx der Hengst Lavallo, der 1981 Siegerhengst der Holsteiner Körung wurde. Seine Vollschwester Gila ist die Mutter des Wallachs Colombus van de Helle, eines Sohnes des Corrado, der bis 2013 international erfolgreich in Springen über 1,60 m mit dem Belgier Gregory Wathelet eingesetzt wurde.
Eine weitere Stute aus der Corana, diesmal von Othello, war die 1982 geborene Uckermark. Sie ist die Mutter der international erfolgreichen Loreana von Lord. Diese wurde von Achaz von Buchwaldt in den Sport gebracht, gewann diverse Große Preise und hatte Erfolge in Weltcupprüfungen mit ihrem späteren Reiter Lars Nieberg.
Nachkommen einer Stute
Auch die zweite Linienbegründerin des Stamms 2543, Staatsprämienstute Maya, hat in der Holsteiner Zucht Spuren hinterlassen. Leider hatte sie nur ein Fohlen: die Staatsprämienstute Svettana von Lord. Svettana wiederum brachte in Anpaarung mit dem Jahrhundertvererber Capitol I die Staatsprämienstute Arina, die Mutter dreier in Holstein gekörter Hengste war: Lasino von Landgraf sowie Limoncello I und II von Lorentin, zwei Vollbrüder. „Noch heute haben wir eine Enkelin der Arina in der Zucht“, berichtet Thiedemann. Es handelt sich um die Staatsprämienstute Helma von Contendro I, eine Schwester des Siegerhengstes der Holsteiner Körung 2016: Unlimited von Casall.
Über Svettanas Tochter Zetta von Caletto II entstand aus einer Anpaarung mit Alcatraz die Stute Goya II. Sie brachte 1998 mit dem Hengst Baldini I den gekörten Hengst Boritas. Er bezog eine Box beim Holsteiner Verband in Elmshorn und nahm 2005 an den Weltmeisterschaften für junge Springpferde im belgischen Lanaken teil. Nachdem er internationale Erfolge in Springprüfungen bis zur Klasse S*** verbuchen konnte, wurde der Hengst in die USA verkauft.
Die Nachkommen der Optik aus dem Stamm 2543 prägen also seit 62 Jahren die Zucht der Familie. „Von unseren 17 Pferden gehören 15 zu dem Stamm“, berichtet Thiedemann. Doch er und seine Ehefrau Lina Thiedemann haben inzwischen auch zwei „neue Projekte“, wie sie lachend berichten. Denn vor drei Jahren entdeckten die beiden ein Fohlen aus dem Stamm 1916. „Der Stamm des United Way ist einer der besten in Holstein“, erklärt Thiedemann. Als das Ehepaar die Gelegenheit hatte, die Stute zu kaufen, griff es zu.
In diesem Jahr soll die noch sehr jugendliche Paloma von Vagabond de la Pomme erstmals gedeckt werden. „Normalerweise reiten wir die Dreijährigen an, bevor wir sie decken lassen“, erklärt Lina Thiedemann. Dass alle Stuten einmal unter dem Sattel laufen, ist den beiden wichtig. „Wir wollen eine Aussage darüber, wie rittig sie sind und was für eine Einstellung sie haben“, sagt die 35-Jährige. Ihr Ehemann ergänzt: „Wenn sie eine Schwäche haben, wollen wir die mit dem richtigen Hengst ausgleichen.“
Pferde auch im Job
Klaus und Lina Thiedemann reiten die jungen Pferde nicht selbst ein. Klaus zieht es gar nicht mehr in den Sattel. Er sei ein paar Jahre geritten, dann aber „schnell wieder dem Fußball verfallen“. Lina hingegen ist in ihrer Jugend viel geritten, auch auf Turnieren. Da lag es nahe, sich eine Arbeit zu suchen, bei der sich ebenfalls alles um Pferde dreht. Noch unter ihrem Mädchennamen Preuss fing sie an, die Baltic Horse Show in Kiel zu organisieren. Als die nicht mehr stattfand, arbeitete sie drei Jahre lang bei der Messe Husum. „Ich wollte gern weiter Veranstaltungen organisieren, aber mein Pferdeherz schlug zu stark. Ich musste zurück“, berichtet sie. Heute arbeitet sie wieder für den Rathmann Verlag. Überwiegend geht das im Homeoffice, oft ist sie auf Veranstaltungen und einmal die Woche fährt sie ins Büro, um sich mit den Kollegen auszutauschen.
Die Liebe zur Zucht teilen die Thiedemanns, auch wenn Klaus seine Leidenschaft erst spät entdeckte. „Das ist aus einer Bierlaune heraus entstanden“, gibt er zu. Damals hätten einige Altzüchter aus Dithmarschen die Szene etwas auffrischen wollen und Thiedemann sowie einige andere überredet, bei den Jungzüchtern einzusteigen. Dort traf er auch Lina Preuss. Die Pferdezucht müsse man sich als Leidenschaft teilen, sonst werde es schwierig – da sind sich die beiden einig. „Man hat ja kaum etwas anderes im Kopf“, lacht Lina Thiedemann. „Da müssen beide an einem Strang ziehen“, findet auch Klaus Thiedemann und beide geben zu: „Ein bisschen verrückt sind wir ja schon.“
Meistens sind sie sich einig, aber mit dem zweiten „Projekt“ hat Klaus Thiedemann nicht ganz so viel zu tun. „Es ist ganz weltfremd“, lacht seine Frau. Sie meint die Trakehner Stute Kaiserin, die seit sechs Jahren bei ihr ist. „Ich habe ein paar Jahre beim Trakehner Verband mitgeholfen und die Fohlenauktion und das Bundesturnier betreut“, erklärt Lina Thiedemann. Mit der Zeit habe sie gedacht: „Einen Trakehner hätte ich auch gerne einmal im Stall.“ Hinzu kommt, dass Linas Vorfahren wie die Trakehner aus Ostpreußen kamen und die Geschichte der Pferde sie faszinierte.
Neue Vermarktungswege
Nun wartet sie auf das vierte Fohlen der Kaiserin, die aus einem erfolgreichen Dressurstamm kommt. Eine Tochter der Stute hat sie behalten, sodass es dann im Sommer schon drei Trakehner sein werden. Ihr Mann sieht es gelassen. „Überraschend kam es nicht. Steter Tropfen höhlt den Stein“, sagt er. Er habe es anfangs als das Projekt seiner damaligen Freundin gesehen. „Dass daraus ein langjähriges Projekt wird, umso besser“, findet er lachend. Trotzdem passe er auf, dass das jetzt „nicht exponentiell wird mit den Trakehnern“. Aber da ist seine Frau ganz bei ihm: „Kaiserin ist ein ganz tolles Pferd, aber Holsteiner sind das, wo wir herkommen. Sie bleiben immer unsere Priorität.“
Vor Kurzem sind die Thiedemanns mit ihren Pferden auf den Nachbarhof umgezogen. Klaus Thiedemann senior habe zwar keine eigenen Pferde mehr, sei aber ein gern gesehener Berater. Insgesamt haben sie 17 Pferde, darunter zehn Zuchtstuten. In diesem Jahr erwarten sie sieben Fohlen. Zwei sind schon da, darunter ein Hengstfohlen von Pegase van‘t Ruytershof aus der Helma von Contendro I. Von dem sind beide sehr begeistert.
Auch die Stute Kenia von Colman hat schon ein Fohlen, eine sportliche Stute von United Way. „Wir überlegen noch, ob wir sie behalten oder verkaufen“, berichtet das Ehepaar. Manchmal sei es das Bankkonto, das entscheide, denn sie könnten ja nicht alle behalten. Früher habe die Familie auch Hengste aufgezogen. Heute liege der Fokus auf dem Verkauf der Fohlen. „Ein Pferd großzuziehen muss man sich leisten können“, erklärt Lina Thiedemann.
Ihre Fohlen vermarkten sie gern über die Verbandsauktionen, aber auch Social Media ist ein großer Faktor. Dort berichten sie aus dem Stallalltag, zeigen viel von den Pferden und halten so Kontakt zu den Käufern.
Verrückt muss man sein
Im vergangenen Jahr kam es so zu einem besonders spannenden Kontakt. Als Lina und Klaus frisch zusammen waren, verkaufte Thiedemann eine sechsjährige Stute nach England. Über Umwegen landete RLE Barina von Cosido-Casall bei der australischen Vielseitigkeitsreiterin Megan Jones. Sie wollte mit ihr bei den Olympischen Spielen in Paris starten und ließ das Pferd für die Vorbereitung und die Qualifikation nach Europa fliegen. Auf dem internationalen Turnier im niederländischen Boekelo besuchten die Thiedemanns die Stute. „Das war sehr emotional. Wir hatten nicht gedacht, dass wir sie noch einmal sehen“, berichtet Klaus Thiedemann.
Die inzwischen 15-jährige Stute qualifizierte sich dann doch nicht für Paris, da sie nicht ganz fit war. Der Rückflug hätte 30.000 € gekostet und Megan Jones entschied sich, RLE Barina aus dem Sport zu verabschieden. Die Thiedemanns nutzten ihre Chance und holten sie zurück. Nun haben sie ein in internationalen Viersterneprüfungen platziertes Vielseitigkeitspferd für die Zucht bei sich zu stehen.
Ein weiteres Erfolgspferd ist Camilla van de Helle. Unter holländischer Flagge startet sie mit Kevin Jochems sehr erfolgreich über 1,60 m. „Die Mutter Alexa von Casall und eine Halbschwester haben wir noch in der Zucht“, erzählt Klaus Thiedemann.
Die sportlichen Erfolge ihrer Pferde verfolgen die Thiedemanns immer. Sie seien wichtig für weitere Anpaarungen und im Hinblick auf die Vermarktung. Was die Nachkommen der Stuten im Sport machten, sei auch eine Frage aller Fohleneinkäufer. Daher werden regelmäßig Ergebnisse in den Sozialen Medien hochgeladen.
Die Mehrheit der Fohlen verkaufen die Thiedemanns an professionelle Betriebe, es kommen aber auch Amateure, vor allem wenn die Pferde erst drei- oder vierjährig angeboten werden. „Das kann richtig schön laufen, wenn man den Kontakt pflegt“, weiß Lina Thiedemann. Über eine Auktion hingegen gebe es ja nichts zu steuern. Insgesamt müsse man sich als Züchter drehen, um die Fohlen gut zu vermarkten. Und überhaupt, die Arbeitszeit vergessen Lina und Klaus Thiedemann bei allen Berechnungen, „weil wir ja verrückt sind“.