Die Bombe ging am vorigen Wochenende hoch, nachdem die Diskussion seit Ende vergangenen Jahres vor sich hin schwelte. Einer Recherche der Tageszeitung „Welt“ zufolge heuerte die EU-Kommission NGO an, um ihre politischen Ziele durchzusetzen.
Offenbar hat die EU-Kommission das Prinzip „Fördern und Fordern“ hin und wieder kreativ interpretiert: In Geheimverträgen soll sie festgelegt haben, wie Aktivisten beispielsweise gegen Glyphosat, Kohlekraft oder Handelsabkommen agitieren. Dafür sei Geld geflossen, erklärten die Journalisten nach Einsicht in die Verträge auf dem Computer eines EU-Mitarbeiters in Brüssel. Die Seiten konnten nicht ausgedruckt werden; alle 30 min mussten sie neu geladen werden.
Kommissionsbeamte sollen den Unterlagen zufolge am 7. Dezember 2022 der Umweltorganisation ClientEarth vertraglich 350.000 € Fördergeld zugesichert haben. Als Gegenleistung sollte diese in Deutschland den Ausstieg aus der Kohlekraft vorantreiben und dabei mit „Bürgerbewegungen“ und „Klima-Camps“ zusammenarbeiten. Vorbild waren Aktionen wie das Agrar- und Klimagerechtigkeitscamp der Bewegung Free the Soil 2019 in der Nähe des Brunsbütteler Yara-Düngemittelwerks. Hunderte Aktivisten blockierten damals die Werkszufahrt.
ClientEarth hat feste Verbindungen in die deutsche Naturschutzszene. Wie der Nabu Mecklenburg-Vorpommern berichtet, klage ClientEarth aufgrund einer Missachtung der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie gegen das Land. Unterstützt wird die Klage von Nabu und BUND.
Jahrelang habe die Kommission NGO für Kampagnen und Klagen bezahlt, um Öffentlichkeit und EU-Parlament zu beeinflussen, lautet der Vorwurf in der „Welt“. Zuletzt sollen jährlich 15 Mio. € an Betriebskostenzuschüssen geflossen sein. Einzelne NGO hätten bis zu 700.000 € bekommen. Im Gegenzug sollten sie gegen fossile Energie, Glyphosat und das Handelsabkommen Mercosur tätig werden. Kampagnen seien bis ins Detail geplant worden. Zusätzlich hätten die Aktivisten Mittel von US-amerikanischen Stiftungen erhalten.
All das soll im Namen des Green Deal geschehen sein, was im Nachhinein ein bezeichnendes Licht auf den damaligen Kommissions-Vizepräsidenten und Kommissar der Generaldirektion Klima, den Niederländer Frans Timmermans, wirft.
Schon im Januar dieses Jahres enthüllte die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ unter Berufung auf parlamentsinterne Dokumente, dass Subventionen aus dem LIVE-Programm zur Unterstützung von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen an NGO vergeben worden seien. Berichtet wurde auch damals von geheimen Verträgen.
Die Kommission habe NGO angewiesen, Einfluss auf die EU-Agrarpolitik zu nehmen und unter Entscheidungsträgern gute Stimmung für die Umweltziele des Green Deal zu machen. Das letzte Wort haben bei der Gesetzgebung die EU-Staaten und die Europaparlamentarier, von denen man schon länger Klagen über den „Schattenlobbyismus“ hören konnte.
Medial bekannt wurde der Streit um das Handelsabkommen Mercosur. Die Generaldirektion Handel trieb es voran, die Generaldirektion Umwelt beauftragte 2022 Friends of the Earth mit dem Ziel: „Das Mercosur-Abkommen wird in seiner derzeitigen Form gestoppt.“
Die NGO sollte bei mindestens „drei Treffen mit EU-Abgeordneten“ und „zwei Treffen mit Vertretern der Kommission“, auch aus der „DG Trade“, auf die „schädlichen Folgen für Menschenrechte und Umwelt“ hinweisen. Friends of the Earth erhielt 700.000 €. Die Health and Environment Alliance erhielt 700.000 €, um unter anderem gegen Glyphosat zu kämpfen. Als Arbeitsnachweis wurden 50 bis 80 Tweets und Treffen mit vier bis sechs EU-Abgeordneten vor Abstimmungen über Chemie-Vorschriften erwartet.
Im April forderte der Europäische Rechnungshof mehr Transparenz in der Mittelvergabe. Laima Andrikien, Mitglied des Rechnungshofs, betonte: „Die EU-Finanzierung für NGO ist zu undurchsichtig und leidet unter einem Mangel an Transparenz.“ Informationen über diese Mittel seien bruchstückhaft und damit nicht zuverlässig. In den untersuchten Jahren 2021 bis 2023 seien ihr zufolge über 7 Mrd. € an NGO in zentralen Politikbereichen wie Zusammenhalt, Forschung, Migration und Umwelt geflossen.Kritik im Europäischen Parlament kommt vor allem aus der konservativen EVP-Fraktion. Der frühere Europaabgeordnete der CDU, Markus Pieper, sieht einen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.
Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier ist erste stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Brüsseler Parlament. Sie kritisiert, dass unter den ehemaligen Kommissionsmitgliedern Virginijus Sinkevicius (Generaldirektion Umwelt) und Frans Timmermans pauschale Zuschüsse für Organisationen gewährt worden seien, die „radikale Aktionen, verdecktes politisches Lobbying und die Druckausübung auf Entscheidungsträger als Ziele in ihren Arbeitsprogrammen verankerten“.
Laut Hohlmeier sollten auch bäuerliche Betriebe „durch Klagen und die massive Verschärfung von Nachweispflichten zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gezwungen werden“.
Im Deutschlandfunk hielt Nina Katzemich, Campaignerin bei Lobby Control, die Vorwürfe für nicht stichhaltig: „Eigentlich bekommen die NGO Geld für ihre Arbeit“, meinte sie, „ich würde denken, dass das wohl in Ordnung geht.“ NGO leisteten eine wichtige Arbeit, brächten den Protest und das „Unwohlsein“ von Teilen der Gesellschaft bei der Kommission vor. „Ich zahle dafür tatsächlich gern Steuern.“
Auch ein Sprecher der aktuellen EU-Kommission widerspricht den Vorwürfen: „Es gibt keine ,geheimen Verträge‘ zwischen der Europäischen Kommission und NGO.“ Informationen über die Vergabe der EU-Mittel seien öffentlich zugänglich. Das Thema sei bereits im Februar mit dem Parlament aufgearbeitet worden. Dennoch will die Kommission die Förderungen von Aktivitäten einstellen, die als gezielte Lobbyarbeit gegenüber Kommissionsmitgliedern oder EU-Abgeordneten verstanden werden könnten. Campaignerin Katzemich findet das „persönlich schade“. Es bleibe sinnvoll, die Zivilgesellschaft für ihren Beitrag zur politischen Debatte zu fördern.