Jetzt ist sie wieder da, die gefahrenträchtige Zeit auf den Feldwegen. Nahezu gleichzeitig beginnen Sommerferien und Erntearbeiten. Da sind zum einen Mähdrescher und voll beladene Strohwagen, zum anderen Urlauber, die mit ihren Fahrrädern dem Autoverkehr ausweichen wollen und die Feldwege nutzen.
„Noch bis Ende Oktober herrscht bei uns auf den Feldwegen rege Betriebsamkeit, danach wird es dann ruhiger“, erzählt Janina Schöttler, Landwirtin in Neversdorf, Kreis Segeberg, bei einem gemeinsamen Termin von Landesbauernverband und Vertretern der Radfahrer. Gemeinsam werben beide Verbände für ein respektvolles und achtsames Umgehen miteinander.
Dietrich Pritschau, Vizepräsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, zählt einige grundsätzliche Probleme auf. Die meisten der früher „Grüne-Plan Wege“ genannten Straßen sind nur 3,5 m breit, die Traktoren und Arbeitsmaschinen können 3 m erreichen. Die Banketten sind von den bis zu 40 t schweren Fahrzeugen nicht immer befahrbar, ein Ausweichen oft nicht möglich. Zudem würden die Knicks immer weniger gestutzt, das sogenannte Lichtraumprofil wachse daher immer weiter zu. Die Traktoren hingegen würden immer größer, auch der Fahrer sitze viel höher, als früher. Vor ihm eine lange Motorhaube, vielleicht noch Anbauten an der Fronthydraulik, da wird die Übersicht über das Monstrum schon schwer. Zwar hätten viele Fahrzeuge schon Heckkameras, aber alle Seiten des Zuges technisch zu überwachen, sei kaum möglich.
Verführt zu schneller Fahrt
Pritschau, selbst Radfahrer, zeigte durchaus Verständnis für die Biker, die zunehmend die Feldwege nutzen. Die seien oft hervorragend asphaltiert, oft sogar besser als Radwege entlang von Bundes- und Landesstraßen. Dazu komme der starke Zuwachs seit der Corona-Krise vor allem von Pedelecs mit deren viel höherer Geschwindigkeit im Verhältnis zu nur muskelbetriebenen Zweirädern. Eine große Bitte hat Pritschau an die Radfahrer: „Tragt bitte einen Helm und eine gelbe Weste!“
An der Ausfahrt wird‘s eng
Dem kann sich auch Landwirtin Janina Schöttler nur anschließen. Erst vor ein paar Tagen hatte sie ihren Traktor samt Arbeitsgerät mit einer Vollbremsung zum Stillstand bringen müssen, weil vor ihr plötzlich eine dunkel gekleidete Familie auf Rädern aufgetaucht war. „Da liegen die Nerven blank“, meinte sie, und das auf beiden Seiten. Um solche Situationen zu vermeiden, hatten sich Landwirte und Radfahrer auf eine gemeinsame Aktion geeinigt, „Rücksicht macht die Wege breit“, lautet das Motto, das sie am gemeinsamen Termin per Spraydose auf dem Asphalt aufbrachten.
Arne Hansen, Abgeordneter der Grünen im Kreistag und Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt-, Natur-, und Klimaschutz, sowie Zeruja Hohmeier, Radverkehrsbeauftragte des Kreises, hatten ihre Fahrräder mitgebracht und demonstrierten, wie schnell es eng werden kann auf den Wirtschaftswegen. Während die beiden Radfahrer, Hohmeier sogar mit einem Lastenfahrrad, normal auf dem Feldweg fuhren, versuchte Landwirtin Schöttler mit ihrem Traktor und Anhänger, aus einer Feldzufahrt auszufahren. Dabei konnte sie die Zweiradfahrer erst dann sehen, als die Front des Traktors schon komplett auf der Fahrbahn war. Natürlich war die Situation gestellt, doch allen Zuschauern wurde klar, dass sich hier eine fast unvermeidliche Gefahr darstellte. „Das ist keine böse Absicht“, betonte Hansen, aber manche Radfahrer, insbesondere Rennradfahrer, gingen voll ins Risiko, seien oft wie berauscht von der hohen Geschwindigkeit, die auf den Feldwegen möglich sei.
Ein weiteres Problem machten Zeruja Hohmeier und Janina Schöttler aus, als sie zusammen im Cockpit des großen Schleppers saßen. Die Schlepperfahrer säßen heutzutage in einer vollklimatisierten Kabine mit Radio, oft auch Funkgerät, vielen Hebeln, Schaltern und Monitoren. Die Radfahrer hingegen hätten oft i-Pods oder Kopfhörer auf und dazu auch noch ein Smartphone am Lenker. Das alles lenkt ab und kann zu Konflikten führen, meinte Arne Hansen. Dabei würden Radfahrer als die schwächeren Verkehrsteilnehmer bei Kollisionen immer den Kürzeren ziehen.
Erntestress macht unachtsam
Dazu komme, dass Städter meist nicht vertraut mit dem Landleben seien. Sie kennen nicht den Druck, dem Landwirte bei der Ernte unterliegen. Da droht eine Regenfront, der Mähdrescherfahrer meldet einen vollen Korntank, das Feld muss vor Sonnenuntergang abgedroschen werden. Dennoch wünscht sich Hansen von den Schlepperfahrern, dass sie sich vom Erntestress nicht dazu verleiten lassen, andere in Gefahr zu bringen.
Oft sind diese etwa 16-Jährige, die gern gute Leistung erbringen wollen. Für sie hat Dietrich Pritschau Merksprüche, wie „Ortsfeld in Sicht, 30 ist Pflicht!“ Die rechtliche Seite, nach der Gerichte bei einem Unfall urteilen, ist klar. Zu einem Fahrrad müssen beim Überholen 2 m Seitenabstand eingehalten werden – auf den schmalen Feldwegen unmöglich. Und bei Unfällen mit Kindern oder Jugendlichen zieht vor Gericht immer der Fahrer des größeren Fahrzeuges den Kürzeren.
Um dem allen aus dem Weg zu gehen, möchten beide Seiten auf das gegenseitige Verständnis von Landwirten und Radfahrern zählen. „Wenn wir uns alle an den Paragraphen 1 der Straßenverkehrsordnung halten würden, bräuchten wir keine andere rechtliche Regelung“, seufzt Arne Hansen. Gegenseitige Vor- und Rücksichtnahme, ein wenig mehr Hineindenken in den anderen Verkehrsteilnehmer – dann würde alles laufen. So empfiehlt sich für Traktorfahrer, die hinter langsamen Radfahrern herfahren, ein kurzes Hupsignal, die Radfahrer könnten dann kurz rechts halten und den Traktor vorbeilassen. Nach einem freundlichen Gruß per Handzeichen fühlen sich dann beide besser.
Video zum zum Thema: https://youtu.be/5vX1PI5waaY




