StartNachrichtenAgrarpolitik„Wenn wir heute schweigen, sind wir morgen verschwunden.“

„Wenn wir heute schweigen, sind wir morgen verschwunden.“

Editorial zum Krieg in der Ukraine
Von Mechthilde Becker-Weigel
Das Höhlenkloster in Kiew. Foto: Imago

„Wir sind heute morgen in einer anderen Welt aufgewacht.“ Auf diesen knappen Nenner brachte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den Schock des russischen Überfalls auf die Ukraine. Damit ist auch der Bruch in der europäischen Nachkriegsgeschichte benannt, der mit diesem Akt der militärischen Aggression einhergeht. Europa ist seit dem 24. Februar nicht mehr das, was es war. Die militärische Logik ist zurückgekehrt in die europäische Politik. Die neue Bundesregierung war zu diesem Zeitpunkt erst 79 Tage im Amt und erlebt eine weltpolitische Krise, die wahrscheinlich weit jenseits unserer Vorstellungskraft lag. In der Ukraine zeigt ein Präsident, der noch vor vier Jahren Komiker und Schauspieler war, in der Stunde größter Not staatsmännisches Format und kommunikative Stärke. Wolodimir Selenski warnte schon vor dem Einmarsch der Russen: „Wenn wir heute schweigen, sind wir morgen verschwunden.“

Welchen Preis die Sanktionen gegen Russland haben werden, wird sich zeigen. Mögliche wirtschaftliche Folgen sind Cyber-Angriffe auf die kritische Infrastruktur, etwa auf die Energieversorgung. Der Betrieb Tausender Windkraftanlagen in Europa ist aktuell wegen eines Hackerangriffs und Störung der Satellitenverbindung weiter eingeschränkt. Ein Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine wird nicht ausgeschlossen.

Ein existenzieller Preis ist die Ernährungssicherheit. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine und die EU-Sanktionen gegen Moskau werden Landwirten, Verbrauchern, Düngemittelherstellern und Agrarexporteuren in der EU schaden. Die Ukraine und Russland sind wichtige Exporteure auf dem globalen Getreidemarkt und vereinigen zusammen fast ein Drittel der globalen Weizenexporte auf sich. Deutschland importiert einen großen Teil Raps und Sonnenblumenkerne aus der Ukraine. Es ist zu erwarten, dass die ukrainische Aussaat von Mais und Sommergetreide im Frühjahr gestört wird. Dadurch wird die Krise sich auch mittelfristig auswirken und die diesjährige Ernte beeinflussen. Durch höhere Gas- und Energiepreise können sich die Sanktionen gegen Russland auf die Düngemittelpreise und -verfügbarkeit auswirken.

Der Getreidemarkt zeigt derzeit eine beispiellose Volatilität, was dazu führte, dass der physische Handel teils ausgesetzt wurde (siehe Seite 82). An den Börsen hat sich ein Fenster für Spekulanten geöffnet, die in solchen Krisensituationen gleich bereitstehen. Auch am Kassamarkt ist Vorsicht geboten, da sich die Preise innerhalb weniger Minuten um mehrere Prozentpunkte ändern können. 
Ein fataler Effekt ist auch, dass mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, die das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) in Krisenregionen verteilt, aus der Ukraine stammt.

Spätestens nach der ersten Empörungswelle werden wir uns fragen müssen: Welchen Preis sind wir tatsächlich bereit dafür zu zahlen, Putin und seine Kriegsmaschine zu stoppen? Die Zielkonflikte liegen auf der Hand. Flächen­einschränkungen und die absehbare Reduktion des Ertragsvolumens durch pflanzenbauliche Einschränkungen, die mit dem Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie einhergehen, werden ihren Preis haben. Einen Vorgeschmack liefert die derzeitige Inflation. Höhere Ausgleichszahlungen helfen vielleicht der Landwirtschaft, machen aber keinen satt, wenn nichts angebaut werden kann. Wie weit ist die Gesellschaft tatsächlich bereit, die Sanktionen mitzutragen? Im Zweifel wird man im nächsten Winter mit Pullover in der Wohnung sitzen und auf die eine oder andere Delikatesse verzichten. Oder doch lieber ein Arrangement mit dem Aggressor? Dem steht entgegen, dass es bei Putins Krieg gegen die Ukraine auch um einen Krieg gegen westliche Demokratien geht.

Nach populärer Interpretation symbolisieren die Farben in den Flaggen ein typisches Landschaftsbild der Kornkammer Europas. Als Zeichen unserer Solidarität und für den Wunsch nach einem schnellen Frieden in der Ukraine haben wir das Bauernblattlogo auf der Titelseite bis auf Weiteres geändert.

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