Von spannenden Zeiten sprach Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), am Dienstag voriger Woche auf der Agrarfinanztagung in Berlin, die von der Landwirtschaftlichen Rentenbank gemeinsam mit dem DBV organisiert wird: „Deutschland hat einen Politikwechsel gewählt, der unser Land wieder nach vorn bringt. Das ist sicherlich nicht einfach, mit Blick über den Ozean. Keiner weiß, auf welche irre Idee Präsident Trump morgen kommt. Europa muss aus eigener Stärke heraus global auftreten. Denn die transatlantische Partnerschaft wird nicht die gewohnte Stabilität haben.“
Die Koalitionsverhandlungen bewertete Rukwied als unglücklich. Er habe Sorge um die Politik der Mitte. Staatliche Investitionen seien notwendig, doch hätte das im Paket erfolgen müssen mit einer Deregulierung und einer Stärkung von Wirtschaft, Wohnungsbau, innerer Sicherheit. In der Agrarpolitik ging er auf hohe Kosten für Energie, Dünge- und Pflanzenschutzmittel ein. Über den Sonderkulturen hänge das Damoklesschwert des Mindestlohns von 15 €. Für Saisonarbeitskräfte lasse sich das wirtschaftlich nicht darstellen. Die Politik müsse sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer stetig steigenden Regulatorik stellen und den Mut zur Reduktion aufbringen – „das bringt Freiheit für die Wirtschaft“. Landwirtschaft bleibe kapitalintensiv und zugleich ein stabiler Sektor, warb er bei den anwesenden Bankern um „Wachstumskapital“.
Vorstandssprecherin Nikola Steinbock erklärte, die Landwirtschaftliche Rentenbank wolle Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zusammenbringen. Deshalb werde man ab Mitte 2025 jedem Betrieb 1.000 € zur Erstellung der hofeigenen Klimabilanz anbieten, das sollte 90 % der Kosten decken. Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen gewährt die Bank in allen Programmkrediten einen Zinsbonus von 0,25 %.
Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, ist überzeugt, dass die nächsten Jahre die Weichen für die Zukunft stellen. Viele Branchen stünden vor drei gigantischen Transformationen. So müsse man sich für die Globalisierung neu aufstellen. Die Teilhabe am Wachstum in anderen Teilen der Welt sei Grundlage für unseren Wohlstand. Dieses Modell sei massiv unter Druck. Als weitere Herausforderung bezeichnete er nicht die technologische Entwicklung, sondern deren Geschwindigkeit: „Künstliche Intelligenz (KI) stellt jedes Unternehmen vor Herausforderungen, bietet aber zugleich Chancen für neue Geschäftsmodelle und mehr Effizienz.“ Ein blinder Fleck der Politik ist laut Fratzscher die soziale Herausforderung. Beim Gebäudeenergiegesetz habe man vergessen, die Menschen mitzunehmen.
Erstarren der Gesellschaft trotz Rekordbeschäftigung
Fratzscher bezeichnete die wirtschaftliche Realität als bei Weitem nicht so schlecht wie die Stimmung. Deutschland habe keine tiefe Rezession wie zur Finanzkrise oder Corona. Es herrsche Rekordbeschäftigung. Viele Unternehmen hätten eine ordentliche Ertragslage. Aber er beobachte eine Erstarrung der Gesellschaft. Unternehmen hätten kein Vertrauen in gute Rahmenbedingungen, Konsumenten Angst vor einem Jobverlust. Der private Konsum stehe für über 50 % der Wirtschaftsleistung und sei sehr schwach.
Gründe für die Misere „typisch deutsch“
Die Gründe für die Misere seien typisch deutsch. Man sei Opfer des eigenen Erfolgs der wirtschaftlich extrem erfolgreichen 2010er Jahre. „Wir wollen nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit“, so der Wissenschaftler. Der gesellschaftliche Wohlstand basiere auf der Risikobereitschaft der Vergangenheit. Die Zukunftssorgen der jungen Generation müsse man ernst nehmen. Zugleich aber müsse jeder mehr Verantwortung übernehmen. Investitionen in Verkehr, Digitalisierung, Energie und Bildung bezeichnete Fratzscher als „gute Schulden“. Das Investitionspaket der Koalition habe das Potenzial, die Wirtschaft anzuschieben, werde aber erst 2027 den größten Effekt bringen.
Fratzscher endete positiv: Deutschland sei immer noch eines der wohlhabendsten Länder der Welt, es habe zahlreiche Transformationen bewältigt. Als Standortvorteile sieht er den Rechtsstaat mit seinen Institutionen – das Problem sei da eher der politische Wille. Es gebe durch den Mittelstand eine resiliente und langfristig orientierte Wirtschaftsstruktur und dazu eine starke Solidarität in der Zivilgesellschaft. Solidarische Gesellschaften bewältigten Herausforderungen besser.
Für Prof. Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, steht der EU ein steiniger Weg bevor: „Drei Herren über 70 wollen die Welt unter sich aufteilen.“ Dazu kämen die internen Konflikte der EU mit Ungarn als „politischem U-Boot“, Politikverdrossenheit, Bauernproteste, Nachhaltigkeitstransformation, Mittelknappheit.
Mit dem Draghi-Papier, dem Strategischen Dialog und dem Visionspapier des Agrarkommissars Christophe Hansen habe die EU zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch, die aber Zielkonflikte nicht ansprächen, keine Prioritäten setzten oder unbequeme Wahrheiten aussparten. Als unbequeme Wahrheit nannte Balmann die wirtschaftlichen Unterschiede durch Betriebsgrößen: Der Großteil der (kleinen) Betriebe sei unrentabel, der Großteil der Produktion aber rentabel.
Produktion aber rentabel. Es gebe zudem sehr große Produktivitätsunterschiede. Der zwischenbetriebliche Wettbewerb sei entscheidender als der globale. Die europäische Umverteilungsprämie sei ein „süßes Gift“ und habe offensichtlich keine großen positiven Effekte. Zusammen mit der Privilegierung im Erb- und Familienrecht, bei Erbschaft-, Einkommen- und Umsatzsteuer oder dem Agrardiesel koste dies den Staat jährlich 10 Mrd. € und es behindere Anpassungsprozesse. Bahlmann hält die EU-Integration der Ukraine und das Mercosur-Abkommen für unverzichtbar. Mercosur sei zudem kaum relevant für Landwirtschaft.
Perfektionismus nimmt Spielräume für Innovationen
Im Panel erklärte Jana Gäbert, Geschäftsführerin der Agrargenossenschaft Trebbin: „Ostdeutschland kennt 30 Jahre Transformation: von der Plan- zur Marktwirtschaft, Klimawandel gerade in Brandenburg, mangelnde Arbeitskräfte.“ Sie kritisierte „weiter wachsende Anforderungen“. Zugleich fehle die Infrastruktur für innovative Ansätze. Sie selbst sei gerade daran gescheitert, ein Sensoriksystem für Kühe umzusetzen, weil die Uploadgeschwindigkeit zu gering sei. Ihre Erkenntnis: „Wir nehmen uns durch unseren Perfektionismus Spielräume für Innovationen. Wir Landwirte haben viele Lösungswege, aber man muss uns auch machen lassen.“
Dr. Franziska Kersten, MdB der SPD-Fraktion, berichtete aus den Koalitionsverhandlungen: „Wir sind durch mit der Landwirtschaft.“ Es sei ein Konstrukt an Kompromissen, aber es seien Entwicklungsmöglichkeit erkennbar. Die ehemalige Tierärztin fragte sich: „Warum kommen die Ideen immer von uns?“ Bürokratie, eine „Herrschaft der Verwaltung“, sei notwendig, müsse aber praktikabel und schlank sein. Das stehe so auch im Koalitionsvertrag.
Dr. Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der QS GmbH, erklärte den Stand der QS-Klimaplattform. QS habe vier Ziele: Einheitliche Berechnung, Optimierung der Betriebe, Datenbereitstellung für Dritte, Auskunftsfähigkeit der Branche. Viele Daten lägen ohnehin vor, in QS oder auch in Farmmanagementsystemen. Diese liefen pseudonymisiert über einen Klimarechner, die Ergebnisse würden gespeichert. Der Tierhalter entscheide, an wen die Daten gingen. QS wolle im zweiten Quartal 2025 mit der Schweinhaltung starten, später kämen Rindermast, Geflügel und Obst/Gemüse dazu. Das Ganze sei kostenlos und freiwillig. Hinrichs hofft auf eine breite Nutzung.
Sönke Hauschild, Bauernverband Schleswig-Holstein