Das Verhalten von Tieren wird als körperliche Reaktion und Auseinandersetzung mit der belebten und unbelebten Umgebung sowie die entsprechende Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen definiert. Das Normalverhalten von Tieren hat sich im Zuge der Evolution an das natürliche Umfeld angepasst und wurde im Rahmen der Domestikation verändert. Das Haltungsumfeld der Tiere sollte so gestaltet sein, dass diese ihr tierartspezifisches Normalverhalten ausleben können. Was, wenn Verhaltensstörungen auftreten?
Treten Verhaltensstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten auf, weicht das Verhalten des Tieres in Bezug auf Bewegungsablauf, Dauer und Häufigkeit vom Normalverhalten ab. Dies kann der Fall sein, wenn das Normalverhalten in der Umgebung des Tieres nicht vollständig ausgelebt werden kann. So ist beispielsweise die Art der Nahrungsaufnahme bei Rindern in modernen Haltungseinrichtungen oft eingeschränkt, da bei der Fütterung am Futtertisch der Weideschritt wegfällt, ebenso wie das Abrupfen der Futterpflanze mit der Zunge.
Bei Milchkühen lassen sich im Alltag verschiedene Verhaltensauffälligkeiten beobachten, von denen einige bereits wissenschaftlich untersucht wurden. Im Folgenden werden einige Auffälligkeiten vorgestellt und mögliche Gründe dafür aufgezeigt.
Gründe für Zungenrollen
Beim Zungenrollen (auch Zungenschlagen oder Zungenspielen) führen die Rinder schlängelnde Bewegungen mit ihrer Zunge aus. Dies kann sowohl innerhalb als auch außerhalb des Mauls geschehen. Die Tiere versuchen dabei jedoch nicht Futter oder andere Objekte zu erreichen, sie scheinen sich ausschließlich auf das Zungenrollen zu konzentrieren. Dieses Verhalten wird oft mehrere Minuten am Stück ausgeführt. Die Bewegung scheint das Abrupfen von Grasbüscheln zu simulieren. Daher liegt die Vermutung nahe, dass das Normalverhalten zur Futteraufnahme nicht vollständig ausgelebt werden kann.
Die oft als Ursache vermuteten Mangelerscheinungen verschiedener Mineralstoffe konnten durch wissenschaftliche Untersuchungen ausgeschlossen werden. Eine Erhöhung des Rohfasergehaltes der Futtermischung oder das Anbieten von Heu wirken sich jedoch positiv auf die Bekämpfung dieser Verhaltensauffälligkeit aus, vermutlich da eine gesteigerte Wiederkauaktivität zu einer Beschäftigung des Mauls führt. Zeigen die Kühe dieses Verhalten vor allem an der Tränke, kann auch Kriechstrom in den Tränken ein Auslöser sein.
Das Besaugen ist eine der häufigsten Verhaltensauffälligkeiten, die in der Milchviehhaltung zu beobachten sind. Die auffälligen Tiere ahmen das Saugen am Euter nach und leben dieses Verhalten an Artgenossen aus. Hier werden vor allem die Euteranlage, Ohren, Nabel oder Hoden besaugt. Am häufigsten ist das Besaugen bei Kälbern und Jungrindern zu beobachten, aber auch Altkühe zeigen dieses Verhalten gelegentlich. Jungtiere haben ein besonders hohes Saugbedürfnis, da es direkt mit der Nahrungsaufnahme in Verbindung steht. Vor allem Kälber, die rationiert und nur zweimal täglich getränkt werden, haben aufgrund der schnellen Nahrungsaufnahme eher ein unbefriedigtes Saugbedürfnis. Auch Stress führt zu einem gehäuften Besaugen, da dies den Tieren als Komfortverhalten dienen kann. Manifestiert sich das Verhalten bereits bei Kälbern, so werden diese Tiere das Verhalten auch als älteres Tier zeigen. In der Tabelle werden Stressfaktoren und geeignete Gegenmaßnahmen aufgezeigt, die das Besaugen reduzieren können. Der Einsatz von Saugentwöhnern trainiert den Tieren auf Dauer zwar dieses Verhalten ab, jedoch sollte man die Ursache des Problems bekämpfen und nicht nur das Besaugen an sich stoppen.
Futterwerfen bei Kühen
Eine Kuh steht am Futtertrog, wirft den Kopf in den Nacken und das Futter aus ihrem Maul prasselt auf ihren Rücken. Ein Bild, das viele Landwirte kennen. Diese Art der Futterverschwendung kann sehr ärgerlich sein, die Tiere lassen sich jedoch nur mühsam von ihrem Verhalten abbringen. Die Ursachen sind wissenschaftlich noch nicht hinreichend geklärt, es stehen jedoch verschiedene Theorien im Raum.
Eine mögliche Erklärung ist das Vertreiben von Fliegen. Besonders Kühe mit kupierten Schwänzen oder mit abgeschorenen Schwanzquasten können die Insekten schlechter vertreiben. Tatsächlich ist das Futterwerfen im Sommer zu beobachten, sodass diese Theorie bestätigt wird. Wäre das der alleinige Grund, müsste diese Verhaltensauffälligkeit im Winter ausbleiben. Jedoch zeigen Kühe das Futterwerfen auch im Winter, wenn auch in einer geringeren Intensität.
Bei der natürlichen Futteraufnahme auf der Weide senken die Kühe den Kopf zum Fressen bis dicht auf den Boden. Futtertische oder Tröge sind jedoch erhöht, sodass der Kopf zur Futteraufnahme nicht so weit gesenkt werden muss. Lässt man Kühen die Wahl, bevorzugen sie zumeist einen niedrigeren Trog gegenüber dem hohen. Auch das Futterwerfen nimmt ab, je tiefer der Boden des Troges ist. Jedoch lässt sich das Futterwerfen nicht vollständig vermeiden, auch wenn die Kühe direkt vom Boden fressen.
Ein plausibler Grund für das Futterwerfen könnten Krankheit und Stress sein. So sind die Werte für Stressindikatoren im Blutplasma von Futter werfenden Kühen (Cortisol, Norepinephrin, Lactatdehydrogenase) signifikant höher als bei Kühen, die diese Verhaltensauffälligkeit nicht zeigen. Auch die Blinzelfrequenz, die mit steigender Erregung zunimmt, ist bei diesen Kühen erhöht. Daher liegt die Vermutung nahe, dass das Futterwerfen zum Abbau von physischem und psychischem Stress genutzt wird. Jedoch besteht hier noch zusätzlicher Forschungsbedarf. Auch ein Nachahmeffekt, dass also Kühe sich dieses Verhalten bei anderen abschauen, scheint möglich zu sein.
Fazit
Verhaltensauffälligkeiten sollten nicht einfach als merkwürdige Marotten unserer Wiederkäuer abgetan werden. Jedem Verhalten, das vom Normalverhalten abweicht, liegt eine Ursache zugrunde. Zusätzlich zu den drei genannten Auffälligkeiten sind in der Praxis noch viele weitere zu finden, zum Beispiel das Saufen von Harn, Lecksucht, zwanghafte Laufbewegungen oder das Beißen in Stangen oder Ketten. Treten solche Verhaltensweisen gehäuft auf, sollte nach Ursachen gesucht werden, um den Tieren bei der Bewältigung zu helfen.




