Das Präsidiumsmitglied des Ukrainian Agribusiness Club (UCAB) und Chef der Agrar-Unternehmensgruppe IMC, Dr. Alex Lissitsa, spricht im Interview über Landwirtschaft in Zeiten des Krieges, die Zukunft der Ukraine als Agrarexporteur und die Perspektive eines EU-Beitritts.
Seit mehr als einem Jahr ist Krieg in der Ukraine. Wie ist die Lage in den ländlichen Gebieten?
Die Situation ist weiter sehr schwierig. Der Krieg und seine schrecklichen Folgen sind Teil des Alltags. Wer über Land fährt, sieht Beerdigungen in nahezu jedem Dorf. Wir merken es auch unmittelbar in unserem Unternehmen. Wir unterstützen die Familien, die einen gefallenen Soldaten zu beklagen haben, der aus unserem Unternehmen oder zu Bodeneigentümern gehört, mit 1260 €. Die Höhe der ausgezahlten Gelder steigt von Woche zu Woche.
Sie sagten im Herbst vergangenen Jahres der Angriff der Russen habe die Ukrainer zusammengeschweißt. Ist von Kriegsmüdigkeit weiter keine Spur?
Nein, ich spüre davon nichts. Ich habe in den letzten Wochen unsere Betriebe besichtigt und mit vielen Menschen gesprochen. Die Stimmung ist gut. Der Winter war milder als befürchtet. Die Angriffe auf unsere Strom- und Wärmeversorgung hatten nicht die befürchteten Auswirkungen. Jetzt kommt der Frühling, und wir bereiten uns auf die Aussaat vor. Das Einzige, was tatsächlich die Stimmung trübt, sind einige Skandale auf der Regierungsebene, bei denen zumeist Korruption im Spiel ist, beispielsweise beim Einkauf von Nahrungsmitteln für die Armee durch das Verteidigungsministerium.
Sie hatten vor Kriegsbeginn rund 2.000 Beschäftige in Ihrem Unternehmen. Im letzten Herbst waren es 400 weniger. Wie ist der Stand jetzt?
Momentan sind es 1.500, also noch mal 100 weniger. Der Hauptgrund ist, dass weiterhin viele Männer auch aus der Landwirtschaft in die Armee einberufen werden. Da können wir leider nichts tun.
Wie halten Sie die Landwirtschaft mit immer weniger Arbeitskräften am Laufen?
Zuletzt haben wir junge Leute unter 18 Jahren angeworben und sie für einfache Tätigkeiten geschult, etwa Treckerfahren. Unsere Hoffnung ist, dass wir sie im Laufe des Jahres ab und zu einsetzen können. Parallel bemühen wir uns die Männer, die mal bei uns gearbeitet haben und jetzt in Rente sind. Schließlich führen wir zusammen mit der Agraruniversität in Sumy eine Ausbildung für Frauen durch, die in der Landwirtschaft tätig sein wollen. Das ist nicht einfach, weil viele Frauen mit ihren Kindern das Land verlassen haben und niemand weiß, ob sie zurückkehren werden. Sumy liegt im Nordosten der Ukraine und damit nah dran am Kriegsgeschehen.
Wie schwierig ist dort Landwirtschaft?
Ziemlich. Das sehen Sie allein daran, dass Lohnunternehmen nicht unbedingt in diese Region kommen wollen. Gerade heute habe ich erfahren, dass es zuletzt an einem Tag in dieser Region 200 Beschüsse von russischer Seite gegeben hat. Praktisch alle Dörfer an der Grenze sind beschossen worden. Bei einem benachbarten Agrarunternehmen wurden der komplette Maschinenpark und die Siloanlage zerstört.
Ist die Landwirtschaft ein Ziel der russischen Angriffe?
Ich denke mittlerweile, dass die Russen eigentlich gar kein festes Ziel haben oder das Ziel besteht einfach darin, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Die haben über vier Monate lang die kritische Infrastruktur bombardiert in der Hoffnung, dass das ganze Land einfriert. Das ist Gott sei Dank nicht passiert. Viele Betriebe haben es in den letzten Monaten geschafft, Dieselgeneratoren zu kaufen. Das hat irgendwie funktioniert, auch weil der Winter einigermaßen mild war. Aber bedenken Sie: Die ukrainische Landwirtschaft sorgt für bis zu 70 % der Exporteinnahmen des Landes. Da ist ganz klar, dass es die Russen auch bewusst auf bestimmte landwirtschaftliche Betriebe abgesehen haben, um die Wirtschaft zu treffen.
Wie viele landwirtschaftliche Flächen sind nicht nutzbar, weil sie vermint sind oder anderweitig etwa durch Raketeneinschlag in Mitleidenschaft gezogen worden sind?
Wir sprechen gegenwärtig von rund 2 Mio. ha, die aus Kriegsgründen nicht bewirtschaftet werden. Wenn dort eine Frontlinie war, sind diese Flächen in der Regel vermint. Auf den anderen liegen meistens Reste von Raketen, Granaten und so weiter. In unserer Firma haben wir während der vergangenen Monate etwa 33.000 ha zusammen mit ukrainischen Spezialisten beräumt. Die Spezialisten erkennen, ob eine Bombe explodiert ist oder nicht. Alles andere wird einfach abtransportiert. Auf diese Weise haben wir 40 t aus Bomben- und Raketenresten von unseren Feldern geholt. Noch immer haben wir 5.600 ha, die an der Grenze zu Belarus und Russland liegen und die wir nicht nutzen können. Letztes Jahr haben wir mit Mühe russische Minen von einem größeren Schlag beseitigen können, als das Feld kurze Zeit später auf einmal erneut vermint wurde, diesmal von unserer Seite, weil man eine Offensive von Belarus aus erwartet hatte. Wir haben das nicht gewusst. Einer unserer Traktoren, ein neuer Fendt-Schlepper, ist in die Luft geflogen. Unser Fahrer hat Gott sei Dank überlebt. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Wir wollten auf einigen Feldern an der Grenze zu Russland Mais aussäen. Die Militärverwaltung hat das untersagt, weil sich der Feind in Mais- und Sonnenblumenbeständen gut verstecken kann.
Welche Auswirkungen hat das alles auf die Aussaat für dieses Jahr?
Schon im Herbst haben wir gesehen, dass die Ukrainer die Flächen für Winterkulturen um 45 % reduziert haben, weil die Betriebe kein Geld hatten. Wir hatten die Hoffnung, vor allem durch das Getreideabkommen zusätzliche Mengen zu verkaufen und die Einnahmen in diesem Frühjahr für den Anbau zu nutzen. Aber das benötigte Kapital ist nicht da, auch weil das Getreideabkommen nicht so funktioniert, wie wir dachten. Im März gab es nur wenige Exporte durch das Schwarze Meer. Insofern werden die Auswirkungen ziemlich brutal sein.
Was bedeutet das?
Ich gehe davon aus, dass Mais nicht mehr auf 5 Mio. ha angebaut wird, sondern lediglich auf bis zu 3 Mio. ha. Die Ukraine wird zwar nicht komplett vom globalen Maismarkt verschwinden, aber deutlich weniger exportieren als bislang. Beim Weizen ist schon klar, dass wir im besten Fall etwa 15 Mio. t ernten werden. Ob die Qualität noch stimmt, wissen wir nicht, weil die Betriebe beim Dünger sparen müssen. Ich glaube nicht, dass die Ukraine in diesem Jahr überhaupt noch in der Lage sein wird, Brotweizen zu exportieren. Das heißt, die Landwirte werden auf Ölsaaten umsteigen, konkret werden dies Sonnenblumen sein. Ich denke, wir werden in diesem Jahr eine Rekordernte an Sonnenblumen haben. Wir schätzen die betreffende Anbaufläche auf 6,5 Mio. ha bis 7 Mio. ha. Insbesondere in der Westukraine steigen Landwirte jetzt massiv auf Sojabohnen um, eventuell auch auf Sommerraps. Vielleicht gibt es Zuwächse beim Sommergetreide, vor allem bei der Sommergerste. Trotzdem, nach meiner Auffassung werden uns die Zahlen Ende Mai, wenn die Aussaat vorbei ist, negativ überraschen.
Wie sicher sind Sie, dass die Ukraine in diesem Jahr als Exporteur von Brotweizen ausfällt?
Die ukrainische Weizenernte wird – wie bereits gesagt – bestenfalls um die 15 Mio. t liegen. Vor dem Krieg betrug der Binnenverbrauch von Weizen etwa 8 Mio. t. Das Problem ist vor allem die Weizenqualität. Wenn die Landwirte gerade jetzt zu wenig Dünger streuen und am Pflanzenschutz sparen, kriegen wir wahrscheinlich nicht die normale Verteilung von 70 % Brotweizen und 30 % Futterweizen. Stattdessen werden es eher 30 % Brotweizen und 70 % Futterweizen sein. Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe, die in der Ukraine zur kritischen Infrastruktur zählen, haben Verträge mit der lokalen Verwaltung geschlossen. Das gilt auch für uns. In einer Vereinbarung mit der lokalen Verwaltung in Tschernihiw verpflichten wir uns, eine bestimmte Menge an Brotweizen zur Verfügung zu stellen. Wir werden diesen Weizen also nicht exportieren können, solange die Verträge mit der lokalen Verwaltung bestehen. Meine Befürchtung ist, Brotweizen wird die Ukraine gar nicht mehr exportieren können.
Wie sieht’s beim Mais aus?
Ähnlich! In den besten Jahren hat die Ukraine im Durchschnitt 5 t Mais pro Hektar geerntet. Wir hatten 10 t/ha, aber das ist die Ausnahme. In diesem Jahr werden wir 4 t/ha ernten. Dann kommen wir landesweit auf eine Gesamtmenge von 12 Mio. t oder 13 Mio. t Mais. Der Binnenverbrauch liegt bei 2 Mio. t. Das heißt 11 Mio. t stehen für den Export zur Verfügung. Normalerweise exportiert die Ukraine um die 35 Mio. t Mais. Bei Gerste wird die Ukraine die Position halten und vermutlich bis zu 5 Mio. t exportieren; das hängt aber sehr stark ab vom Wetter im Süden. Ich bin aber absolut überzeugt, dass wir unsere Position beim Sonnenblumenöl halten werden. Bei Sojabohnen werden wir vielleicht etwas zulegen, aber da spielen wir ohnehin keine große Rolle.
Ist überhaupt genügend Saatgut, Pflanzenschutz und Dünger für die Frühjahrsbestellung da?
Physisch ist alles vorhanden. Was fehlt, ist das Geld. Überhaupt kein Problem gibt es bei der Verfügbarkeit von Saatgut. Auch Pflanzenschutzmittel sind da. Beim Dünger können wir sowohl auf heimische Ware als auch auf Importware zurückgreifen. Probleme bereiten die zeitaufwändigen Zollkontrollen, um die Einfuhr von Düngemitteln aus Russland zu verhindern. Dünger ist teuer und deswegen werden ihn die Betriebe nur sehr sparsam einsetzen.
Das Getreideabkommen mit Russland ist kürzlich verlängert worden. Welche Bedeutung hat das für die ukrainische Landwirtschaft?
Es ist unglaublich wichtig. Die Ukraine exportiert derzeit monatlich rund 6 Mio t, vor allem Getreide und andere Agrargüter, die Hälfte davon auf dem Seeweg über Odessa und das Schwarze Meer. Vor dem Krieg lag dieser Anteil bei 99 %. Die andere Hälfte wird auf dem Landweg per Eisenbahn und Lkw transportiert sowie per Schiff über die Donau.
Wie hoch sind die Transportkosten?
Sehr unterschiedlich. Das Getreideabkommen hilft uns, die Logistikkosten zu reduzieren. Wenn wir in unserem Betrieb ausschließlich über die ungarische oder polnische Grenze exportieren würden, lägen die Logistikkosten für uns zwischen etwa 65 € und 75 € pro Tonne. Wenn wir über Odessa verschiffen, ist es die Hälfte. Das Abkommen erlaubt es uns, die Logistikkosten einigermaßen im Griff zu behalten.
Bleibt derzeit was übrig beim Verschiffen über das Schwarze Meer?
Die Logistikkosten sind im Vergleich zum letzten Jahr spürbar gesunken. Für Mais nach China erzielen wir momentan in Odessa einen Preis von umgerechnet 193 € pro Tonne; in alle anderen Regionen liegen die Erlöse um 9 Euro bis 14 € pro Tonne niedriger. Damit verdienen wir etwa 18 €bis 28 €. Das entspricht einer Marge von 10 %. Damit sind wir zufrieden. Letztes Jahr waren wir bei null.
Bringt die Verlängerung des Getreideabkommens die erhoffte Stabilität?
Nein! Nach Unterzeichnung des Abkommens dauert es in der Regel zwei Wochen, bis der Transport anläuft. In der Zeit müssen Verträge abgeschlossen und die Fracht organisiert werden; der Versicherungsschutz muss wirksam werden. Zwei Wochen vor Abschluss des Abkommens passiert genau das Gleiche. Das bedeutet, wenn wir ein Abkommen für 60 Tage haben, haben wir effektiv nur einen Monat Zeit, um zu exportieren. Dann kommen anstelle von 6 Mio. t nur 3 Mio. t durch die Häfen. Läuft das Abkommen vier Monate, wie die ukrainische Regierung sagt, wäre das deutlich besser, weil wir dann drei Monate Zeit haben. Die Ukraine hat ihr Abkommen mit den Vereinten Nationen (UN) und der Türkei unterzeichnet. Darin stehen 120 Tage. Wir wissen aber nicht, was in dem Abkommen steht, das Russland mit der UN und der Türkei abgeschlossen hat. Die Russen verknüpfen ihre Bereitschaft für ein längerfristig geltendes Abkommen unter anderem mit Lockerungen bei den gegen das Land verhängten Sanktionen. Dahinter steckt auch, dass Russland nach einer Rekordgetreideernte 2022 und des Diebstahls von 10 Mio. t aus der Ukraine gezwungen ist, Getreide zu exportieren. Derzeit sind die russischen Läger voll und die Getreidepreise niedrig. Die Russen wollen zuerst ihr Getreide auf den Markt bringen, und dann kommt die Ukraine. Das ist der Hintergrund für die gegenwärtigen Schikanen wie zweiwöchige Kontrollen der Schiffe und die Drohungen, eine erneute Verlängerung über 60 Tage nicht zu akzeptieren.
In Polen und Rumänien gibt es erheblichen Ärger, weil ukrainisches Getreide den dortigen Erzeugern die Preise verdirbt. Befürchten Sie Gegenmaßnahmen?
Nein! Die Kritik ist aus meiner Sicht nicht berechtigt. Nach Ausbruch des Krieges sind die Getreidepreise weltweit um 20 % bis 30 % gestiegen, auch in Polen. Einige Monate später ist die Ukraine auf den Markt zurückgekehrt und die Preise sind wieder gesunken. Das ist eine normale Entwicklung. Dazwischen haben die polnischen und rumänischen Landwirt gut verdient. Das darf man nicht vergessen. Zurzeit sind auch die Preise in Polen ziemlich niedrig. Das wird sich wieder ändern, wenn die Ukraine im kommenden Herbst vom Weltmarkt wieder verschwindet. Angesichts des Auf-und-Ab ergibt es Sinn, die Preise abzusichern. Das ist jedenfalls sinnvoller, als die Marktentwicklung zu beklagen.
Was erwarten Sie in der gegenwärtigen Lage von der deutschen Agrarwirtschaft?
Das Interesse an der Ukraine ist hoch. Wir arbeiten mit vielen deutschen Partnern zusammen. Im nächsten Jahr werden es zwei Jahre sein, in denen wir nicht in die Landtechnik investiert haben. Ich denke, dann wird es einen Boom bei der Landtechnik geben, aber auch im Hinblick auf Saatgut und Pflanzenschutz. Wir haben auf unserem Betrieb normalerweise 20 eigene Mähdrescher im Einsatz und zusätzlich bis zu 50 von Lohnunternehmen. Dieses Jahr hatten wir so gut wie keine Maschinen von Lohnunternehmen, weil die nicht zu uns wollten. Wir haben bis Anfang März Mais gedroschen. Die Leistung der Mähdrescher lag bei jeweils über 4.000 ha. Das heißt, wir müssen diese spätestens 2024 ersetzen. Dann brauchen wir erstens Mähdrescher und zweitens Geld. Das Gleiche gilt für Sämaschinen und Traktoren. Für die deutsche Agrarwirtschaft und speziell für deutsche Landtechnikhersteller kommen gute Zeiten.
Wird die ukrainische Landwirtschaft den Krieg überstehen?
Einige Betriebe werden es nicht schaffen. In meiner Region im Norden und Nordosten geben derzeit für ukrainische Verhältnisse mittlere Betriebe mit 2.000 ha bis 3.000 ha vermehrt auf. Die haben jetzt kein Geld mehr, die Verpächter zu bezahlen und Betriebsmittel zu kaufen. Zwei Termine werden für Klarheit sorgen: Ende Mai werden wir sehen, wie viel Hektar in der Ukraine ausgesät wurden und Ende August wissen wir, wie viel Weizen wir geerntet haben. Wenn die Wetterverhältnisse nicht gut sein sollten und wir zu wenig Weizen ernten, wird es für viele ziemlich schlecht aussehen.
Wie wird der Krieg enden?
Das hängt sehr von der Gegenoffensive der Ukraine ab. Wir erwarten, dass diese in den nächsten Wochen und Monaten startet. Wenn wir da erfolgreich sind, und davon gehe ich aus, wird unsere Armee bis zum Asowschen Meer vorstoßen. Dann bekämen wir bis Ende des Jahres eine gute Ausgangsbasis für die Kommunikation mit den Partnern und Verhandlungen mit den Russen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, die Ukraine wird den Krieg gewinnen. Allerdings wird am Schluss ein Kompromiss stehen müssen und ein Friedensvertrag ausgehandelt werden. Vielleicht gelingt das bis Anfang nächsten Jahres.
Was wird aus Sicht der Landwirtschaft beim Wiederaufbau das Wichtigste sein?
Wir müssen für uns die Frage beantworten, ob wir in die EU wollen oder nicht. Wenn wir dann in einigen Jahren der EU beitreten wollen, muss wir uns in der Ukraine bewusst sein, dass wir im Land die Voraussetzungen dafür schaffen müssen. Das ist vielen bislang nicht klar.
Was bedeutet das für die ukrainische Landwirtschaft?
Wir müssen unsere Landwirtschaft komplett reformieren. Das erfordern allein die Anforderungen, die in der EU an Umwelt-, Klima- und Tierschutz gestellt werden. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass wir mit unseren großen Flächen und den Digitalisierungsmöglichkeiten gute Chancen hätten, uns einzubringen in die europäische Landwirtschaft. In welchen Strukturen das dann möglich ist, auch darüber müssen wir uns Gedanken machen.
Im vergangenen Jahr waren Sie zeitweise frustriert, überlegten sogar, den Betrieb einzustellen. Jetzt wirken Sie zumindest verhalten optimistisch. Überwiegt jetzt der Wille, diesen Krieg zu überstehen und danach die Landwirtschaft wieder aufzubauen?
Bei mir ja. Ich hatte einen Tiefpunkt im Sommer 2022, als wir nicht exportieren konnten und keine Perspektiven sahen. Aber dann habe ich für mich begriffen, dass eine längerfristige Zeitplanung so gut wie gar nicht möglich ist. Ich habe auch verstanden, dass alles, was wir vor dem Krieg mit Digitalisierung erreicht hatten, nicht mehr läuft. Man muss sich an die Kriegszustände anpassen. Ich investiere inzwischen viel mehr Zeit in meine Mitarbeiter. Ich rede sehr viel mit ihnen und merke, dass viele traumatisiert sind. Das sieht man dann auch am Output. Ich nenne ein Beispiel: Wir haben sechs Dieselgeneratoren im Deutschland gekauft, 184.000 € pro Stück. Wir haben die installiert und zwei Tage später war einer verbrannt, aufgrund von Bedienungsfehlern. Vor dem Krieg wäre der Mitarbeiter wahrscheinlich gefeuert worden. Aber jetzt habe ich erfahren, dass sein Sohn gerade erst an der Front gestorben ist. Vor diesem Hintergrund ist ein kaputter Dieselgenerator nicht mehr so wichtig.
Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ich bin nicht euphorisch. Aber ich bin optimistisch, dass wir den Krieg gewinnen werden, damit wir eine vernünftige Zukunft haben. Aber dafür müssen wir noch viel tun. Jetzt ist auch die Zeit für jeden Ukrainer, in die Zukunft zu investieren. Wir sollten uns beispielsweise auch Gedanken machen, wie wir das ukrainische Dorf in Zukunft sehen. Wollen wir es genauso wie in Sowjetzeiten oder wollen wir, dass die Kinder in dem Dorf glücklich sind und die jungen Leute dort leben wollen? Ich denke, die Entscheidung müsste klar sein.