Die Ampel-Koalition hat sich nach monatelangen Verhandlungen in Teilen über den Umbau der Tierhaltung geeinigt. Die Verständigung umfasst die Tierhaltungskennzeichnung, die Änderung des Baurechts sowie das weitere Vorgehen beim Immissionsschutzrecht. Die Frage der Finanzierung ist allerdings immer noch nicht geklärt.
Bei der Haltungskennzeichnung entspricht der Kompromiss dem geänderten Gesetzentwurf, den das Bundeslandwirtschaftsministerium bereits zur Notifizierung nach Brüssel übermittelt hat und der in der Branche auf breite Ablehnung gestoßen ist.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) begrüßte das Einvernehmen. Er bot der Union an, in den anstehenden Gesetzgebungsverfahren mit der Koalition zusammenzuarbeiten. Der Umbau der Tierhaltung könne nur parteiübergreifend gelingen.
Dagegen ist es den Vertretern der Ampel-Koalition bei den geplanten baurechtlichen Neuregelungen offenbar gelungen, wesentliche Kritikpunkte am Regierungsentwurf zur Änderung des Baugesetzbuchs auszuräumen. Verkündet wurde die weitgehende Verständigung am vergangenen Freitag, 31. März von den stellvertretenden Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP, Dr. Matthias Miersch, Julia Verlinden und Carina Konrad. Offenbar hatten sich die agrarpolitischen Sprecher Susanne Mittag (SPD), Renate Künast (Grüne) und Dr. Gero Hocker (FDP) bei den Verhandlungen verhakt, dass die Stellvertreter übernommen haben. So ist durchgedrungen, dass sowohl SPD wie Grüne gegenüber der FDP Zugeständnisse gemacht haben. Zu den Ergebnissen zählt, sodass die Bestimmungen für die Haltungsstufe „Stall plus Platz“ gelockert wurden und 12,5 % mehr Platz vorsehen, anstelle von 20 % wie im ursprünglichen Entwurf.
Ersatzneubau an anderer Stelle möglich
Das Thema Bestandsverringerung sei ebenfalls vom Tisch, wenn ein Tierhalter eine höhere Tierhaltungsstufe erreichen wolle, hieß es zu der Vereinbarung im Baurecht. Man habe auch erreicht, dass ein Ersatzneubau an anderer Stelle ermöglicht werde, sodass Landwirte ihre Produktion ununterbrochen fortsetzen könnten, so die FDP. Bislang sollte ein Ersatzbau an gleicher Stelle wie der bestehende Stall errichtet werden müssen. Eine moderate Vergrößerung sowie die Schaffung eines Auslaufs sollen möglich sein.
Schließlich ist man übereingekommen, dass höhere Haltungsstufen zusätzlich im Baugesetzbuch privilegiert werden. „Wir reprivilegieren alle Ställe, die nicht ausreichend Fläche hatten und einen neuen Bebauungsplan bräuchten, wenn in dem Zuge Außenklimaställe gebaut werden, die den Tieren mehr Licht, Luft und Platz bieten, wenn sie einen Auslauf anbauen oder auf Bio umstellen“, erklärte dazu die baupolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Christina-Johanne Schröder. Die Baugesetzbuchnovelle beziehe sich auf das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und werde entsprechend perspektivisch für immer mehr Tierarten gelten.
Über Immissionsschutz spricht die Sonder-AMK
Keine Einigung wurde offenbar über die von der FDP geforderte Verankerung einer Privilegierung im Bundesimmissionsschutzgesetz erzielt. Dem Vernehmen nach hat sich das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) in diesem Punkt nicht gegenüber dem Umweltressort durchsetzen können. Eine solche Regelung soll nun durch Beschlüsse bei der geplanten Sonder-Agrarministerkonferenz (AMK) und bei der Umweltministerkonferenz (UMK) in die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft) aufgenommen werden. Dadurch soll erreicht werden, dass ein Stall mit deutlich verringertem Bürokratie- und Genehmigungsaufwand umgebaut werden kann, wenn ein Betrieb sich in eine höhere Haltungskategorie eingruppieren lassen möchte und dafür ein Umbau erforderlich ist. In diesem Fall soll es auch zulässig sein, höhere als ursprünglich zulässige Immissionen zu verursachen, beispielsweise durch die Schaffung eines Auslaufs.
„Stall plus Platz“ mit weniger Platz
Bei der geplanten verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung soll es nach wie vor keine Kennzeichnungspflicht für ausländische Ware geben. Zudem soll die Ferkelerzeugung zunächst nicht einbezogen werden. Wichtige Absatzwege für das Fleisch wie etwa die Gastronomie und die Fleischverarbeitung bleiben auch im überarbeiteten Gesetzentwurf außen vor. Vorgesehen ist, dass die Haltungsstufe „Auslauf/Freiland“ in „Auslauf/Weide“ umbenannt wird.
Geändert wurden die Kriterien in der Haltungsstufe „Stall plus Platz“. Statt 20 % mehr Platz sind nun 12,5 % vorgegeben. Zusätzlich wird in dieser Haltungsstufe die Bereitstellung von Raufutter vorgeschrieben.
Bei Mischpartien aus den ersten vier Haltungsstufen soll nun doch eine Herabstufung möglich sein. Weiterhin soll eine Mischpartie nur noch mit einer Hauptstufe gekennzeichnet werden, wenn mehr als 80 % aus einer Haltungsstufe kommen und der Rest aus den jeweils darüberliegenden Stufen. Einzelne Prozentangaben sollen nicht mehr gemacht werden müssen. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, soll es bei der Anteilsangabe der einzelnen Stufen bleiben. An verschiedenen Stellen wurden Präzisierungen eingebracht, etwa bei den Dokumentationspflichten.
„Mit dem vorliegenden Tierhaltungskennzeichnungsgesetz gelingt der Koalition der Durchbruch für mehr Transparenz, fairen Wettbewerb und mehr Tierwohl“, erklärte SPD-Fraktionsvize Miersch. Die Tierhaltungskennzeichnung für Mastschweine sei „ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu mehr Tierwohl“. Jetzt komme es darauf an, für den Umbau der Tierhaltung eine verlässliche Finanzierung zu sichern.
Marktwirtschaftliche Weiterentwicklung
Die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Konrad sieht in den Änderungen am Regierungsentwurf zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz „den Grundstein für die marktwirtschaftliche Weiterentwicklung der Tierhaltung“. Gleichzeitig schaffe man Transparenz für selbstbestimmte Kaufentscheidungen. Laut Konrad orientiert sich das Kennzeichen an schon bestehenden privatwirtschaftlichen Labeln. „Die Agrar- und Umweltminister der Länder werden anhand dieses Rahmens verlässliche Wege aufzeigen, immissionsschutzrechtliche Erleichterungen auf den Weg zu bringen“, versicherte die FDP-Politikerin.
Für die Grünen nannte deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende Verlinden die verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung „einen großen Erfolg und starken Anfang für die Ampel“. Perspektivisch werde dieser Fortschritt vollständige Transparenz bei den tierischen Erzeugnissen bieten. Die Kennzeichnung sei Teil einer Gesamtstrategie des Umbaus zu einer tier- und klimagerechten, zukunftsfähigen Tierhaltung.
„Wir stellen die Tierhaltung in Deutschland zukunftsfest auf und der dringend notwendige Umbau startet jetzt“, betonte Özdemir. Der Grünen-Politiker appellierte an die Opposition, sich in den Umbau der Tierhaltung einzubringen: „Höfe, Tiere und Klima brauchen jetzt Zusammenarbeit statt Parteipolitik.“ age
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Völlig offen war in der Woche vor Ostern weiterhin, wann sich die Arbeitsgruppe der Ampel-Fraktionen auf die Finanzierung einigen wird. Medienberichten zufolge, soll sich die Arbeitsgruppe darin einig sein, dass keine Variante, die die Borchert-Kommission aufgezeigt hat, umsetzbar sei. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission, hatte Zukunftsperspektiven für die Tierhaltung bis 2040 in Deutschland entwickelt und unter anderem eine Sonderabgabe, höhere Mehrwertsteuer oder Haushaltsmittel empfohlen, um die Finanzierung langfristig sicherzustellen.
Der Finanzbedarf wurde im Abschlussbericht 2020 auf 4 Mrd. € jährlich veranschlagt. Nach bisherigen Beschlüssen bekommt Agrarminister Özdemir bis 2026 rund 1 Mrd. € aus dem Bundeshaushalt, um den Umbau der Tierhaltung anzuschieben. Laut Özdemir soll das Geld für die ersten Jahre ausreichen.
Aus SPD-Kreisen verlautete, der geänderte Entwurf zum Tierhaltungskennzeichen solle am 19. April im Agrarausschuss behandelt werden. bb
Kritik von allen Seiten
Die seit Monaten andauernden und immer noch nur teilweise abgeschlossenen Verhandlungen innerhalb der Koalition haben in der Agrarbranche für großen Unmut und wachsende Zweifel am Umbau der Tierhaltung gesorgt.
DBV: Die Zeit drängt angesichts der Betriebsaufgaben
Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Bernhard Krüsken, sprach von einer großen Gefahr, „dass dieses zentrale Vorhaben der Ampel-Koalition im Agrarbereich scheitert“. „Ohne ein überzeugendes Gesamtkonzept werden sich die Betriebe nicht auf eine Neuausrichtung der Tierhaltung einlassen“, warnte er. Angesichts der steigenden Zahl von Betriebsaufgaben dränge die Zeit. Krüsken zeigte sich verärgert, dass der geänderte Entwurf zur neuerlichen Notifizierung der Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes nach Brüssel übermittelt wurde, ohne zuvor die Verbände erneut einzubeziehen.
ISN: Ignoranz gegenüber Einwänden der Verbände
Der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), Dr. Torsten Staack, sprach von Ignoranz gegenüber den Einwänden von Verbänden und Ländern. Der Bundesverband Rind und Schwein (BRS) monierte, dass die Verbände nur unzureichend in die Arbeit einbezogen würden. Für Verbandsgeschäftsführerin Dr. Nora Hammer ist nicht nachvollziehbar, dass die Haltungskennzeichnung weiterhin lediglich für 20 % des Fleisches gelten solle.
Tierschutzbund: Taktisches Spielfeld der Koalitionäre
Die Korrektur des Platzangebots Haltungsstufe „Stall plus Platz“ rief Tierschützer auf den Plan. Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, bezeichnete die Änderung als Skandal. Schon die 20 % seien wissenschaftlich nicht begründbar gewesen, und die 12,5 % seien es noch weniger. Aus seiner Sicht ist der Tierschutz zu einem taktischen Spielfeld der Koalitionäre geworden.
Provieh: Haltungskennzeichnung ist ungeeignet
Für Provieh ist die gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung in der geplanten Form als Orientierungsgrundlage beim Einkauf und als Anreiz für den Umbau von Tierhaltung „gänzlich ungeeignet“. Zwingend notwendig seien Anpassungen der Haltungsformen, Kriterien und Bezeichnungen. Das jetzt geplante, zusätzliche Platzangebot der Haltungsstufe „Stall plus Platz“ sei völlig unzureichend, die Haltungsform „Frischluftstall“ sei verschlechtert worden. Bislang wurde für jede Bucht eine geöffnete Stallseite gefordert, mit denen die Tiere einen echten Zugang zum Außenklima hätten, jetzt soll im Frischluftstall lediglich Außenklimaeinfluss im Stall herrschen.
Bundestagsernährungsausschusses: Sehr Ungerecht
Hermann Färber (CDU), Vorsitzender des Bundesernährungsausschusses, irritiert der Umgang mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission, die auch von der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) mitgetragen wurden. Wenn der Gesetzgeber diese ablehne, müsse er einen „tragfähigen Gegenvorschlag“ vorlegen, der dem komplexen Thema und den vielen Stakeholdern gerecht werde. age




