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Krieg in der Ukraine verändert die Welt

Auswirkungen auch auf die Landwirtschaft
Von Mechthilde Becker-Weigel, Tonio Keller
Solange noch Diesel zur Verfügung steht, versuchen die Bauern die Schlepper am laufen zu halten, wie hier in der West-Ukraine am vorigen Mittwoch. Foto: privat/Imago, Bearbeitung: Dierk Paasch

Der russische Überfall am 24. Februar war die Eröffnung des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Seitdem ist in dem stark von der Landwirtschaft geprägten Land nichts mehr, wie es war. Ein großer Flüchtlingsstrom ist Richtung Westen in Bewegung, es sind Frauen und Kinder. Männer zwischen 18 und 60 dürfen das Land nicht mehr verlassen. Westliche Unternehmen reagieren mit Rückzug und Stillstand ihrer Geschäfte in Russland.

Am Donnerstag voriger Woche wurde der Militärflughafen der westukrainischen Stadt Luzk von russischem Militär bombardiert und lahmgelegt. Am Freitag nach dem Angriff hat Vitalij, ein befreundeter ukrainischer Landwirt, mit dem Düngerstreuen begonnen. Sein Betrieb ist 20 km von Luzk entfernt. Seine Mitarbeiter sind nicht geblieben und schnell wieder nach Hause gegangen. „Meine Leute haben Angst vor den Feldarbeiten wegen Luftschießerei“, schrieb er in seiner WhatsApp-Nachricht. Seit dem Wochenende ist es wieder ruhig. Einige Mitarbeiter sind zurückgekehrt und haben Vorschusszahlungen erhalten – für Lebensmitteleinkäufe und Benzin.

Am Mittwoch dieser Woche ging es weiter mit dem Düngerstreuen auf den Rapsschlägen, und am Wochenende soll der Weizen dran sein, aber die Dieselreserven werden knapp. „Wir haben noch zwei Tonnen Diesel. Ich habe vor dem Krieg gekauft, aber es wurde nicht mehr rechtzeitig geliefert“, berichtet Vitalij. In der Zwischenzeit hat er die Armee unterstützt und Getreide verladen. 5 t Weizen wurden getauscht gegen Mehl, das direkt von der Mühle nach Kiew geliefert werden soll. Neue Schlepperreifen, die er bestellt hatte, sind einen Tag zu spät gekommen, die polnische Grenze war schon dicht, und der österreichische Spediteur hat die Reifen in Polen beim Zoll abgeladen, unerreichbar aus heutiger Sicht.

Wie es weitergeht weiß Vitalij nicht. Aufgeben kommt nicht infrage. Bis zur Ernte kann noch niemand denken. Mit diesen Sorgen kämpfen alle Betriebe in der Ukraine, egal welcher Größe. Ausländische Betriebsleiter konnten das Land verlassen und haben die Betriebsleitung Mitarbeitern überlassen.

Nach dem Bombenangriff auf den Flughafen bei Luzk wurden die Feldarbeiten wieder aufgenommen. Foto: privat

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, verurteilt den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste: „Die deutschen Bauern stehen solidarisch an der Seite des ukrainischen Volkes und sind in Gedanken bei unseren Berufskolleginnen und -kollegen und deren Familien, die massiv unter den russischen Angriffen leiden. Als Deutscher Bauernverband tragen wir die gegen Putin gerichteten Maßnahmen der Bundesregierung mit, auch wenn es für unsere Branche zu großen Herausforderungen kommen könnte.“

Flächenstilllegung aussetzen

Der DBV hat aber auch dazu aufgerufen, die EU-Agrarpolitik zu hinterfragen. So sagte Rukwied gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, nicht nur die Außen- und Sicherheitspolitik müsse neu gedacht werden, auch die Liefer- und Logistikketten. Die Versorgungssicherheit für Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel müsse dabei im Mittelpunkt stehen. „Können wir es uns noch leisten, Flächen stillzulegen?“, fragte Udo Hemmerling, der stellvertretende DBV-Generalsekretär.

Ernährungssicherheit

Alle Mitglieder von Copa-Cogeca, der Dachorganisation der europäischen Landwirtevereinigungen und landwirtschaftlichen Genossenschaften, haben in der vorigen Woche anlässlich der Präsidiumssitzungen ihre Solidarität mit dem ukrainischen Volk zum Ausdruck gebracht. Die Solidarität beschränke sich nicht auf Worte, Copa-Cogeca werde in den kommenden Tagen entsprechend der Entwicklung des Konflikts konkrete Maßnahmen umsetzen. In Kriegszeiten erlange der Fokus auf Ernährungssicherheit entscheidende Bedeutung, und es sei essenziell, frühzeitig die notwendigen Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die am stärksten betroffenen Menschen in der Ukraine und weltweit weiterhin mit Lebensmitteln versorgt werden könnten. Dies sei der Moment, um die geeinte europäische und internationale Zusammenarbeit weiter zu stärken.

Frauen und Kinder flüchten mit dem Zug aus der Ukraine Richtung Westen. Foto : Imago
Menschen, die die Ukraine verlassen wollen, stehen in kilometerlangen Schlangen an der Grenze. Foto : Imago
Majdan Nesaleschnosti, der Platz der Unabhängigkeit in Kiew, zwei Tage vor dem Überfall. Foto : Imago


Märkte überwachen

Die französische Ratspräsidentschaft hat sich angesichts der zu erwartenden Verwerfungen in der europäischen Agrar- und Ernährungswirtschaft dafür ausgesprochen, die Überwachung sämtlicher relevanter Märkte maximal auszuweiten und dafür den Europäischen Mechanismus zur Krisenvorsorge und Krisenreaktion im Bereich der Ernährungssicherheit (EFSCM) einzusetzen. Besondere Aufmerksamkeit erfordert nach Einschätzung der Franzosen die Versorgung der Tierhalter und insbesondere der Schweinehalter mit Futtermitteln.

Die polnische Agrarbranche sieht durch den Krieg und die dadurch ausgelösten Verwerfungen an den Agrar- und Energiemärkten vorläufig keinen Spielraum zur Umsetzung des Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie. Fachverbände der polnischen Landwirtschaft, Agrarhändlern und Züchter forderten die EU-Kommission auf, das Inkrafttreten der Strategien zu verschieben.

Landtechnikindustrie

Die Landtechnikindustrie blickt mit Sorge auf die zu erwartenden Folgen des Krieges, doch die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung steht im Vordergrund. Der Maschinenbauverband VDMA spricht gewiss für die allermeisten, indem er den Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf verurteilt und die Sanktionen des Westens gegen die russische Regierung eindeutig unterstützt. „An erster Stelle steht die Sorge um das Wohl der Menschen in der Ukraine“, sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: „Daraus ergibt sich auch die Herausforderung, mit wirksamen und konsequenten Sanktionen zu einem Ende der Gewalt beizutragen.“

Das Landtechnikgeschäft mit Russland sowie der Ukraine hat sich in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet mit Tendenz nach oben vor der Krise. Der VDMA schätzt den Umfang des Exports 2021 auf rund 500 Mio. €, dazu komme noch einmal die etwa gleiche Höhe von Umsätzen in den Produktionsstätten vor Ort, mit der Ukraine sei Landtechnik im Wert von 300 Mio. € gehandelt worden. So betreiben in Detschino (Kaluga) 200 km südwestlich von Moskau die Firmen Grimme, Lemken, Big Dutchman und Wolf System Niederlassungen, Amazone hat einen Standort in Samara gut 1.000 km weiter östlich an der Wolga. Claas betreibt ein Werk in Krasnodar, nur 150 km von der Halbinsel Krim, Horsch über die Tochterfirma Horsch Rus eines in Roshchinskiy 600 km vor der kasachischen Grenze. Die Firma hat auch eine ukrainische Tochter in Velyka Soltanivka nur 40 km südwestlich von Kiew.

Tenor der gesamten Branche ist, dass man noch nicht abschätzen könne, wie sich Kriegshandlungen und Sanktionen oder Gegensanktionen auswirken werden. Es würden verschiedene Szenarien entwickelt und die Entwicklung beobachtet. Doch nicht nur wirtschaftliche Aspekte stehen dabei im Vordergrund, sondern auch die Sorge um die Sicherheit der Kollegen, die sich in Russland oder gar noch in der Ukraine befinden.

Lebensmittel

Verschiedene deutsche Lebensmittelgroßhändler haben vor Kriegsbeginn den Eintritt in das Geschäft mit der Ukraine gar nicht erst aufgenommen oder rechtzeitig gestoppt, etwa die Schwarz-Gruppe, Kaufland oder Lidl. Metro hingegen betreibt 93 Filialen in Russland mit rund 10.000 Mitarbeitern und 26 in der Ukraine mit 3.400 Mitarbeitern. Das Geschäftsvolumen beträgt insgesamt mehr als 3 Mrd. €. Entsprechend hart werden die Ereignisse den Konzern treffen. 16 ukrainische Metro-Filialen wurden vorsorglich geschlossen. Andererseits will der Großhändler die Versorgung der örtlichen Bevölkerung so gut wie möglich aufrechterhalten. Dies gilt auch für die ukrainischen Marktführer wie ATB oder Fozzy, die ihre Läden möglichst offenhalten wollen. „Wir arbeiten, backen Brot und finden kreative Wege, um Waren hereinzubringen“, heißt es bei der Supermarktkette Silpo von der Fozzy-Group.

Im Importgeschäft werden nun vielerorts russische Lebensmittel aus dem Sortiment verbannt, so bei Aldi, Rewe und Netto, Edeka prüft noch einen Boykott. Zwar finden sich hierzulande nicht allzu zahlreiche russische Produkte in den Supermärkten, sie haben aber Symbolkraft: So soll es bei Aldi keinen Wodka mehr geben. Viele Solidaritätserklärungen mit der Ukraine lanciert der Lebensmitteleinzelhandel. Aldi Nord bekennt sich zu Europa mit „gemeinsamen Werten und einer demokratischen Grundordnung“. Edeka zeigt die ukrainische Flagge in den Sozialen Medien mit dem Motto „Freiheit ist ein Lebensmittel“. mbw, kel, age

Beschäftigung ukrainischer Staatsangehöriger

Im Zuge des Krieges stellen sich auch Fragen im Zusammenhang mit der Beschäftigung ukrainischer Staatsangehöriger.

Ukrainische Staatsangehörige, die sich bereits in Deutschland aufhalten, können bei ihrer zuständigen Ausländerbehörde die Erteilung oder Verlängerung ihres Aufenthaltstitels beantragen. Es ist ihnen nicht zumutbar, das Visumverfahren einzuhalten.

Personen, deren Aufenthaltstitel oder visumfreier Aufenthalt in Kürze endet, sollten baldmöglichst einen Aufenthaltstitel beantragen. Es wird derzeit geklärt, ob in diesen Fällen eine Arbeitsaufnahme ohne weitere Prüfung zu genehmigen ist.

Um eine schnelle Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge zu ermöglichen, wird derzeit auf EU-Ebene geprüft, ob die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie angewendet werden kann. Geflüchteten könnte danach ein Aufenthaltstitel unbürokratisch von den Ausländerbehörden erteilt werden. Dieser würde für ein Jahr erteilt und könnte auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Der Arbeitsmarktzugang würde ohne Einschränkung bereits mit Zustimmung der Ausländerbehörde gewährt. Auch der Zugang zu Integrationskursen wäre möglich. Wenn der Lebensunterhalt nicht selbstständig gesichert werden könnte, wäre eine Lebensunterhaltssicherung möglich. Der Zugang zu den regulären Asylverfahren würde jederzeit offenstehen. Lena Preißler-Jebe, bvsh

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