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Alleinstellungsmerkmal „Gläserne Orgel“

Mit Neubau der Kirchenorgel schafft die St. Marienkirche in Rendsburg gleichzeitig einen Kultur- und Erlebnisraum
Von Iris Jaeger
Visualisierung der neuen Orgel in der Rendsburger Marienkirche Foto/Grafik: Freiburger Orgelbau/Orgelbauarchitektur Zickermann

Die mehr als 730 Jahre alte St. Marienkirche in Rendsburg war eine der ersten Kirchen im Land, die schon im 14. Jahrhundert eine Orgel besaß. Das bezeugt eine Reparaturrechnung aus dem Jahr 1420. Eine Tradition, die verpflichtet. Das fand auch der Kirchengemeinderat und entschied sich dazu, die jetzige technisch desolate und konstruktionsbedingt fehlerhafte Orgel aus dem Jahr 1972 nicht noch einmal teuer und aufwendig zu sanieren, sondern sie durch einen Neubau zu ersetzen. Das Besondere: Als Teil einer umfassenden Ausstellung soll sie als „Gläserne Orgel“ Besuchern zugänglich, einsehbar und erlebbar gemacht werden.

Die jetzige Orgel ist nach genauer Analyse durch Gutachter und Orgelsachverständige aufgrund ihres desolaten Zustands nicht mehr erhaltenswert. 
Foto: Iris Jaeger

„Damit möchten wir das Interesse für die Orgel als Musikinstrument und handwerkliches Meisterwerk wecken“, erklärt Pastor Rainer Karstens, Vorsitzender des Kirchengemeinderates. „Gläserne Orgel“ sei dabei ein Arbeitstitel, der nicht bedeute, dass die neue Orgel aus Glas sei, sondern im Sinne von einsehbar, transparent. „Was passiert in so einem Instrument?“, ist nur eine Frage, die beantwortet werden soll. Die Geschichte des Orgelbaus und der Orgelmusik soll ebenso im neuen Kultur- und Erlebnisraum „Gläserne Orgel“ in den Fokus rücken. Damit werde die bereits seit 2019 bestehende Dauerausstellung „Glaubensspuren“ mit Informationen zur Geschichte des christlichen Glaubens und der Kirche in Schleswig-Holstein und Nordeuropa erweitert. Diese Erweiterung erfolge auf der Orgelempore, im angrenzenden Turmzimmer sowie im Kirchenschiff. 2017 hat die Unesco die Tradition von Orgelbau und Orgelmusik in Deutschland zum Weltkulturerbe erklärt, „diesem immateriellen Erbe fühlen wir uns verpflichtet und es muss gepflegt und erhalten werden. Das geht am besten dadurch, dass man Menschen für das Instrument gewinnt und sie dafür interessiert“, erklärt Rainer Karstens.

Ein besonderes Augenmerk liege dabei auf dem regionalen Aspekt, der sowohl den Orgelbau in der Region Rendsburg von den Anfängen bis zur Gegenwart beleuchte als auch die Orgellandschaft in Schleswig-Holstein einem breiten Publikum vorstelle. Als außerschulischer Lernort halte die Rendsburger Marienkirche mit der neuen Orgel und den Ausstellungskonzepten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene einige spannende Entdeckungen bereit. Mit der begehbaren Orgel schaffe man zudem ein Alleinstellungsmerkmal, das auch dem Standort Rendsburg zugutekomme, so Karstens weiter. So seien Synergien mit den Rendsburger Museen und weiteren örtlichen Kulturträgern sowie mit den Tourismusagenturen der Regionen denkbar, ein Ausbau der Zusammenarbeit geplant. „Wir haben hier in der Kirche täglich, auch im Winter, einen regen Publikumsverkehr durch Touristen, Tagesauflügler, Radfahrer und Wohnmobilisten. Laut Statistiken sind es 8.000 bis 10.000 Besucher pro Jahr, die außerhalb von Gottesdiensten und Konzerten in diese Kirche kommen. Mit dem neuen Instrument und den Ausstellungen schaffen wir einen zusätzlichen neuen Anziehungspunkt“, erklärt Kirchenmusiker Volker Linhardt.

Pastor Rainer Karstens, Pastor Karsten Struck und Kirchenmusiker Volker Linhardt (v. li.) stellen das Projekt „Gläserne Orgel“ vor. 
Foto: Iris Jaeger

Finanziert werden soll das insgesamt rund 1,8 Mio. € teure Projekt zum einen durch Spendenmittel in Höhe von 400.000 €, die durch eine umfangreiche Spendenkampagne in den kommenden zwei Jahren generiert werden sollen. „Der Rest wird durch Eigenmittel und Fördergelder der EU erbracht“, erläutert Pastor Karsten Struck, Leiter der vierköpfigen Projektgruppe Kultur- und Erlebnisraum „Gläserne Orgel“. Die EU-Fördersumme belaufe sich auf 757.000 €, die Übergabe des offiziellen Zuwendungsbescheids erfolgte am 18. Juli 2023. Für die Schirmherrschaft konnten die ehemalige Kreispräsidentin Dr. Juliane Rumpf und der ehemalige Rendsburger Bürgermeister Andreas Breitner gewonnen werden. Der Beschluss zum Orgelneubau sei eine Grundsatzentscheidung des Kirchengemeinderates gewesen, so Struck, basierend auf einer genauen Analyse durch Gutachter und Orgelsachverständige, die die bestehende Orgel aufgrund ihres desolaten Zustandes für nicht erhaltenswert erklärten. „In den 1970er Jahren versuchten Orgelbaufirmen, mit industriellen Fertigungsmethoden und neuen Werkstoffen schnell und kostengünstig Orgeln zu bauen und zu liefern, anstatt auf die jahrhundertealte, bewährte Handwerkskunst zu vertrauen. Minderwertige Materialien wie Pressspan, Kunst- und Schaumstoffe, billige elektrische Verkabelungen, Orgelpfeifen von der Stange und vieles mehr führten dazu, dass das Instrument schon nach kurzer Zeit technische und musikalische Disfunktionen und Mängel aufwies. Bereits 1995 wurde die Marienorgel in Rendsburg aufwendig für 200.000 D-Mark saniert, man konnte aber die konstruktiven Mängel nicht beheben. Eine weitere Sanierung hätte die Probleme nur vertagt, aber nicht beseitigt“, erläutert Struck die Entscheidung.

Es erfolgte eine europaweite Ausschreibung des Orgelneubaus. Den Auftrag erhielt die Firma Freiburger Orgelbau Hartwig & Tilmann Späth. Nach der Projektentwicklung und der Ausführungsplanung bis hin zur Genehmigungsreife beginnen jetzt die eigentlichen Arbeiten. Während die alte Orgel im Laufe des Jahres abgebaut wird, arbeitet die Freiburger Orgelbaufirma am Aufbau der neuen. Parallel entwickelt die Kirchengemeinde zusammen mit Kurator Jens Martin Neumann aus Kiel das Konzept für die Inhalte und Gestaltung der Ausstellungsräume. Die feierliche Orgelweihe ist für den Reformationstag am 31. Oktober 2025 geplant. „Das ist sehr ambitioniert, aber bis zum Spätsommer 2025 müssen wir den Verwendungsnachweis vorlegen, heißt, die Orgel muss bis dahin fertig sein“, so Karstens. Vorteil sei, dass die Spender nicht allzu lange auf das neue Instrument warten müssten. 

Infos unter glaeserne-orgel-­marienkirche-rendsburg.de

Blick von der Empore in Richtung des Altars –  Die Rendsburger Marienkirche ist ein Schmuckstück und gehörte bereits im 14. Jahrhundert zu den ersten Kirchen in Schleswig-Holstein, die eine Orgel besaßen. 
Foto: Iris Jaeger 

Das ist für die neue Orgel geplant 

Die neue Orgel wird zirka 3.200 Pfeifen haben, von Bleistiftgröße bis hin zu 6 m hohen Prospekt- und Basspfeifen, die in 45 Klangregister zusammengefasst werden (Disposition). Diese werden auf drei sogenannte Werke (Hauptwerk, Positiv, Schwellwerk) und das Pedal aufgeteilt. Im Klang wird sie französisch-romantisch nach Cavaillé-Coll ausgerichtet sein. Die Disposition ist dabei so vielseitig angelegt, dass auch andere Musikepochen überzeugend interpretiert werden können. Die Spieltrakturen werden mechanisch angelegt, während die Registertraktur elektrisch gesteuert wird und mit einer Setzeranlage ausgestattet ist. Mit einem eigenen Schwellkasten für das Postiv, einem Windschweller für das Récit, einem bis a3 erweiterten Tonumfang sowie zusätzlich elektrifizierten Trakturen (MIDI) ergeben sich weitere musikalische Nutzungsmöglichkeiten. Ein Zimbelstern, eine Celesta und ein Röhrenglockenspiel sind ebenfalls vorgesehen. Im vorderen Orgelbereich werden die Windladen vom Grand-Orgue auf zwei Ebenen übereinander angeordnet. Hier finden auch drei Register des Kleinpedals ihre Aufstellung. Mit einer Stimmgangsbreite Abstand befinden sich dahinter die beiden Schwellwerke, ebenfalls in zwei Etagen. Ganz hinten werden rund um den Besucherdurchgang die Pfeifen des Großpedals positioniert. Das Orgelgehäuse besteht aus einem klangdurchlässigen Stabwerk und nutzt die gesamte Raumhöhe bis zum Gewölbe. In der Front werden vor dem Gitter die in einzelnen Gruppen angeordneten Pfeifen aus Montre 16‘ und 8‘ ohne weitere Gehäuseelemente aufgehängt. Aus der Staffelung der Pfeifenlängen und der Labienverläufe ergibt sich eine elegante, zentrumsbetonte Linienführung, welche die glänzende Pfeifenfläche dynamisch auflockert. Zwischen der stark verzierten Emporenbrüstung und dem relativ niedrigen Gurtbogen präsentiert sich der zurückhaltende Prospektentwurf als moderner, optisch leichter Abschluss der Westansicht des historischen Kirchenraumes. Um den Besuchern die Welt der Orgel auf anschauliche und interessante Weise näherzubringen, werden das Gehäuse und die Gesamtkonstruktion so angelegt, dass sich ein Rundgang um die Orgel ergibt. An mehreren geeigneten Positionen werden verglaste Öffnungen vorgesehen, die einen Einblick in die speziellen Bauteile und Bereiche des inneren Orgelwerkes erlauben. Darüber hinaus lassen sich interaktiv bestimmte Funktionen auslösen, die zum Mitmachen und Ausprobieren anregen, indem zum Beispiel mechanische Teile bewegt, Töne ausgelöst oder Beleuchtungseffekte aktiviert werden können. Der angrenzende, neu einzurichtende Raum im Turm hinter der Orgel setzt die Ausstellung der „Gläsernen Orgel“ fort. Hier wird unter anderem der Magazinbalg der neuen Orgel aufgestellt, der zu Demonstrationszwecken eine manuell bedienbare Schöpfanlage erhält. Unter weiteren orgelbezogenen Exponaten soll sich auch ein Orgelfunktionsmodell befinden.
Freiburger Orgelbau/KG Rendsburg

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