Der Beginn des neuen Jahres lädt dazu ein, alte und neue Themen im Kuhstall zu beleuchten und Strategien zu entwickeln, die Kuhgesundheit und das Tierwohl weiter zu optimieren. Zu viele und zu spät erkannte Lahmheiten in der Milchviehhaltung sind immer noch ein aktuelles Problem. In der „PraeRi“-Studie aus dem Jahr 2020 wurden Daten zu Tiergesundheit, Haltung, Fütterung und Management auf insgesamt 765 Milchviehbetrieben in den Regionen Nord, Ost und Süd erhoben.
In puncto Klauengesundheit und Gesundheit des Bewegungsapparates zeigte sich, dass jede dritte bis vierte Kuh lahm ist (zirka 23 bis 40 % der Kühe im Bestand). Die Einschätzung dieser Situation vonseiten des Tierhalters ist oftmals abweichend. Nur 7 bis zirka 10 % der Kühe im Bestand gehen nach Einschätzung der Landwirte lahm. Insgesamt zeigte sich in der Studie für das Auftreten von Lahmheiten eine starke Betriebsvariabilität, die sowohl regionsspezifisch (mit oder ohne Weidegang), aber auch nach der Betriebsgröße zu unterscheiden war. Die Vielzahl an aktuellen Projekten zum Thema Klauengesundheit zeigt, dass Lahmheit weiterhin und immer wieder von großer Bedeutung in Praxis und Forschung ist. Die Projekte befassen sich beispielsweise mit akustischer Frühdiagnostik von Klauenerkrankungen über Messsysteme („SoundHooves“) oder automatisierte Frühdiagnostik bis hin zu tierindividuellen Sensorsystemen („DigiMilch“).
Einen Überblick hierzu hat das Verbundprojekt „Netzwerk Fokus Tierwohl“ auf der Internetseite erstellt (www.fokus-tierwohl.de).
Definitionsspielraum und Betriebsblindheit
Lahme Kühe sind anfälliger für Euterentzündungen, Stoffwechselerkrankungen, haben eine geringere Fruchtbarkeit und eine niedrigere Futteraufnahme. Nicht zuletzt leidet die Milchleistung durch unentdeckte Lahmheiten und bedeutet neben tierwohlrelevanten auch wirtschaftliche Verluste. Die frühzeitige Erkennung von lahmen Tieren ist besonders wichtig.
Die Lahmheit als Gangveränderung ist meist das Symptom einer Erkrankung im Bereich der Klaue und der umliegenden Haut. Die meisten Klauenerkrankungen treten an den Hintergliedmaßen auf und können zum Teil auch eine beidseitige Lahmheit auslösen.
Die späte Sichtbarkeit der Lahmheit und das damit einhergehende zu späte Erkennen sind auch auf die natürlichen Verhaltensweisen der Rinder zurückzuführen. Als Beutetiere signalisieren sie ihren Schmerz erst sehr spät. Diese Verhaltensweise könnte den Tierhalter auch zu der (falschen) Annahme führen, dass die Lahmheit nicht so schmerzhaft und schwerwiegend ist.
Routinemäßige Überprüfung lohnt sich
Grundsätzlich wird eine regelmäßige Kontrolle der Tiere (mindestens alle 14 Tage) empfohlen. Hierbei sollen nicht nur die melkenden Kühe, sondern selbstverständlich auch die Trockensteher und Jungrinder betrachtet werden.
Betrachtung der Beinstellung, der Rückenlinie und möglicher Entlastungshaltungen am Fressgitter oder im Melkstand von hinten und von der Seite (mit ausreichender Beleuchtung). Hier liegt der Fokus auf Rücken und Klauen, Beinstellung und Entlastungshaltung.
Lahmheitserkennung in der Bewegung auf festem, rutschfestem und ebenem Untergrund, zum Beispiel auf dem Weg vom Melken zurück in den Stall oder beim Weideaustrieb. Hier liegt der Fokus auf Gangbild, Schrittlänge, Rückenlinie in der Bewegung und Kopfhaltung.
Die Beurteilung der Gangveränderung mit der damit verbundenen Klauenerkrankung kann nach verschiedenen Methoden verlaufen. Für Kühe in Anbindehaltung, beziehungsweise im Stand bietet sich der Stall Lameness Score nach Leach (2009) an. Hier wird das Tier im Stand auf Basis von Gewichtsverlagerungen und ungleichmäßiger Fuß- und Beinstellung beurteilt. Das Drei-Punkte-Locomotion-Scoring nach Grimm und Lorenzini kategorisiert die Tiere nach Entlastungshaltung, Kopfhaltung und Rückenkrümmung in drei Stufen (gesund = 1; verdächtig = 2; lahm = 3).
Das Locomotion Scoring nach Sprecher von 1997 ist wohl die bekannteste Methode der Bewertung mit fünf Noten. Mit der Note 5 laufen die Tiere beinahe nur noch auf drei Beinen und sind hochgradig lahm, die Note 4 beurteilt die Tiere mit einer mittelgradigen Lahmheit, deutlich verkürzten Schrittlängen und aufgekrümmtem Rücken in der Bewegung. Bei der Note 3 sind die Tiere geringgradig lahm und zeigen somit einen insgesamt gestörten Bewegungsablauf und gekrümmten Rücken im Stand und in der Bewegung. Mit der Note 2 werden Tiere beurteilt, die einen geraden Rücken aufweisen, über eine normale Schrittlänge verfügen, dennoch eine Störung im Bewegungsablauf aufweisen können. Lahmheitsfreie Tiere mit Note 1 haben einen geraden Rücken im Stand und in der Bewegung, einen raumgreifenden Schritt und einen erhobenen Kopf. Sprecher hat neben der Lahmheitsdefinition auch Werte genannt, anhand derer sich jeder Betrieb einordnen kann. So sollen weniger als 10 % des Bestandes mit einer Note von 3 beurteilt werden können. Alarmierend sei hingegen ein Wert, der 20 % des Bestandes mit einer Note von 3 überschreitet.
Unabhängig von der Beurteilungsmethode sind die Regelmäßigkeit und Genauigkeit der Lahmheitsbeurteilung essenziell für den Erfolg der Managementmaßnahmen. Die Klauengesundheit sollte nach Beurteilung des Gangbildes selbstverständlich auch im Klauenstand kontrolliert werden. Wie anfänglich erwähnt, sind die Einschätzungen der Tierhalter selten mit der Einschätzung außenstehender Personen übereinstimmend. Für die Blickschulung und die eigene realistische Einstufung empfiehlt es sich also, betriebsfremde Personen zu der Beurteilung hinzuzuziehen.
Der Weg zu einer nachhaltig besseren Klauengesundheit gerade dann, wenn die Werte der Beurteilungen als alarmierend eingestuft werden, ist aufwendig.
Erhebliche Kosten durch kranke Klauen
Die Kosten, die man mit einer klauengesunden Herde einspart, sind jedoch erheblich. Pro Erkrankungsfall können Kosten von 130 bis 600 € entstehen. Die Faktoren, aus denen sich die Kosten ergeben, sind zum Beispiel:
Tierarztkosten und Medikamente
bei starker Lahmheit: Milcheinbuße aufgrund von schlechter Kondition und Sperrmilch
reduzierte Fruchtbarkeit und eventuelle frühzeitige Merzung
Indirekte Kosten entstehen unter anderem durch:
Reduzierung des Schlachtgewichtes
Auswirkungen der Lebenszeit und Leistung von früh erkrankten und spät erkannten Färsen
Fazit
Regelmäßige, umfassende Beurteilung der Lahmheiten (auch durch betriebsfremde Expertise aus Tierarztpraxis/ Beratung)
Dokumentation der auftretenden Lahmheiten und Zielsetzung mit Klauenpfleger und bestandsbetreuendem Tierarzt
Weitere Informationen zum Thema Klauengesundheit sowie Vorlagen zur Beurteilung der Bewegung können auf der Seite von „Netzwerk Fokus Tierwohl“ abgerufen werden.