Wer im Training entspannt ist, aber im Wettkampf furchtbar aufgeregt, wer sich beim Reiten durch äußere Einflüsse stressen lässt, wem ein alter Sturz noch Angst macht oder wer sich einfach mehr Selbstsicherheit, Gelassenheit, Konzentration und Erfolg im Reitsport wünscht, der kann es mit einem Coaching probieren. Jutta Humpert aus Hörup, Kreis Schleswig-Flensburg, bietet ihre Methoden und Kurse auch speziell für Reiter an.
„Ein ganz einfaches Beispiel ist der Sturz beim Springen und die danach entstehende Angst“, sagt Jutta Humpert. Diese Angst hindere so manchen Reiter daran, entspannt den nächsten Oxer anzureiten. Sie könne sogar so beherrschend werden, dass auf das Springen ganz verzichtet werde. „Das ist dann wie eine angezogene Handbremse“, meint die Coachin aus Hörup, Kreis Schleswig-Flensburg.
Ihre Arbeit erklärt sie gern mit Bildern: „Man muss sich das wie ein unaufgeräumtes Zimmer vorstellen“, führt sie die Theorie aus. Normalerweise verarbeite das Gehirn nachts in der REM-Schlafphase (rapid eye movement) den ganzen Tag, gucke Erlebtes noch einmal an und sortiere es dann weg – Aufräumen also. „Ist das Erlebte zu groß beziehungsweise zu beeindruckend gewesen, weiß das Gehirn nicht, wohin damit, und lässt es liegen. Über diese Dinge stolpern wir dann immer wieder“, erklärt Humpert. Neben Angst können das beispielsweise auch Scham oder Wut sein, die uns im Alltag hemmen. „Werden wir von etwas getriggert, sind wir nicht im Hier und Jetzt, also in der Gegenwart, sondern halten uns gedanklich in der Vergangenheit oder Zukunft auf. So können wir keine 100 Prozent geben.“
Diese Theorie des nächtlichen Aufräumens ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Allerdings ist bekannt, dass im REM-Schlaf viel geträumt wird. Das Gehirn ist in dieser Phase sehr aktiv, gleichzeitig kann man sich aber nicht bewegen. Wissenschaftler vermuten eine entscheidende Rolle des REM-Schlafes bei der Verfestigung von erlernten Informationen. Dafür spricht unter anderem die Aktivität des Thalamus, der Informationen aus den Sinnesorganen verarbeitet und an die Gehirnrinde weiterleitet.
Auch die Amygdala (der Mandelkern) ist in der REM-Schlafphase sehr aktiv. Sie beeinflusst Emotionen und Erinnerungen und steuert zum Beispiel Angstreaktionen unseres Körpers. „Da sitzt die Angst, die für Sprache nicht zugänglich ist“, meint Humpert. Ein Beispiel dafür sei die Flugangst. Man könne jemandem erzählen, das Flugzeug sei das sicherste Verkehrsmittel, aber das erreiche jemanden mit einer solchen Angst nicht.
Die Redewendung „Schlaf erst einmal eine Nacht darüber“ greift ebenfalls die These auf, dass im Gehirn nachts aufgeräumt wird. „Nimmt dir jemand einen Parkplatz weg und du regst dich furchtbar auf, ist die Wut am nächsten Tag meistens verflogen“, erläutert Humpert und fügt hinzu: „Das Hirn hat aufgeräumt und es kommt eine klare Sicht auf die Dinge.“ Seien die Dinge am nächsten Tag nicht gelöst und man reagiere noch genauso emotional, habe das Gehirn sie eben nicht in eine Schublade gesteckt. Tauche dann eine Parallele auf, nach einem Sturz beispielsweise der nächste Sprung mit dem Pferd, schlage das Gehirn wieder Alarm.
In die Situation einspüren
Bei den nicht wegsortierten Erlebnissen setzen die Methoden an, mit denen Jutta Humpert arbeitet. Eine davon ist das Wingwave-Coaching, das von den Hamburger Diplom-Psychologen und Psychotherapeuten Cora Besser-Siegmund und Harry Siegmund in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftspsychologin Lola Siegmund entwickelt wurde. Es beruht auf dem entlastenden Effekt von Augenbewegungen, den die US-Amerikanerin Dr. Francine Shapiro entdeckt hat. Shapiro entwickelte auf dieser Grundlage die Methode Eye-Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR), die zunächst vor allem bei Kriegsveteranen mit posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt wurde. EMDR ist als Methode in der Traumatherapie wissenschaftlich anerkannt.
„Das EMDR haben die drei Therapeuten weiterentwickelt, indem sie noch einen Muskeltest und Konzepte aus dem neurolinguistischen Programmieren hinzugenommen haben“, weiß Humpert. Letzteres zielt darauf ab, Vorgänge im Gehirn mithilfe der Sprache auf Basis systematischer Handlungsanweisungen zu verändern. „Es hilft dabei, die Denkmuster zu erkennen, um den Klienten besser zu verstehen und einen guten Rapport aufzubauen, damit er sich gut aufgehoben fühlt“, erklärt die Coachin.
Bevor sie mit einer Sitzung beginnt, sichert sie sich ab, dass ihre Klienten auch gesund sind. „Wenn sie in therapeutischer Behandlung sind, bitte ich sie, mein Coaching vorher abzuklären. Ich frage auch nach Medikamenteneinnahmen“, sagt Humpert. Denn sie darf keine Angststörungen behandeln, sondern nur Menschen mit sogenannten situationsbedingten Blockaden begleiten. Mit Menschen, die Angst vor dem Reiten oder Angst vor Hunden haben, darf sie also arbeiten, aber nicht mit Menschen, die umfassendere Ängste haben. „Ich weise meine Klienten ausdrücklich darauf hin, dass ich keine Heilkundeerlaubnis habe und keine Therapeutin, sondern nur ein Coach bin“, betont sie.
Ist das Thema klar, erarbeitet Humpert mit ihren Klienten zuerst die Situation, die zu der starken Emotion geführt hat. Dafür müssen diese nicht erzählen, was passiert ist. Wichtiger sei, sich einzuspüren und die Gefühle erneut hochzuholen. „Am besten darin baden“, meint die Coachin.
Dann wird eine Art wache REM-Phase erzeugt. Dabei führt der Coach mit schnellen Handbewegungen den Blick seines Klienten horizontal hin und her. „Laut Gehirnforschung lösen die wachen Augenbewegungen – anders als beim fixierten Blick – deutlich stresslindernde Reaktionen in verschiedenen Gehirnarealen aus“, heißt es auf der Homepage des Besser-Siegmund-Instituts, das die drei Entwickler gegründet haben. So sollen die Augenbewegungen beispielsweise auch auf eine günstige Weise den präfrontalen Cortex im Großhirn aktivieren und die Vernetzungsleistung zwischen den Gehirnhälften und verschiedenen Gehirnarealen verbessern. Alternativ zu dem sogenannten Winken könne der Coach auch mit „bilateralen Tönen oder leichten Klopftechniken, die man ‚Tappen‘ nennt“, arbeiten. Dabei überkreuzt der Klient seine Arme und klopft sich auf die Schulter. Hier sollen die Augen innerlich mitgehen.
Großer Bedarf bei Reitern
„In der wachen REM-Phase bekommt das Hirn dann die Möglichkeit, die Erlebnisse zu sortieren und in Schubladen zu stecken“, erklärt Humpert die Methode weiter. Dazu stellt sie den Klienten Fragen. „Wenn wir über etwas reden, hat man eigentlich gleich ein Körpergefühl dazu“, erklärt sie. Bei manchen Menschen kämen dann starke Emotionen zum Vorschein. „Oft wird geweint oder Wut kommt hervor“, sagt sie. Angst habe sie aber vor den Tränen oder Ausbrüchen nicht. „Das ist meistens ganz schnell wieder reguliert und es ist so schön zu sehen, wie erleichtert sich die Menschen danach fühlen.“
Humpert, die auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Nordhackstedt, Kreis Schleswig-Flensburg, aufwuchs, kam zu der Methode, als sie selbst Hilfe brauchte. „Es hat so gut funktioniert, dass ich gleich begeistert war“, erinnert sie sich. Die gelernte Zahntechnikerin sattelte um und begann ihre Ausbildung zur Coachin. Inzwischen hat sie diverse Abschlüsse gemacht und Vertiefungsseminare besucht. Seit sechs Jahren arbeitet sie selbstständig in diesem Bereich.
Ein großer Teil ihrer Klienten sind Reiter. „Das hat sich so entwickelt“, berichtet sie. Humpert wollte sich selbst ihren Traum vom Reiten erfüllen, etwa zur gleichen Zeit arbeitete sie zufällig gerade mit einer Reiterin. „Und dann kam eins zum anderen“, erinnert sie sich. Der Bedarf an Coaching sei im Reitsport relativ groß und es sei im Profibereich schon selbstverständlich. Sie bietet auch Workshops für mehrere Reiter an, mit Wingwave arbeitet sie allerdings nur einzeln. „Bei den Gruppenseminaren gebe ich vor allem Methoden weiter, die im Bedarfsfall als Stressmanagement eingesetzt werden können.“
Am Beispiel einer Klientin zeigt Humpert, wie eine Einzelsitzung online ablaufen kann. Kerstin Kröm (Name von der Redaktion geändert) setzt sich selbst immer sehr unter Druck, wenn etwas beim Reiten nicht so klappt wie gehofft. „Oft steige ich dann heulend vom Pferd ab und bin am Boden zerstört. Ich denke dann, dass ich es nie lernen werde“, berichtet die 45-Jährige, die schon mit vier Jahren mit dem Reiten begann. Außerdem beschäftigten sie noch immer einige Fehlentscheidungen, die sie im Laufe ihres Reiterdaseins getroffen habe. Dies sei eine Reihe von Stall- und Lehrerwechseln gewesen, zudem nicht genug Biss, um wirklich das zu erreichen, was sie hätte schaffen können.
Manche Ängste sind wichtig
Jutta Humpert erklärt im Nachhinein, dies sei natürlich nicht der ganz klassische Fall einer Angst, sondern eventuell mehrere Themen, die sich hier überschnitten. In der Sitzung beginnt sie, mit Kröm an den gefühlten Fehlentscheidungen zu arbeiten. Sie fragt, welches Gefühl die Erinnerung daran hervorruft. „Enttäuschung über mich selbst“, antwortet Kröm. Auf die Frage, wo im Körper dieses Gefühl sitze, beschreibt sie den Herzbereich.
Nun leitet Jutta Humpert sie an zu tappen und führt sie weiter in dieses Gefühl hinein, immer gerade an den Stellen, an denen Kröm sonst, wie sie später sagt, mit der Aufmerksamkeit weggewandert wäre. Sie habe sich gut in das Gefühl einspüren können. Als sie an die Phase dieser Fehlentscheidungen gedacht habe, sei auch der Tod ihres Vaters hochgekommen, der zur gleichen Zeit gestorben sei. „Die Trauer kam noch einmal mit großer Wucht. Doch tatsächlich ließ sie auch schnell wieder nach. Das habe ich so noch nie erlebt“, berichtet Kröm. Schließlich sei eine Akzeptanz der Tatsache übrig geblieben, dass die Entscheidungen damals so gefällt worden seien. „Nur in dieser Ausgeglichenheit kann man wirklich weitergehen“, sagt Humpert und freut sich sichtlich, dass sich anscheinend etwas aufgelöst hat.
Da die Sitzung online stattfindet, kann der sonst später folgende Muskeltest nicht durchgeführt werden. Damit hätte Humpert vorher noch genauer das Thema bestimmt und im Anschluss die Wirksamkeit der Intervention überprüft.
Jutta Humpert und Kerstin Kröm nehmen sich noch ein anderes Thema vor: den „mangelnden Biss“. Da gebe es viele Glaubenssätze, meint Humpert: „Du bist nicht gut genug“ sei einer davon. Der könne sehr tief in der Kindheit verankert sein. Dabei müsse sie aber immer aufpassen, dass sie nicht zu tief in die Familiengeschichten gehe, weil das manchmal auch mit dem Thema gar nichts mehr zu tun habe. Aber: „Das Spannende im Coaching ist, dass man nie weiß, wo man landet. Wir fangen mit Sportthemen an und landen beim sterbenden Vater.“
Am häufigsten gehe es bei Reitproblemen um Angst, aber auch das „Abliefern“ wie bei Kröm sei ein häufiges Thema. „Da kann auch ein früheres Mobbing dahinterstecken. Wenn man früher gehänselt wurde, sich wertlos gefühlt hat oder einem gesagt wurde, dass man nichts kann, kann man sich oft nicht fokussieren, weil man mit seiner Außenwirkung beschäftigt ist“, erklärt sie. „Das Gehirn möchte einen schützen und lieber in den Rückzug gehen, damit man nicht noch einmal so blöd dasteht wie damals.“
Für Reiter sei es oft auch sinnvoll, gezielt positive Emotionen zu intensivieren. Hierfür würden langsamere Augenbewegungen hervorgerufen, die als Vorbereitung auf Leistungssituationen dabei helfen sollen, in Bewegungsmomenten und bei Überraschungen präzise zu reagieren. Am Ende eines Coachings könne dieses Vorgehen dafür genutzt werden, jetzt vorhandene positive Gefühle zu unterstreichen oder positive Erlebnisse als Ressource einzuweben.
Das Coaching sei manchmal wirklich wie das Aufräumen eines Zimmers. Manchmal kämen Sachen hervor, die man vorher gar nicht gesehen habe, weil das Zimmer so voll stand. Die müssten dann nach und nach weggeräumt werden. Was weg sei, sei weg. „Es kommt höchstens wieder, wenn man vermehrt wieder in die gleiche Situation kommt“, erklärt Humpert, doch dann könne man schon entspannter damit umgehen. Allerdings sei Angst ja auch wichtig und manche Ängste dürften nicht ganz verschwinden. „Ich will ja in Zukunft nicht aus dem dritten Stock springen, nur weil es durchs Fenster schneller geht als durchs Treppenhaus“, lacht Humpert.