Das Leaky-Gut-Syndrom – eine gesteigerte Durchlässigkeit der Darmwand – kann auftreten, wenn Kühe zur starker Hitze ausgesetzt sind. Wie können die Tiere geschützt werden?
Die Gesundheit des Verdauungstraktes spielt eine Schlüsselrolle für das Wohlbefinden von Milchkühen. Wissenschaftler am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf, Mecklenburg-Vorpommern, suchen im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes „Leaky Cow“ nach den Ursachen für eine durchlässige Darmbarriere bei Kühen. Vor vier Jahren wurde erstmals belegt, dass hohe Umgebungstemperaturen einen direkten Einfluss auf die natürliche Darmbarriere von Milchkühen haben können (kurze-links.de/ozi4).
Heikel wird es ab 15 Grad
Eine durch Hitze beschädigte Schutzbarriere gibt den Weg frei für Pathogene und Bakterien, die in tiefere Schichten des Darms eindringen können. Ähnliche Prozesse einer gestörten Darmbarriere gibt es auch beim Menschen (Zöliakie, Morbus Crohn). Allerdings resultiert die gesteigerte Darmdurchlässigkeit bei den Kühen nicht aus einer Autoimmunreaktion, sondern wird durch Hitzestress ausgelöst. Milchkühe sind Umwelteinflüssen aufgrund der (halb-)offenen Haltungssysteme direkt ausgesetzt.
Somit steht man vor großen Herausforderungen, angesichts des Klimawandels die Tiergesundheit und das Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. In Abhängigkeit von der Leistung zeigen Milchkühe bereits ab 15 °C erste Anzeichen von Hitzestress. Deutlich lässt sich die Belastung unter Berücksichtigung der Luftfeuchtigkeit mit dem Temperatur-Luftfeuchtigkeits-Index abbilden.
Zur Ableitung der überschüssigen Wärme erweitern sich die Blutgefäße der Haut. Zusätzlich kann durch Hecheln und Schwitzen Wärme abgeführt werden. Wirken diese Anpassungsmechanismen nicht mehr, steigt die Körpertemperatur, und die Tiere geraten in Hitzestress. Sie reagieren mit einem Rückgang der Futteraufnahme und Milchleitung. Darüber hinaus zeigen sie ein verändertes Verhalten mit verkürzten Liegezeiten und geringerer Wiederkauaktivität.
Die Immunantwort
Noch nicht ausreichend ergründet sind die Auswirkungen auf die Darmgesundheit. Um die Wärme von der Körperoberfläche abzuleiten, verringern sich die Durchblutung und somit die Sauerstoffversorgung des Darms. Die Darmwand wird so für die im Darm angesiedelten Mikroorganismen durchlässiger, sodass Entzündungsreaktionen im Darm und in den angrenzenden Lymphknoten auftreten können. Zudem treten bakterielle Toxine aus dem Darm in die Blutzirkulation über und lösen Entzündungsreaktionen im Körper aus. Dann beansprucht das Immunsystem einen Großteil der Energie, um gegen die Ursachen des Leaky-Gut-Syndroms anzukämpfen.
Am FBN untersucht ein Team um Dr. Franziska Koch die Auswirkungen des Leaky-Gut-Syndroms näher, um fütterungs- und haltungsbezogene Lösungen zur Linderung der Entzündungen bei Hitze zu entwickeln. Um den Einfluss von kurzzeitigem und lang anhaltendem Hitzestress auf die Immunabwehr, die Durchlässigkeit des Darms und die Besiedlung der Darmschleimhaut zu untersuchen, wurden Milchkühe verschiedenen Umgebungstemperaturen ausgesetzt. Während sich bei der Kontrollgruppe in einer Umgebung von 15 °C Wohlbefinden zeigte, wurde eine andere Gruppe im Klimaraum Temperaturen von 28 °C ausgesetzt.
Es konnte gezeigt werden, dass hitzegestresste Tiere keine Fettreserven nutzen, um den Energiemangel auszugleichen. Stattdessen bauen Kühe unter Hitzestress körpereigene Proteine zur Energiegewinnung ab. Das sorgt dafür, dass weniger Wärme erzeugt wird. Mithilfe einer Thermokamera konnte in Zusammenarbeit mit der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern zudem nachgewiesen werden, dass das Euter besonders viel Wärme abgibt. Gleichzeitig nimmt das Risiko für Euterentzündungen zu.
Management bei Hitzestress
Mit dem Abschluss des Forschungsprojektes „Leaky Cow“ wird deutlich, wie wichtig das Stallklima für die Tiergesundheit ist. Für ein erfolgreiches Hitzestressmanagement sollte beispielsweise die Wasserversorgung in den Ställen und Weideflächen überprüft werden. Hitzegestresste Milchkühe benötigen täglich 120 bis 180 l statt 60 bis 90 l Wasser. Es sollte möglichst kalt und stets verfügbar sein.
Einfache Schatten spendende Dächer und Bäume auf der Weide bieten Schutz vor Überhitzung während der heißen Mittagszeit. Im Stall kann der zusätzliche Einbau von Ventilatoren oder Wassersprinkleranlagen – in Florida, Israel oder Italien üblich – helfen, die Tiere abzukühlen und das Tierwohl zu steigern. Auch in der Rationsgestaltung der Milchkühe gibt es Potenzial, die fermentative Wärmeproduktion in der Verdauung über beispielsweise einen geringeren Faseranteil zu senken.
Fazit
Der Hitzestress beeinträchtigt das Tierwohl erheblich. Es ist deshalb wichtig, die grundlegenden Mechanismen unter Hitzestress zu verstehen, um praxistaugliche Lösungsansätze für die Nutztierhaltung zu entwickeln. So stellt eine Abkühlung mit der knappen Ressource Wasser nicht überall eine Alternative dar, während der Einbau von Ventilatoren in den Stallanlagen eine sinnvolle Investition ist.