Marion Thishen-Hendess gehört zu den deutschlandweit ersten 22 zertifizierten Natur- und Landschaftsführern mit dem Schwerpunkt Moore in Hamburg und Umgebung. Im Juli 2023 schloss sie dafür einen Lehrgang bei der Loki-Schmidt-Stiftung ab. Seitdem begleitet sie Kinder- und Erwachsenengruppen auf eine spannende Entdeckungstour durch das Ohmoor am Stadtrand von Hamburg.
„Es ist mein absolutes Lieblingsmoor. Ich wohne in der Nähe und bin mit dem Gebiet seit Jahren vertraut“, erzählt Naturführerin Marion Thishen-Hendess begeistert. Der Lebensraum Moor sei mit seiner kargen Flora und Fauna einfach anders als das, was man gemeinhin kenne. Seine Ausstrahlung sei magisch und bezaubernd. Auch wenn gerade norddeutsches Schmuddelwetter herrsche und viel Regen von oben komme, mache ihr das nichts aus. „Ich freue mich immer, wenn es regnet, denn das Ohmoor ernährt sich ausschließlich von Regenwasser. Gibt es keinen Niederschlag, fällt das Moor trocken“, erklärt sie und ist schon mittendrin im Thema, während wir zu einer Rundwanderung aufbrechen.
„Das etwa 51 Hektar große Ohmoor hat sich nach der letzten Eiszeit gebildet. Es ist zirka 8.000 Jahre alt. Es ist der Rest eines ursprünglich 450 Hektar großen atlantischen Hochmoores. Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein erhob es sich bis zu vier Meter über die Landschaft“, informiert sie. Entwässerung, Torfabbau, Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen und eine Bebauung, besonders aber die Errichtung des hier ansässigen Hamburg Airports, hätten den Charakter des Gebiets enorm verändert. Das merken wir hautnah, als plötzlich ein Flugzeug lautstark über uns hinwegfegt. Dies wird sich während des Moorspaziergangs mehrmals wiederholen. Nicht nur wir halten dann in der Unterhaltung inne, auch die Vögel verstummen. Erst nach einer Weile fahren sie mit ihrem Konzert fort. „Der Flughafen ist Fluch und Segen zugleich“, sagt Thishen-Hendess und schaut gen Himmel. Auf der einen Seite sorge er beispielsweise dafür, dass wegen der Flugsicherheit regelmäßig das nahe liegende Gebiet von schnell wachsenden Birken, die hier ursprünglich nicht hingehörten, befreit werde, auf der anderen Seite würden die Randbereiche des Moores durch die entstehenden Emissionen beeinflusst.
„In den 1990er Jahren begannen im Kernbereich Renaturierungsmaßnahmen zur Wiedervernässung und Wiederausbreitung hochmoortypischer Pflanzen. Mit der Ausweisung des Ohmoors als sogenanntes FFH-Gebiet, die Abkürzung steht für Fauna-Flora-Habitat-Gebiet, besteht eine Verpflichtung, den gegenwärtigen ökologischen Zustand des Moorgebiets zu erhalten“, stellt die 51-Jährige heraus und stoppt vor einer kleinen Kostbarkeit der Natur, dem Wollgras. „Toll, wie es wächst und gedeiht. Im vorigen Jahr war es wegen Trockenheit fast verschwunden.“ Die weißen, flauschigen Puschel wiegen sich sanft auf ihren dünnen Halmen im Wind. Idyllisch! Gegenüber fällt eine Fläche in den Blick, die mit Torfmoos, der wichtigsten Pflanze im Moor, dicht bedeckt ist. „Hier sieht man eine für Hochmoore charakteristische Bult-Schlenken-Struktur. Bulte sind kleine aufgebaute Erhebungen im Moor, auf denen das Wollgras oder verschiedene Heiden wachsen.
Die Schlenken, nasse Mulden zwischen den Bulten, werden von grünen Torfmoosen, dem Sonnentau und weiteren Pflanzen besiedelt, die mit dem sauren, nährstoffarmen Milieu zurechtkommen“, erläutert sie. Mit ihrem Spazierstock fischt sie ein Stückchen Torfmoos heraus. „Torfmoose sind praktisch unsterblich, sie können unbegrenzt wachsen. Da sie keine Wurzeln haben, ernähren sie sich von Regenwasser und den darin enthaltenen Nährstoffen, die sie speichern. Wachsen sie, stirbt der untere Teil der Pflanze wegen des Luftabschlusses im Moor ab. Organische Substanzen werden hier nicht oder nur in Teilen zersetzt und werden zu Torf.“ Das geschehe sehr langsam. Das Moor wachse nur 1 mm pro Jahr.
Marion Thishen-Hendess erklärt, dass Moore zu den bedrohtesten, seltensten und wertvollsten Lebensräumen gehörten, die wir in Deutschland hätten. „Moorschutz heißt vor allem, den Wasserstand in den Mooren wieder in Ordnung zu bringen. Ein Moor muss nass sein“, bringt sie es auf den Punkt. Würden Moore entwässert, um sie als Grün- oder Siedlungsland zu nutzen, gelange Luft an den Moorkörper. In der Folge entwichen große Mengen des gespeicherten CO2 sowie zusätzlich Lachgas (N2O), dessen klimaschädliche Wirkung etwa 300-mal höher als die des CO2 sei. „Intakte Moore sind riesige Kohlenstoffspeicher und deshalb natürliche Verbündete für den Klimaschutz“, betont sie. Nach diesem theoretischen Diskurs geht’s weiter durch das Gelände – doch stets auf den Wegen! „Das Moor hat durchaus seine Tücken. Man sollte auf ausgeschilderten Wegen bleiben, um nicht einzusacken, und mitgebrachte Hunde unbedingt an der Leine führen“, rät sie.
Im Moor lauerten zudem Kreuzottern, die einzigen heimischen Giftschlangen. „Sie bevorzugen Lebensräume mit hoher Luftfeuchtigkeit, ob Waldränder, Moorrandgebiete oder feuchte Niederungen. Ihre Nahrung besteht aus Kleinsäugern, Eidechsen und Fröschen“, bemerkt die Moorführerin. Von sich aus würden sie niemals große Tiere oder Menschen angreifen. Sie verteidigten sich nur, wenn sie beim Sonnenbad überrascht würden. „Im Ohmoor kam es schon zu Verteidigungsbissen gegen Hunde. Auch deshalb ist es angezeigt, Vierbeiner an der kurzen Leine durchs Schutzgebiet zu führen. Zwischendurch kann man ruhig mal in die Hände klatschen, damit die Kreuzottern die Chance haben, sich zurückzuziehen.“ Außer ihnen seien an sonnigen Tagen zarte Libellen zu entdecken. „Eine Besonderheit ist die Hochmoor-Mosaikjungfer. Die Weibchen legen ihre Eier ausschließlich in die Polster von Torfmoos-Schwingrasen“, so die Naturführerin.
Torfmoos-Schwingrasen? „Das ist eine über freiem Wasser schwimmende Pflanzendecke aus Moosen und anderen Ausläufer bildenden Pflanzen. Beim bloßen Hinsehen könnte man meinen, die Fläche sei Rasen und begehbar. Doch man sinkt gefährlich ein, wenn man sie betritt“, warnt sie und ergänzt, dass es im Himmelmoor bei Quickborn einmal zu einem Zwischenfall gekommen sei, bei dem ein älterer Herr versehentlich vom Weg abkam und bis zur Hüfte im Moor versank. Allein mit Menschenkraft sei es nicht möglich gewesen, ihn zu befreien. „Dafür musste mit der dortigen Torfbahn ein Bagger herangeschafft werden, der ihn an einem Seil herauszog.“
Wir bleiben also auf sicheren Wegen, sehen Heidelbeerbüsche, den Faulbaum, die heimische Traubenkirsche und eine seltene Nacktschnecke, genannt Schwarzer Schnegel. Bei einer grabgroßen, nassen Mulde, aus der früher Torf gestochen wurde, legen wir eine kurze Pause ein. „Bei einer meiner Führungen erzählte hier eine ältere Dame aus der Umgebung, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg als kleines Mädchen von nur acht Jahren mit ihrem Vater ins Moor gehen musste, um Torf zum Heizen zu stechen. Sie kletterte damals in solch ein feuchtes Loch hinein und half, die mit einem Spaten abgestochenen, schweren Platten nach oben zu wuchten, wo sie bis zum Herbst lagerten und trockneten. Es war eine enorm anstrengende Arbeit. Die herumschwirrenden Mückenschwärme plagten fürchterlich. Als die Teilnehmerin sich daran zurückerinnerte, fing sie an zu weinen. Das war sehr bewegend.“
Wenn man mit Marion Thishen-Hendess durchs Moor streift, ist zu spüren, mit wie viel Herzblut, Enthusiasmus und profundem Fachwissen sie bei der Sache ist. „Nur was wir kennen, können wir schützen. Dazu möchte ich mit meinen Führungen einen Beitrag leisten“, meint sie schlicht.
Am Sonntag, 2. Juni, von 10 bis 12 Uhr, lädt sie große und kleine Naturfreunde zu einer Entdeckertour auf den Spuren des Wollgrases im Ohmoor ein. Treffpunkt: Sachsenstieg 3, Hamburg. Anmeldungen bis zum 27. Mai unter: thishen-hendess@web.de, weitere Infos unter ichgehemeinenweg.de
Info
Die Hamburger Loki-Schmidt-Stiftung kauft, gestaltet und pflegt seit mehr als 40 Jahren Grundstücke für den Naturschutz, damit selten gewordene Pflanzen- und Tierarten dort überleben können. Anfang 2024 startete sie mit Förderung der Vertical Stiftung eine Bildungsoffensive rund ums Moor. Schulklassen, Familien und Erwachsene haben das ganze Jahr über vielfältige Möglichkeiten, bei geführten, monatlichen Exkursionen Moorgebiete in Norddeutschland zu erkunden. Termine unter loki-schmidt-stiftung.de/moore-entdecken