Die jüngsten Erfolge der Künstliche-Intelligenz-Forschung können beeindrucken. So ist es zum Beispiel möglich, fotorealistische Bilder und ganze Aufsätze wie von Zauberhand zu erzeugen oder sogar menschliches Verhalten vorherzusagen. In der Landwirtschaft haben die großen Landtechnikhersteller bereits Melk- und Feldroboter sowie autonome Schlepper im Angebot. Sensoren erfassen an 365 Tagen im Jahr den Zustand der Kuh. Die entsprechende Software ermittelt abschnittsgenau Fahrtrouten und den erwarteten Ertrag, berechnet den optimalen Brunstzeitpunkt oder überwacht das Verhalten einzelner Kühe. Und das alles soll erst der Anfang sein.
Man mag den Eindruck bekommen, als könnte künstliche Intelligenz (KI) schon bald den Landwirt ersetzen. Diese zugegebenermaßen etwas provokante Zuspitzung soll verdeutlichen, wie hoch die Erwartungen an die neuen Technologien sind. Nein, so schnell werden Rinderhalter nicht abgeschafft, aber natürlich macht die Entwicklung auch vor der Landwirtschaft nicht halt: KI, Big Data und Co. werden in einem Atemzug mit Schlagworten wie Digital Farming, Klimawandel und Tierwohl genannt. Die Politik ist sich des Potenzials und der öffentlichen Wahrnehmung dieses Themas bewusst in der Hoffnung, zukünftigen Herausforderungen besser begegnen zu können.
Wie sieht der Status quo aus?
KI hat im Ackerbau bereits für Aufsehen gesorgt, der Acker wandelt sich aktuell immer mehr in Richtung voll automatisierter Produktionsstraße. Im Vergleich dazu gibt es in der Milchviehhaltung zwar bereits zahlreiche Sensoren; praxisreife Assistenzfunktionen beschränken sich bisher jedoch noch auf einige wenige Anwendungsbereiche wie die automatische Erkennung von Fress- und Wiederkäuzeiten oder die Berechnung des Brunstzeitpunktes. Ein echter Mehrwert für den Landwirt, zum Beispiel durch das automatische Erkennen von chronischem Stress oder (subklinischen) Erkrankungen, lässt bisher noch auf sich warten. Aber warum ist das so?
Im Maschinenraum einer KI
Die grundlegende Funktionsweise einer KI ist gar nicht so kompliziert: Stark vereinfacht dreht es sich um das Erlernen von relevanten Datenmustern. Man kann sich diesen Prozess so vorstellen, dass zunächst durch ausgiebiges Probieren ein Netzwerk vieler kleiner Schablonen erstellt wird, ähnlich einem Mobile. Der Clou ist, dass ein solches Netzwerk hochkomplizierte Datenmuster in kleine „Häppchen“ aufteilen kann. Leitet man nun neue Daten durch dieses Netzwerk, werden jeweils passende Schablonen aktiviert. In der Summe all dieser aktivierten Schablonen ergibt sich dann am Ende die gewünschte Funktion des Netzwerks, also die „Intelligenz“ der KI. Herausfordernd dabei ist die anfängliche Schablonenerzeugung. Diese basiert auf mathematischer Optimierung, Know-how und Rechenleistung. Spielt aber alles richtig zusammen, hat die KI die relevanten Muster gelernt.
Am Beispiel der Milchuntersuchung stellt es sich folgendermaßen dar: Im Rahmen der monatlichen Milchleistungsprüfung werden die Milchinhaltsstoffe per Infrarotspektroskopie ermittelt. Das bedeutet, Milchproben werden mit für den Menschen unsichtbarem Licht bestrahlt und das reflektierte Licht im selben Moment analysiert. Für jede Wellenlänge wird dabei ein Wert gespeichert, und das daraus resultierende Spektrum der Milchprobe ermöglicht die automatische Ermittlung der Standard-Milchinhaltsstoffe. Es bietet darüber hinaus die Möglichkeit, anhand dieser Spektraldaten weitere Parameter und Zusammenhänge zu entwickeln. Durch den kausalen Zusammenhang zwischen einer beginnenden Ketose und den Milchinhaltsstoffen ist die KI so in der Lage, ein spezifisches Muster in einer Milchprobe zu erkennen und den Landwirt per Alarm in einer Smartphone-App darüber zu informieren. Auf Basis der Milchuntersuchung können somit bereits vor dem Auftreten klassischer Krankheitsanzeichen betroffene Kühe identifiziert werden.
Rinderhaltung stellt extra Herausforderungen
Ein wichtiger Aspekt bei der Konstruktion einer KI wurde bisher noch unterschlagen: KI-Verfahren sind per se zunächst „dumm“. Das bedeutet, dass erst ein „Trainieren“ der Netzwerke das Zerlegen komplexer Muster in einfache Schablonen ermöglicht. Dazu wird der sogenannte Trainingsdatensatz benötigt, welcher Ursache (Ketose) und Wirkung (Milchinhaltsstoffe) in Verbindung setzt.
Im Gegensatz zum Ackerbau ist es im Stall häufig aufwendiger und damit teurer, Trainingsdaten zu sammeln. Im Falle von Ketose ist während der KI-Entwicklung beispielsweise eine manuelle Begutachtung einzelner Tiere erforderlich. Hinzu kommt, dass die biologischen Zusammenhänge unscharf umrissen und komplex sind, sodass die Merkmale oftmals nur indirekt und ungenau gemessen und meist nur vergleichsweise wenige Tiere erfasst werden können.
Auch die Betriebsumwelt stellt aufgrund der variablen Betriebsstrukturen eine Herausforderung dar: Selbst wenn auf einem Betrieb viele Tiere bewertet wurden, ist nicht garantiert, dass die Ergebnisse auch auf andere Betriebe übertragbar sind. Dies würde vor allem Daten von vielen verschiedenen Betrieben benötigen. Es gibt zwar grundsätzlich Auswege aus der Situation, wie zum Beispiel vortrainierte KI, welche quasi „unfertig“ ausgeliefert werden und erst durch den Landwirt „angelernt“ werden müssten. Bis zur Praxisreife wird es aber noch dauern.
Assistenzsystemen gehört die Zukunft
Der Betriebsleiter wird auch in Zukunft die entscheidende Instanz auf dem Betrieb bleiben, aber immer mehr von KI-gestützten Assistenzsystemen profitieren. KI wird also maßgeblich die Zukunft der Tierhaltung bestimmen. Neue Systeme sind dabei ebenso zu erwarten wie die Weiterentwicklung bestehender – sei es beim Thema Tierwohl, um den Zeitaufwand zu reduzieren, um Leistungseinbußen durch subklinische Erkrankungen zu vermeiden oder um den Einsatz von Ressourcen zu optimieren. KI kann und wird die Produktivität an vielen Stellen deutlich erhöhen.
Jetzt ist also der richtige Zeitpunkt, das Thema KI bei neuen Investitionen mit zu berücksichtigen. Kompatibilität der unterschiedlichen Systeme ist dabei ein wichtiges Thema und erfordert viel Weitsicht, damit die Technik sinnvoll miteinander kombiniert werden kann und nichts doppelt auf dem Betrieb angeschafft werden muss. Auch ein gewisses Grundverständnis für die KI-Technologie kann hilfreich sein, um zukunftssichere Entscheidungen für oder gegen den Einsatz bestimmter Techniken auf dem eigenen Betrieb zu treffen.
Fallstricke gibt es genug: Ist die Technik praxistauglich? Bringt die KI einen echten Mehrwert? Wann wird ein Akkutausch notwendig? Wem gehören die Daten? Die Rinderhaltung steht erst am Anfang der Entwicklung. Klar ist jedoch schon heute: Innovationen auf Basis von KI werden dazu beitragen, dass die Landwirtschaft zukünftigen Herausforderungen gut gerüstet ins Auge schauen kann.
Fazit
Verglichen mit dem Ackerbau gibt es in der Rinderhaltung bisher wenig praxisreife KI-Systeme am Markt. Gründe für diesen Verzug sind das aufwendige und teure Sammeln von qualitativen Merkmalen im Stall und die fehlende Kompatibilität zwischen den Herstellern. Die Entwicklung der KI-Technologie schreitet jedoch schnell voran. Bestehende und zukünftige Systeme können viele Möglichkeiten bieten, das Herdenmanagement effektiv zu unterstützen.