„Wenn ein Schwarm Nonnengänse von bis zu 30.000 Tieren sich auf eine Mähwiese niederlässt, dann kann man zuschauen, wie in kürzester Zeit vom erntefähigen Gras nur noch eine kurze Grasnarbe nachbleibt.“ So beschreibt Nico Hellerich die wirtschaftlichen Einbußen durch den Gänsefraß auf seinen Feldern in Wewelsfleth in der Nähe von Elbe und Stör.
In der „Gänsekulisse“ liegen 65 % von Hellerichs Land. Für dieses bekommt er wie für Flächen des Vertragsnaturschutzes einen zusätzlichen finanziellen Ausgleich vom Land Schleswig-Holstein. Seine geschätzten jährlichen Einbußen von etwa 15.000 € werden damit zum größten Teil ersetzt, aber zufrieden ist er dennoch nicht: „Was nützt mir das Geld? Ich möchte Landwirt sein und gesunde Lebensmittel erzeugen.“ Er ist im Grunde davon überzeugt, dass die Landwirtschaft nur mit der Natur zusammen funktionieren kann. „Wir müssen deshalb mit dem Tierschutz und mit dem Naturschutz im Dialog bleiben.“ Eigentlich gebe es viele Gemeinsamkeiten, und da müssten Kompromisse gefunden werden. „Eine Faust in der Tasche hilft uns nicht weiter.“
Dass die Gänseschwärme an der Unterelbe für betroffene Landwirte existenzbedrohend werden können, bestreiten inzwischen weder die Naturschutzverbände noch die Politik.
Bis zum Totalschaden
Angefangen hat das Massenproblem in den Elbmarschen nach Ansicht von Hellerich dadurch, dass in der Meldorfer Bucht keine Schafe mehr gehalten werden. „Die Gänse suchten Alternativen und fanden im Unterelbebereich junges Weidegras, das intensiv bewirtschaftet und dadurch kurz gehalten wird.“ Die Gänse sind Fluchttiere und sitzen nicht im langen Gras. Im Herbst sei der Schaden für Grünlandbetriebe ohnehin nicht so stark, da die Weidesaison beendet werde. Stärker betroffen seien die Ackerbaubetriebe: „Dort kann der Fraß zum Totalschaden führen, wenn die Wintersaat wie Raps abgefressen wird. Dann muss im Frühjahr neu angesät werden.“ Für Hellerich ist der Schaden im Frühjahr am größten. „Der erste wertvollste Schnitt des Grases im Mai bricht teilweise weg. Außerdem können durch den Kot Salmonellen in die Milch oder den Schlachtkörper gelangen.“
Die Nonnengänse überwintern etwa von Mitte Oktober bis Anfang Mai in den Elbmarschen. Die unter Artenschutz stehenden Wildvögel leben überwiegend in Schwärmen in einem Lebensraum mit einem Radius von etwa 6 km. Im Sommer ziehen sie nach Osten und brüten an der russischen Eismeerküste, aber inzwischen auch schon im näheren Ostseeraum. Die Nonnengans oder auch Weißwangengans lebt gerne in Schwärmen von bis zu 50.000 Tieren. Sie ist bei uns ein Wintergast und lebt in Küstennähe.
Die Aufnahme der Gänse ins Jagdrecht ist für Hellerich keine Lösung. „Das Erschießen ist bei der Masse gar nicht möglich und auch emotional belastend. Für mich wäre die entspannteste Lösung die Entnahme der Eier aus dem Gelege. Aber darauf haben wir keinen Zugriff.“
Ausgleichszahlungen
Der Betrieb von Nico Hellerich ist ein reiner Grünlandbetrieb mit 90 ha Fläche und 80 rotbunten Kühen in Weidehaltung. Daneben betreibt er die Vormast von 80 Rindern. Die meisten seiner Flächen in Elb- und Störnähe sind vom Gänsefraß betroffen. Auf dem Umweltportal des Ministeriums für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein sind die Rastplätze für wandernde Vogelarten kartiert, für die es Ausgleichszahlungen gibt.
Unterstützt werden die Landwirte auch von ihrem Berufsverband. Ida Sieh, Geschäftsführerin des Kreisbauernverbandes Steinburg, hilft den Landwirten bei der Antragstellung: „Um Ausgleichszahlungen erhalten zu können, muss neben vielen anderen Bewirtschaftungseinschränkungen vor allem die ganzjährige Duldung von Gänsen, Enten und Schwänen erfolgen. Dann können wie beim Vertragsnaturschutz Hilfen von 300 Euro pro Hektar erfolgen.“ Trotzdem hat sie die Befürchtung, dass durch die hohen Auflagen zum Artenschutz immer mehr Landwirte die Lust an ihrem Beruf verlieren.
Nico Hellerich ist dennoch gerne Landwirt. Der 55-Jährige bewirtschaftet den Familienbetrieb seit 35 Jahren. „Es ist für mich eine riesengroße Spielwiese, die mir die Chance bietet, etwas für die Gesellschaft zu gestalten und verantwortlich mit der Natur und der Umwelt umzugehen.“ Aber auch er macht sich Sorgen um die Zukunft der Landwirtschaft in den Elbmarschen: „Im Gespräch mit benachbarten Berufskollegen höre ich häufiger, dass Betriebe bei der Hofübergabe oder bei Pachtende die Landwirtschaft aufgeben wollen. Brachflächen sind aber nicht mehr wirtschaftlich darstellbar.“ Seine Prognose: „Dann wird wohl die Stiftung Naturschutz die Flächen übernehmen müssen.“