Zum 80. Todesjahr von Kaj Munk erinnert das Bauernblatt an ein fast vergessenes Ereignis deutsch-dänischer Geschichte. Der Pastor und Dichter aus Vedersø wurde am 4. Januar 1944 Opfer des ersten deutschen Vergeltungsmordes in Dänemark. Mit der Tötung des streitbaren Patrioten sollte der Widerstand im dänischen Volk gegen die Besatzung durch das Großdeutsche Reich eingeschüchtert werden.
Foto: Silke Bromm-Krieger
Es ist der 4. Januar 1944. Gegen 20 Uhr fährt ein silbergrauer Opel Kapitän auf den Pfarrhof. In ihm sitzen fünf Männer eines SS-Kommandos. Drei gehen zur Tür des Pfarrhauses und verlangen, den Hausherrn zu sprechen. „Kriminalpolizei. Ist Kaj Munk zu Hause?“ Sie fragen auf Dänisch, doch die Männer sind Deutsche. Ehefrau Lise weiß, ihr Mann ist im Schlafzimmer, geht aber hinauf in sein Arbeitszimmer. Die Männer folgen. Will sie Kaj Zeit zur Flucht verschaffen? Doch dieser kommt ihnen schon entgegen und wird verhaftet. Als er Lise, die mit fünf kleinen Kindern zurückbleibt, zum Abschied umarmt, sagt er: „Stol på Gud!“ (Vertraue auf Gott). Es ist etwa 20.15 Uhr, als die SS-Schergen mit ihm davonfahren.
Zwölf Stunden später, am 5. Januar 1944 um 8.15 Uhr, findet der Maurer Anton Seithen die Leiche von Kaj Munk in Hørbylunde Bakker bei Silkeborg. Zwei Schüsse in die linke Schläfe und einer durch den Hals haben ihn niedergestreckt. Der Terrorschlag war zuvor von Adolf Hitler und Heinrich Himmler angeordnet worden. Erst nach dem Krieg werden die Täter, soweit möglich, vor Gericht gestellt.
Wer war dieser Kaj Munk, der zur Stimme des Widerstands wurde? In Deutschland ist er weithin unbekannt. Aber seit drei Jahrzehnten beschäftigt sich Paul Gerhard Schoenborn aus Wuppertal mit ihm. „Ich bemühe mich, meinen Teil dazu beizutragen, dass man Kaj Munk auch im deutschen Sprachraum stärker wahrnimmt“, meint der mittlerweile 90-jährige evangelische Pastor im Ruhestand. So hat er eine Vielzahl von Publikationen über Munk und seine Werke im NordPark Verlag veröffentlicht. Aber der Reihe nach.
Kaj Munk wird am 13. Januar 1898 in Maribo auf Lolland geboren. Seine Eltern sterben früh. Deshalb adoptieren ihn mit fünf Jahren die Cousine seiner Mutter, Marie Munk, und ihr Mann Peter, die Kleinbauern in Opager bei Maribo sind. „Kaj war sehr begabt, intelligent und wissbegierig. Früh war erkennbar, wie gut er mit seiner Muttersprache, mit den Worten, mit dem Klang und dem Rhythmus von Reimen umgehen konnte“, erzählt Schoenborn und ergänzt, dass der Junge schon als Schüler eigene Kurzgeschichten, Choräle und Dramen schrieb. „Er spürte in sich eine doppelte Berufung, die zum Dichter und die zum Verkündiger des Wortes Gottes.“
Seine Eltern wollen, dass er Pastor wird. Sie ermöglichen ihm unter großen Opfern das Studium der Theologie in Kopenhagen, auch wenn Kaj zeitweilig überlegt, es abzubrechen, um Schriftsteller und Dichter zu werden. Doch er besteht das Examen und übernimmt ab 1924 bis zu seinem gewaltsamen Tod das Pfarramt in der 300-Seelen-Gemeinde Vedersø an der Nordseeküste Jütlands. Er wirkt unter Bauern, Fischern und Tagelöhnern und ist nebenbei schriftstellerisch tätig. Zunächst lebt er allein im Pastorat, bis er 1929 Elise Marie Jørgensen heiratet, eine Großbauerntochter aus dem Dorf, die er Lise nennt. Die beiden bekommen die Kinder Yrsa (1931), Helge (1933), Arne (1934), Inger Solvejg (1936) und Mogens (1938).
Foto: Silke Bromm-Krieger
Während Munk seine Aufgaben als Pastor und Familienvater versieht, ist er weiterhin als Bühnenautor, Dichter, Kolumnist und Redner tätig. 1928 führt das Königliche Theater in Kopenhagen erstmals sein Bühnenstück über Herodes den Großen, „Ein Idealist“, auf. Dadurch wird er als Dramatiker bekannt. Vor allem zwei Schauspiele begründen seinen Ruhm. „Das Wort“ heißt das eine. Es spielt unter Bauern eines jütländischen Dorfes und handelt vom frühen Sterben und vom Glauben an das Wunder der Auferweckung. Ein Geschehen in seiner Gemeinde gab dafür den Anlass. Eine junge Bäuerin und ihr Kind starben im Kindbett, was Munk schwer erschütterte.
Das andere Theaterstück „Er sitzt am Schmelztiegel“ hat die Verfolgung der deutschen Juden in Hitlerdeutschland zum Thema. In Zeitungsartikeln kommentiert der Pastor außerdem die Entwicklung im nationalsozialistischen Nachbarland. Am 17. November 1938, eine Woche nach dem reichsweiten Pogrom in Deutschland, erscheint in der Tageszeitung „Jyllands Posten“ sein offener Brief an den italienischen Diktator Benito Mussolini (1883-1945). Darin forderte er ihn auf, Hitler von den Judenverfolgungen abzubringen. Munk artikuliert damit ebenfalls die Abscheu und das Entsetzen der Mehrzahl der Dänen gegenüber der Reichskristallnacht. Im Herbst 1943 widersetzen diese sich couragiert dem deutschen Versuch, das Land „judenrein“ zu machen und retten ihre jüdischen Mitbürger nahezu vollständig nach Schweden hinüber.
Kaj Munks öffentlicher Protest gegen die Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 ist scharf. „Die Kollaboration vieler seiner Landsleute lehnte er ab. Er war davon überzeugt, dass die Dänen etwas tun müssten, um die Fremdherrschaft abzuschütteln, und das ging seiner Meinung nach nur durch Gewalt“, führt Schoenborn aus. Darum schreibt Munk das Schauspiel „Niels Ebbesen“. Dieser dänische Freiheitskämpfer verhinderte einst durch einen Aufstand, dass der deutsch-holsteinische Graf Gerhard III. ganz Jütland unterwarf.
Foto: Kaj Munks Præstegård
Munk ist danach unermüdlich unterwegs, um aus seinem Manuskript zu lesen. Die Untergrundbewegung verbreitet den Text des Schauspiels in Tausenden von Exemplaren. Auch in Munks Predigten aus diesen Jahren finden sich Aufrufe zum Widerstand. „Dass er sich durch sein offenes Wort in Lebensgefahr brachte, war ihm wohl bewusst. Er liebte das Leben und suchte den Märtyrertod nicht, aber er wollte und konnte die Wahrheit nicht verschweigen“, taucht Schoenborn in das Denken Munks ein. Als der Pastor einige Tage vor Weihnachten 1943 von einem deutschen Leutnant heimlich die Nachricht erhält, dass die SS ihn liquidieren wolle, ist dies für ihn kein Grund zu fliehen. „Er hätte nach Schweden gehen können oder nach England, um von hier über die Rundfunkanstalt BBC den Widerstand fortzuführen, aber er meinte: ‚Ich bin kein Hund, der wegläuft, wenn man ihm den starken Knüppel zeigt‘. Seine Frau Lise trug diese Haltung mit“, weiß Schoenborn.
Nach dem Tod des Ehemanns und Vaters ziehen sie und die Kinder nach Hellerup, später nach Kopenhagen. 1976 kehrt die Witwe ins Pfarrhaus zurück und lebt dort, bis sie 1998 im Alter von 89 Jahren stirbt. Kaj Munks Præstegård ist mittlerweile ein Museum. Auf einer Dichterroute im parkähnlichen Garten kann man auf den Spuren der Munk-Gedichte wandern. Weitere Infos unter kajmunkspræstegård.dk und danskedigterruter.dk
Literatur:
Paul Gerhard Schoenborn: „Kaj Munk – Der politische Pfarrer und Dichter, den die SS erschoss“, NordPark Verlag, 11 €,
ISBN: 9 78-3-94 39 40-85-5
Der Autor stellt den politischen Pfarrer und Dichter mit Beiträgen zur Person, zur politischen Einstellung und zum literarischen Schaffen vor.
Info
Mit dem Überfall der Wehrmacht auf Norwegen und Dänemark begann am 9. April 1940 die fast fünfjährige deutsche Besatzung der bis dahin neutralen Länder. Hauptsächliches strategisches Ziel der Invasion war die Sicherstellung der größtenteils über Norwegen erfolgenden Lieferungen von schwedischem Eisenerz und Stahlveredlungsmetallen für die deutsche Rüstungsindustrie.
Zur logistischen und militärischen Unterstützung der vornehmlich gegen Norwegen gerichteten Operation, aber auch zur Absicherung der deutschen Nordflanke gegen mögliche britische Angriffe befahl Hitler, Dänemark ebenfalls zu besetzen. Die Invasion kam für das Land unerwartet. Noch ein Jahr zuvor hatte es einen Nichtangriffspakt mit Deutschland geschlossen. Zwei Stunden nach Beginn des Überfalls kapitulierte die dänische Regierung. Sie rief die Bevölkerung zur friedlichen Hinnahme der deutschen Besatzung auf, die bis Kriegsende andauerte. 6.000 Menschen fanden in Dänemark aufgrund der Kriegsereignisse den Tod.
(Quelle: Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag)