Sie waren die Überraschungssieger des Deutschen Dressurderbys in Hamburg-Klein Flottbek: Anna-Lena Kracht und ihr Hannoveraner Florinio. Damit ging für die Pferdewirtin aus Hamburg-Bergstedt ein Kindheitstraum in Erfüllung. Zum neuen Jahr wird sie den familiären Reitbetrieb von ihren Eltern übernehmen.
Dass sie auf Anhieb Derbysiegerin werden und auch ihr Florinio als bestes Pferd abschneiden würde, damit hatte Anna-Lena Kracht nicht gerechnet. Der Floriscount-Sohn ist ihr einziges Grand-Prix-Pferd. Sie hat ihn unter dem Sattel, seitdem er vier Jahre alt war, und bildete ihn selbst aus. Für sie selbst sei der Sieg auch zwei Monate nach dem Derby immer noch surreal, gibt sie bescheiden zu. Dabei ist die heute 35-Jährige beim Derby keine Unbekannte: In der Altersklasse U25 gewann sie – damals mit Hendrix – zweimal Silber.
Auch sonst hat Kracht, die nach ihrem Abitur 2010 auf dem Helenenhof der Familie Schwiebert in Kaltenkirchen ihre Ausbildung zur Pferdewirtin absolvierte, beachtliche Erfolge vorzuweisen. Insbesondere bei der Pferdeausbildung beweist sie ein geschicktes Händchen. Als Junge Reiterin durfte sie den 2004 gekörten Deckhengst Kasimir fördern. Mit dem damals erst achtjährigen Trakehner gewann sie in nur einem Jahr zehn S-Dressurprüfungen, was ihr das Goldene Reitabzeichen einbrachte. Sie war gerade einmal 19 Jahre alt, als ihr diese Auszeichnung auf dem Galaabend des Trakehner Hengstmarktes in Neumünster verliehen wurde. „Meine Beziehung zu diesem Hengst war etwas ganz Besonderes“, erzählt die Reiterin.
Vor zwei Jahren ersteigerte sie einen seiner letzten Nachkommen, den gekörten Assemblé. Er ist ihre Nachwuchshoffnung und soll einmal in die großen „Hufstapfen“ des 15-jährigen Florinio treten, mit dem sie noch einige wenige Turniere gemeinsam erleben möchte. Erst kürzlich kamen die beiden mit zwei Platzierungen vom internationalen Eliteturnier im schwedischen Falsterbo zurück.
Koppel für alle
Assemblé, der zu Hause Anton genannt wird, hat seine ersten Jungpferdeprüfungen bereits gemeistert, aber Kracht will es langsam angehen: „Anton ist ja erst vier.“ Noch ist er Hengst und das darf er auch bleiben, „solange er keine Hengstmanieren zeigt“, wie seine Besitzerin einräumt. Denn er genießt seinen täglichen Weidegang, zwar auf einem Einzelpaddock, aber das möchte sie ihm nicht nehmen. Ob Youngster oder Oldie, bei den Krachts kommen die Pferde alle auf die Weide, selbst Grand-Prix-Pferd Florinio. Seine Ausbilderin ist überzeugt: „Besonders ihm hat diese Haltungsform gutgetan.“
Beim Reiten sei er nicht einfach. Seit er den ganzen Tag auf der Weide verbringe und nur nachts zum Schlafen in die Box komme, habe er auch unter dem Sattel Fortschritte gemacht. Gesellschaft leistet ihm der elfjährige Turmalino. Auch ihn hat die Pferdewirtin, die mit dem Belgier Jan Lens trainiert, bis zur Klasse S ausgebildet. Er stammt aus der eigenen Zucht, die Familie Kracht inzwischen aufgegeben hat. Seine Mutter Viennetta steht auf der Rentnerweide zusammen mit Willi. „Mit ihm habe ich meine erste S-Dressur gewonnen“, erinnert sich Kracht.
Neues Kapitel
Artgerechte Pferdehaltung wird auf dem Betrieb der Familie Kracht seit jeher großgeschrieben. „Zu Großvaters Zeiten Mitte der 1960er Jahre waren hier noch Kühe, Schweine und Hühner aufgestallt“, erinnert sich Anna-Lena Kracht. Aufgrund der Nachfrage wurden nach und nach Pferde in Pension genommen. Als die Eltern, Birgit und Heino Kracht, 1985 das Anwesen übernahmen, waren es genau 23. Heute sind hier 50 Pferde untergebracht. Die passionierten Pferdeleute – beide waren im Sattel aktiv – stellten ganz auf Pferdehaltung um, bauten zwei Reithallen, modernisierten die Stallungen und sorgten mit Gras- und Sandpaddocks für Pferdeauslauf im Winter wie im Sommer. Anna-Lena besitzt ihren eigenen Stall mit sechs Berittpferden.
Mit dem Bau eines neuen Wohnhauses kündigt sich ein neues Kapitel in der Kracht‘schen Familiengeschichte an: Anfang des nächsten Jahres möchten die Eltern ihren Alterssitz beziehen. Dann kommt auf Anna-Lena viel Verantwortung zu, denn sie soll den Betrieb übernehmen. Auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Eltern kann sie auch weiterhin zählen. Die Tochter lacht: „Mein Vater kann sowieso nicht die Finger von der Arbeit auf dem Hof lassen.“
Bruder Heiko hat schon jetzt den landwirtschaftlichen Part übernommen und stellt die Futterversorgung sicher. Außerdem hat sie zwei feste Mitarbeiter an ihrer Seite, um ihre Aufgabe zu wuppen: Michael ist mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit schon ein Urgestein; Jasmin hat bei den Krachts gelernt und will auch in Zukunft bleiben. „Das Reiten soll auf jeden Fall nicht zu kurz kommen“, versichert die Betriebsleiterin in spe.